Birdland, NYC
Welcher Musikliebhaber kennt sie nicht, die berühmten Worte, mit denen der Jazz-Rap-Klassiker „Cantaloop (Flip Fantasia)“ von US3 aus dem Jahr 1992 eingeleitet wird: „Ladies and gentlemen, as you know we have something special down here at Birdland this evening, a recording for Blue Note Records.“
Die Ansage stammt aus einem Konzertmitschnitt des Art Blakey Quintet im Februar 1954, aufgenommen im damals angesagtesten Jazz-Hotspot New Yorks. Die Rede ist vom Birdland. Wie der Club-Ansager Pee Wee Marquette mit hörbarem Stolz verkündet, war es ein besonderes Ereignis, dass Blue Note ein Konzert direkt auf der Bühne an der Ecke Broadway und 52nd Street aufzeichnete – ein Privileg, das in den Folgejahren fast nur noch dem Konkurrenten Village Vanguard zuteilwerden sollte. Der erwähnte Livemitschnitt erschien später unter dem Titel Art Blakey – A Night at Birdland Vol. 1 auf einer Zehn-Zoll-LP.
Ein wilder Schmelztiegel
Bevor wir uns dem heutigen Clubgeschehen widmen, lohnt sich ein Blick zurück auf die ruhmreiche, wenn auch unruhige Geschichte des Clubs – eine Geschichte, die (im Gegensatz zur kontinuierlichen Existenz des Village Vanguard) von Brüchen, Skandalen und Phasen des Stillstands geprägt ist. Als Charlie „Yardbird“ Parker Ende der 1940er Jahre zum gefeierten Star des Bebop wurde, erkannten die Unternehmer Morris Levy und Oscar Goodstein ihre Chance: Sie erwarben ein Kellerlokal am Broadway nahe der 52nd Street in direkter Nachbarschaft zu Theatern und Musikclubs und tauften es nach Parkers Spitznamen: Birdland.
Zwar verzögerte sich die Eröffnung aufgrund von Lizenzproblemen, doch am 15. Dezember 1949 war es dann so weit. „A Journey Through Jazz“ lautete das Eröffnungsprogramm – mit Parker selbst, Stan Getz und Harry Belafonte als Zugpferden. Ironischerweise trat Parker selbst nur selten dort auf – nicht, wie oft vermutet, wegen seiner Drogenprobleme, sondern weil er, so Clubmanager Goodstein, „ständig Geld wollte“. Und doch blieb sein Name untrennbar mit dem Ort verbunden. Birdland war nicht bloß ein Club – es war Magnet und Bühne eines ständigen Wettbewerbs mit dem Village Vanguard um die heißesten Acts. Dizzy Gillespie, Miles Davis, Thelonious Monk, Bud Powell, John Coltrane – sie alle standen auf der Bühne. Count Basie spielte dort regelmäßig mit seinem Orchester, und George Shearing widmete dem Club seinen Standard „Lullaby Of Birdland“ – eine der bekanntesten Jazzkompositionen des 20. Jahrhunderts. Auch Weather Report, die legendäre Fusionband um Joe Zawinul, setzte dem Club mit ihrem Titel „Birdland“ ein popkulturelles Denkmal – ein Stück, das später von Quincy Jones, The Manhattan Transfer und vielen anderen interpretiert wurde.
Einige der bekanntesten Livealben der Jazzgeschichte wurden hier aufgenommen, darunter Blakeys A Night At Birdland und Coltranes Live At Birdland. Auch Prominente außerhalb der Jazzwelt wie Frank Sinatra oder Marlon Brando mischten sich gerne unters Publikum. Mit rund 500 Plätzen – von eleganten Logen bis hin zu einfachen Klappstühlen direkt neben der Bandtribüne – war das Birdland deutlich größer als das Vanguard. Selbst Teenager soll man eingelassen haben – allerdings ohne Alkohol. Der exzentrische Zeremonienmeister Pee Wee Marquette war berüchtigt dafür, die Namen von Musikern absichtlich falsch auszusprechen, wenn sie ihm kein Trinkgeld gaben. Angesichts seiner androgyn schnarrenden Stimme konnte dies zu wahrhaft skurrilen Situationen führen; es wird sogar behauptet, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums eigentlich wegen Pee Wee Marquette in den Club kam. Doch nicht alles war Glamour: 1959 wurde Mitgründer Irving Levy im Club erstochen – offenbar ohne dass es jemand bemerkte. Im selben Jahr wurde Miles Davis vor dem Club brutal von einem Polizisten zusammengeschlagen. Mit Beginn der 1960er Jahre verlor der Jazz allmählich an Massenwirkung. Das Birdland geriet in finanzielle Schieflage, meldete 1964 Insolvenz an und schloss ein Jahr später. Der neue Betreiber, Lloyd Price, verwandelte es in ein R&B-Lokal namens „Turntable“ – das Original-Birdland war Geschichte.
