FIDELITY zu Gast bei … Lyric-Audio, Schlüchtern
… und noch einiges mehr. Im hessischen Schlüchtern befinden sich die heiligen Hallen von Lyric-Audio. In Handarbeit entstehen dort wundervolle Röhrenverstärker, Phonoentzerrer und Lautsprecher, die ausgeklügelte Schaltungen mit exzellenter Haptik und Bedienkomfort verbinden. Mit seinem langjährigen Geschäftspartner Thomas Deyerling organisiert Entwickler Stefan Noll von hier auch den Support für die gemeinsame Vertriebsmarke Cayin – und entwickelt nebenher Schaltungen für den Effekthersteller Neo Instruments. Zu Gast bei einem echten Tausendsassa.
Schlüchtern nahe Fulda, morgens um halb zehn. Auf der von Linden gesäumten Hauptstraße, direkt am mittelalterlichen Klosterkomplex, herrscht jenes geschäftige Treiben, das etliche Kleinstädte an einem Dienstagvormittag auszeichnet. Passanten flitzen vom Bäcker zum Metzger zum Reisebüro und versuchen beim Wechsel der Straßenseite am Leben zu bleiben. Denn selbstredend werden die verkehrsberuhigten „Unter den Linden“ trotz einer Ortsumgehung weiterhin als frequentierte Durchfahrtstraße genutzt. Im Hinterhof eines stattlichen, in der historischen Altstadt aber nicht weiter auffälligen Fachwerkhauses ist von dem wuseligen Hin und Her kaum etwas zu spüren. Stefan Noll, Entwickler und Geschäftsführer von Lyric-Audio, begrüßt mich in seinem Büro, das als Durchgangszimmer zwischen dem langgestreckten Produktionsraum und der Werkstatt einer ehemaligen Schmiede angelegt ist. Letztere fristet ein Dasein als Behelfslager, soll aber demnächst reaktiviert werden. Die alte Esse schreie einfach danach, zum stylischen Luftabzug für Lötarbeiten umfunktioniert zu werden, erzählt mir der Geschäftsführer.

Während wir bei einem Kaffee in derlei Smalltalk versunken sind, trifft auch mein zweiter Gastgeber ein, der eigens aus dem Rhein-Main-Gebiet angereist ist. Thomas Deyerling dürfte vielen Lesern ein Begriff sein. Als einstiges Gründungsmitglied der High End Society zählt er zu den Urgesteinen der deutschen HiFi-Szene. Der unverbesserliche Röhrenliebhaber hatte in den Neunzigern die Zusammenarbeit mit einem Hersteller namens „Spark“ aufgenommen und kurz darauf dessen Umfirmierung in „Cayin“ angeregt. Wenig später (1998) gründete er seine eigene Marke Lyric. Mit dieser „Hausmarke“ mühte er sich ums Schließen von Lücken in der verstärkerlastigen Röhrenwelt: Neben Vorstufen führte Lyric bald auch D/A-Wandler und CD-Spieler im Sortiment. Alles mit Kolben, versteht sich, und zur Abgrenzung vom Vertriebsportfolio preislich oberhalb von Cayin angesiedelt. 2001 kam schließlich Stefan Noll hinzu, der seither nicht nur sämtliche Komponenten ersann und entwickelte, sondern auch als Mitinhaber und Geschäftsführer einstieg.

Ich muss ja zugeben, dass mich die vielfältige Tätigkeit der beiden Geschäftspartner bisweilen etwas irritierte. Vor allem die preislich attraktiven No-Nonsense-Produkte von Cayin haben es mir seit jeher angetan. Da ich bei der Recherche zu Daten und Fakten der Verstärker immer wieder auf Verweise zu Lyric-Audio stieß, war ich viele Jahre davon ausgegangen, dass es sich dabei um die Firmierung des deutschen Vertriebs handelt – garniert mit ein, zwei Genuine-Produkten. Dass die Maschinen von Lyric bis 2014 im Umfeld von Cayin in China gefertigt wurden, entwirrte den Knoten nicht gerade. Neben seinen eigenen Komponenten entwickelt Stefan Noll zudem für zahlreiche weitere Marken. Bringen wir ein wenig Übersicht in die Sache.

