Musiklexikon: A wie Atonalität

Ein klassisches Klavierstück „in C-Dur“, bei dem tatsächlich ausschließlich die weißen Tasten verwendet würden, klänge wohl ziemlich langweilig oder zumindest kurios. Schon Johann Sebastian Bach verfuhr lieber frei mit den Tonarten – und einmal so frei, dass ihm überhaupt keine Tonartbezeichnung mehr dafür einfiel. Er nannte das Stück dann Chromatische Fantasie. Die fortschreitende „Chromatisierung“ der Tonsprache kennzeichnet die europäische Musikgeschichte und führte um 1900 zur Auflösung herkömmlicher Tonalität. Bei Liszt gibt es eine Bagatelle ohne Tonart, bei Mahler stritten die Kritiker über den Sinn der Tonartbezeichnungen, bei Debussy findet man häufig gar kein tonales Zentrum mehr. Arnold Schönberg und seine Schüler haben dann ganz bewusst die Töne aus der Tonartbindung gelöst, um ihnen größeren Ausdruck zu verleihen: „Luft von anderen Planeten“. Spötter nannten diese Musik allerdings „atonal“ und meinten damit: chaotisch, ungeordnet, dissonant. Der Name blieb haften, aber Schönberg & Co. haben ihn nie akzeptiert. „Ich bin Musiker und habe mit Atonalem nichts zu tun“, schrieb der Meister, weil „von Ton zu Ton eine Beziehung bestehen muss“. Schönberg bevorzugte für seine Musik den Begriff „pantonal“ und verstand die „schwebende, sozusagen unendliche Harmonie“ als Menschheits-Utopie. Um zu beweisen, dass die Befreiung von der Tonart nicht ins Chaos führt, erfand er später sogar ein Ordnungssystem, das strenger ist als jede Tonalität: die Zwölfton- oder Reihentechnik. Sie schreibt vor, dass jeder der zwölf Töne erst wieder erklingen darf, wenn inzwischen die elf anderen dran waren. So soll verhindert werden, dass sich sozusagen hinter dem Rücken des Komponisten – durch Gewohnheit oder Zufall – doch noch eine Tonalität einschleicht. Als die Serialisten nach dem Zweiten Weltkrieg die Reihentechnik auch auf andere musikalische Parameter übertrugen (Tonlänge, Dynamik usw.), hatten sie dafür weniger einleuchtende Gründe.