Comeback im Mainstream
1985 kam es zur Wiedergeburt – zunächst in kleinerem Rahmen auf der Upper West Side, mit dem Versuch, Musiker aus der unmittelbaren Harlem-Nachbarschaft zu fördern. Ab 1996 fand der Club schließlich ein dauerhaftes Zuhause im Herzen des Theatre Districts in der West 44th Street. Der neue Besitzer, John R. Valenti, knüpfte an alte Traditionen an und holte fortan Künstler des kommerziell erfolgreichen Mainstream-Jazz auf die Bühne – etwa Diana Krall, Michael Brecker oder Pat Metheny.
Wer sich heute dem Birdland von der 5th Avenue nähert, muss zunächst die Touristenhölle am Times Square durchqueren – und das Gleiche gilt für den Rückweg. Nicht gerade die Gegend, um vor oder nach dem Konzert noch entspannt etwas zu essen oder zu trinken, ohne in die Hände gastronomischer Nepper zu geraten. Umso überraschender ist das Publikum im Club selbst: erstaunlich untouristisch, mitunter sogar angenehm jazzig-nerdig. Man erkennt aber dennoch schnell, dass Jazz auch in New York längst keine massentaugliche Musik mehr ist – die langen Schlangen stehen draußen vor den Musicals der Umgebung. Die Tradition des „dinner and show“ hat man vom Original beibehalten. Zwar gibt es auch Barplätze, doch die besten Sitze direkt vor der Bühne sind den Dinnergästen vorbehalten. Die Gästeliste an diesem Freitag zur ersten Show um 19.30 Uhr ist bunt gemischt: Jazz-Nerds mit Hoodie und Beanie wechseln sich ab mit Anwaltspärchen aus der Upper West Side und Banker-Bros von der Wall Street; dazwischen einzelne Touristen und größere Gruppen, die einen runden Geburtstag feiern. Der Eindruck entsteht: Die eine Hälfte ist gezielt wegen Mike Stern und Michael Brecker da und genießt zuvor ein gutes Essen; die andere Hälfte ist primär zum Essen gekommen, nimmt das Konzert als angenehmes Extra mit, um einen netten Event-Abend zu haben.
So oder so – enttäuscht wird kaum jemand. Die Speisekarte bietet Pasta, Burger und Vegetarisches – für Manhattan überraschend solide Qualität zu vernünftigen Preisen. Musikliebhaber müssen aber nicht befürchten, dass das Konzert zur bloßen Hintergrundsbeschallung gerät: Die Bedienung agiert freundlich, unaufdringlich und effizient, sodass der Ablauf reibungslos funktioniert. Wer in den Genuss eines guten Tisches direkt an der Bühne kommen möchte, sollte allerdings früh reservieren und rechtzeitig erscheinen. Ein zusätzlicher Bonus für echte Jazzfans: Man kann den Musikern noch beim Bühnenaufbau zusehen und bereits das erste Foto des Abends machen. Trotz des teilweise gut situierten Publikums erleben wir kein steifes Konzert – die Nähe zur Bühne ermöglicht eine direkte Kommunikation, fast schon auf Augenhöhe. Und am Ende geht auch die Anwaltsgattin im schicken Kostüm vollends aus sich raus und applaudiert und pfeift für eine Zugabe. Da aber knappe 60 Minuten später bereits das zweite Set des Abends beginnt, bleibt es in der Regel bei einer Zugabe.
Qual der Wahl
Birdland oder Village Vanguard? Das ist die Gretchenfrage für Jazzliebhaber auf Manhattan-Besuch, vor allem, wenn das Zeitbudget nur ein einziges Konzert erlaubt. Die Antwort hängt natürlich von der Perspektive ab. Persönlich ziehe ich das Vanguard vor – schon allein wegen der Authentizität des seit Jahrzehnten ununterbrochen bespielten Originalraums und der Tatsache, dass es sich um ein Familienunternehmen handelt, das von Deborah Gordon souverän geführt wird. Das Birdland hingegen lebt stärker vom Glanz seines Namens und bietet ein umfangreicheres Gesamtpaket. Es richtet sich an ein breiteres Publikum jenseits eingefleischter Jazzfans – inklusive Merchandise-Stand. Man versteht sich offenbar noch immer als „Jazz Corner of the World“ – ein Selbstbild, das jedoch einen leicht überheblichen Beigeschmack hinterlässt. Das Vanguard dagegen ist eben Jazz pur. Aber um ehrlich zu sein: Am Ende geht es darum, die Musik zu erleben, nicht, welchen Club man besucht. Also, bleiben Sie entspannt, werfen Sie einen Blick auf das spannendere Programm – und entscheiden Sie dann. Wer mutig ist und wissen will, wie sich Jazz und Avantgarde gerade in Manhattan verbinden, besucht ohnehin eher das (Le) Poisson Rouge. Aber das ist dann eine weitere Story in einer der nächsten FIDELITY-Ausgaben.
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Birdland
315 W 44th St, New York
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