Musiklexikon: L wie Loft-Jazz
Anfang der siebziger Jahre zog es die „Schüler“-Generation des Free Jazz scharenweise nach New York. Weil es dort aber kaum mehr Jazzclubs gab, begannen diese Abenteurer, ihre eigenen Konzertstätten zu eröffnen. Beliebte Räumlichkeiten in Manhattan waren die sogenannten Lofts, leer stehende Gewerberäume und Lagerhallen. Sie dienten den Künstlern gleichzeitig als Wohn- und Übungsstätten, als Galerien, Konzertsäle, Tanzstudios und Partyräume. Eines der bekanntesten Lofts war das Studio Rivbea, das der Saxophonist Sam Rivers zusammen mit seiner Frau Bea von 1971 bis 1979 in der Bond Street managete. Das Magazin „Newsweek“ nannte Rivers damals den „inoffiziellen Bürgermeister“ der Loft-Szene. Er erzählte: „Ich hatte diesen Veranstaltungsraum, den ich nur zum Üben benutzte, aber dann begann ich Konzerte zu organisieren, und plötzlich waren wir auf der ganzen Welt bekannt.“
Junge Musiker aus dem mittleren Westen und aus Kalifornien bildeten das Gros der Szene. Sie wurden in New York jedoch mit einem unerwarteten Trend konfrontiert: der beginnenden Renaissance des Mainstream-Jazz. Anders als Generationen von Jazzmusikern vor und nach ihnen hatten diese „Söhne“ des Free Jazz nur wenig Erfahrung mit Jazz-Standards und swingender Improvisation über Akkordfolgen. Für sie war der konventionelle Jazz etwas Exotisches, Nostalgisches, Abwegiges. Sie „entdeckten“ ihn mit der Neugier spielender Kinder und holten sich swingende Versatzstücke in die eigene Free-Jazz-Welt herein. Weil die Loft-Musiker eine eng kooperierende Szene bildeten, formte sich aus diesen individuellen Entdeckungen bald eine eigene Stilistik: der Loft-Jazz. Typische Ensembles waren das World Saxophone Quartet, das String Trio of New York, das Revolutionary Ensemble, das David Murray Octet oder Jack DeJohnettes Special Edition. Dieser Loft-Jazz bot anarchische Montage, postmodernes „Anything goes“, Selbstbedienung im musikalischen Bonbonladen. Er hat noch einmal jenen Spaß verbreitet, den der frühe Jazz einst besaß.