Die ist eigentlich simpel: Die „Lyric-Audio, Noll & Deyerling GbR“ (so die vollständige und korrekte Firmierung) unterstützt den Vertrieb von Cayin Audio, dessen Eigentümer Thomas Deyerling ist, während der Ingenieur Stefan Noll sich mit seinem Team um Technik und Support kümmert. Da die beiden sich dafür ohnehin eine Werkstatt zulegen mussten, verlagerten sie 2014 auch die gesamte Produktion ihrer Hausmarke Lyric nach Schlüchtern. Zuerst in ein nahegelegenes Gewerbegebiet am Ortsrand; seit wenigen Jahren ist die Firma im Hinterhaus von Stefan Nolls historischem Eigenheim einquartiert. Das sei von Anfang an die Idee gewesen, allerdings wollte er die seit Jahrzehnten dort ansässige Schmiede nicht hinauswerfen und hatte gewartet, bis die altersbedingt geschlossen wurde. Lyric ist heute also ein Unternehmen, für das man den Begriff „Manufaktur“ (alles in Handarbeit) ebenso anwenden kann wie das Label „Made in Germany“. Parallel dazu entwickelt Stefan Noll unter anderem Schaltungen (seit 2007) für die Pedale der „Ventilator“-Serie von Neo Instruments. Dabei handelt es sich um klassiche Bodeneffekte, die den berühmten Leslie-Sound nachahmen und sich in der Musiker-Szene den Ruf eines heiligen Grals erkämpft haben. Was sich im ersten Moment nach einer völligen „Off-Topic“-Tätigkeit anhört, passt doch wie die Faust aufs Auge: Wie eingefleischte Kenner unter unseren Lesern wissen, harmonieren die Begriffe Röhrenverstärker und Leslie beziehungsweise Hammondorgel ganz wunderbar.

Ich frage die beiden Geschäftsführer, wie es ihnen gelingt, die zahlreichen Baustellen im Kopf voneinander zu trennen. Schließlich sind Röhrenschaltungen so ausgereizt, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, wie man da immer wieder auf etwas Neues kommt – von der Differenzierung der „Levels“ ihrer beiden Hauptmarken ganz zu schweigen. Die Antwort folgt erstaunlich schnell und vollständig: Die Produktplanung für Cayin orientiere sich allein an den Marktbedürfnissen, der Support beschränke sich derweil auf Reparaturen und Revisionen. Einmal sei es vorgekommen, dass ein neuer Verstärker eine Kinderkrankheit aufwies. In dem Fall hatten Stefan Noll und sein Team Hand angelegt und die ganze Modellreihe modifiziert. Die Arbeit für Auftraggeber wie Neo Instruments ist mehr oder weniger das exakte Gegenteil davon: Abhängig von den georderten Schaltungs- und Designvorstellungen unterbreitet Stefan Noll als Entwickler Vorschläge, um die Realisierung kümmern sich andere.

