Musiklexikon: K wie Kirchenglocken
Sie sind gewöhnlich aus Zinnbronze, Kupferzink oder ähnlichen Legierungen und verdammt schwer. Die „Pummerin“ im Wiener Stephansdom wiegt etwa 20 Tonnen, die St. Petersglocke im Dom zu Köln sogar 24. Die schwerste frei hängende Glocke der Welt befindet sich in Myanmar und soll 90 Tonnen wiegen.

Sie hängt allerdings nicht in einer Kirche, sondern in einer Pagode. Als Musikinstrumente sind Glocken dagegen weit weniger eindrucksvoll. Wer je einem Carillon-Konzert gelauscht hat, weiß, dass das eine ziemlich missklingende Angelegenheit sein kann. Das liegt nicht nur an der langen Abklingdauer des Glockentons und dem Dopplereffekt, der beim Hin- und Herschwingen entsteht, sondern vor allem an dem komplexen Ober- und Untertonspektrum der Glocke. So ein umgekehrt kelchförmiges Aufschlag-Idiophon bringt nämlich ein wahres Sammelsurium aus Prinzipal- und Mixturtönen hervor, Moll- und Durterz kommen sich da in die Quere, und der Residual- oder Schlag- oder Nennton entsteht eigentlich nur im Kopf des Hörers. Für Dissonanz ist also reichlich gesorgt.
Da kommt es dann auch gar nicht mehr darauf an, dass das Glockengeläut der Kirchen traditionell nicht konsonant gestimmt ist (etwa als Dur-Akkord), sondern in den Anfangstönen religiöser Hymnen: Sekundabstände sind dabei die Regel. Allerdings liegt hier auch die wahre musikhistorische Bedeutung des Glockenläutens: Es ist nämlich die eigentliche Inspirationsquelle moderner polytonaler und polyrhythmischer Komposition. György Ligeti zum Beispiel wurde von den rhythmisch vielfältigen Ton-Überlagerungen der Kirchenglocken in seiner siebenbürgischen Heimat dazu angeregt, „klingende Flächen und Massen“ und „schwebende Netzwerke“ zu komponieren. Und Michael Denhoff schreibt zu seinem Cadenabbiaer Glockenbuch: „Glockengeläut hat mich seit frühester Kindheit fasziniert. Ich war begeistert von den metrischen und räumlichen Interferenzen der Glockenklänge.“