Die Arbeit an der Hausmarke entwickelte sich derweil immer stärker zu einer Mischung aus Forschertrieb und Herzensangelegenheit. Sein jüngster Verstärker etwa, der mehrfach ausgezeichnete Ti 100 Mk II, habe als eine Art Erkundungstour begonnen, erklärt mir Stefan Noll. Im Rahmen ihrer berühmten Ausschreibungen in den Sechzigern (denen auch die legendäre 3/5 entstammt) habe die BBC nach einer ultralinearen Single-Ended- und Class-A-Referenz gerufen. Er war einfach neugierig, wie weit sich das bewährte, mittlerweile 60-jährige Röhrenkonzept mit modernen Ansätzen und Messmöglichkeiten treiben lässt. Und nachdem er praktisch jeden Aspekt des Verstärkers angefasst hatte, kam ihm der Gedanke, sein Projekt mit den stimmungsvollen wie optisch markanten KT170 auszuprobieren. Nicht nur, weil die Kolben einfach gut sind, sondern vor allem, „weil es in diesem Kontext noch keiner gemacht hat“, erklärt mir der Ingenieur. Eine kleine Idee also, die im Lauf einer mehrjährigen Reise ein Eigenleben entwickelte und sich zu etwas völlig Neuem verselbständigte.
Da Röhren bekanntlich auch eine Frage des Geschmacks sind, lässt sich der Ti 100 mit einer ganzen Bandbreite von Endstufenkolben betreiben. Ein gut zugänglicher Schalter eicht Spannungswerte und Auto-Bias wahlweise auf KT88, 120, 150 und 170. Das Topmodell Ti 100 Mk II KT 170 wird zudem mit einem handverlesenen Satz 170er von Tung-Sol ausgeliefert. Und weil Stefan Noll auf klare Diktion steht, gibt es bei seinen Verstärkern auch nicht die bei Röhren gewohnten, für Laien mitunter etwas vertrackten Lautsprecher-Trios. Über einen Schalter am Rücken kann man den Ti 100 zwischen 8- und 4-Ohm-Betrieb umschalten. Die preisliche Ausdifferenzierung zwischen den beiden Marken Cayin und Lyric ergebe sich angesichts dieser völlig unterschiedlichen Ansätze von allein.
Wenig später finde ich mich in der kompakten, aber erstaunlich vielschichtigen Produktion wieder. An vier voneinander getrennten Arbeitsplätzen wird repariert, umgebaut, entwickelt, mit Bauteilen bestückt, endgefertigt und – logisch – gemessen, was das Zeug hält. Während meines Besuchs ist Werksstudent Valentin Strott gerade damit beschäftigt, Röhrensockel auf Phonoplatinen zu löten, während sein Kollege Maher Alrefaai am entgegengesetzten Ende des Raums die letzten Messungen an vier bereits fertiggestellten Ti 100 Mk II durchführt. An Stefan Nolls Entwicklungsplatz erspähe ich eine Handvoll Platinen, die verdächtig nach Digitalschaltungen aussehen – eine Auftragsarbeit, klärt mich der Geschäftsführer auf. Er habe immer mal wieder Netzwerkplayer und highfidele D/A-Wandler auf dem Tisch. Stolz zeigt er mir einen kleinen Kunststoffbeutel mit kaum sichtbaren schwarzen ICs: Apple AirPlay beziehungsweise ein Lizenz-Chip, der das proprietäre Protokoll der Amerikaner im Netzwerk freischaltet. Er habe vor einiger Zeit die Zertifizierung erhalten und könne die Chipsätze nun verbauen. Die Arbeit mit solchen Mikro-Bauteilen, die selbstredend ebenfalls vor Ort durchgeführt wird, stellt gewissermaßen das Kontrastprogramm zum Löten von Röhrenverstärkern dar, ist aber nichts wirklich Neues für Thomas Deyerling und Stefan Noll. Wie bereits erwähnt, war das Schließen von Lücken von Anfang an Bestandteil ihrer Marke Lyric.
Als krönenden Abschluss meines Besuchs werfen wir einen Blick in den Hörraum, der hinter den Produktionsräumen liegt, trotz seiner großen Fensterfronten akustisch hervorragend abgestimmt wurde und nun eine wohltemperierte Mischung aus Showroom und Entwicklungsumgebung bietet. Etliche Devotionalien wie Field-Coil-Lautsprecher, exotische wie historische Röhren und verschiedene Entwicklungsstufen des mit dem FIDELITY Award prämierten Lyric-Phono-Pres PS 10 verleihen dem Zimmer den dezenten Charme eines Werksmuseums. Im Rücken des Hörplatzes entdecke ich eine Gitarre, die der leidenschaftliche Musiker Stefan Noll nicht rein zufällig dort platziert hat – einige Türen weiter, in der alten Garage des Hinterhauses, liegt der Proberaum seiner Band. Schon im Produktionsraum waren mir Synthesizer, Effektpedale und das gerade im Umbau befindliche Top-Teil eines Gitarrenverstärkers aufgefallen.
Meine Anwesenheit im Hörraum ist übrigens kein exklusives Erlebnis: Neben der Endabstimmung von Produkten ist der Raum für Vorführungen gedacht: Wenn sich die Gelegenheit ergibt, etwa bei Stadtfesten, öffnen die Herrschaften gern ihre Tore zum Tag der offenen Tür. Genau wie bei zahlreichen Händlern in der gesamten Republik kann man aber auch Termine vereinbaren, um die Produkte von Lyric selbst zu erleben.
Kontakt
Lyric-Audio, Noll & Deyerling
Unter den Linden 36
36381 Schlüchtern
Telefon +49 6661 1538862
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