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Und dann war da noch: Reh, feat. Rutsche

Reh, feat. Rutsche

...und dann war da noch...

Reh, feat. Rutsche

Als ich neulich FIDELITY Nr. 80 aufschlug, war ich verblüfft. Es sollte nicht das einzige Mal an jenem Tag bleiben.

Ich war zufällig sofort auf Seite 173 gelandet. Von dort lächelte mir Phil Collins entgegen, keck mit hochgezogener linker Augenbraue. Verantwortlich dafür war Kollege Hans-Jürgen Schaal. Nicht für die kecke Augenbraue, aber für die Besprechung der Autobiografie von Phil Collins, Not Dead Yet. Das Ding ist zehn Jahre alt, und die Rezension kommt ausgerechnet in der Ausgabe von FIDELITY, in der ich mich selbst nur vier Seiten später zum ersten und, wie ich dachte, letzten Mal als Letzte-Seite-Kolumnist mit Phil Collins auseinandergesetzt hatte: unter anderem mit dem Zusammenhang von „In The Air Tonight“ und Hautausschlag. ,What are the odds!‘, denglischte mein Hirn, vermutlich in Anlehnung an den Phil-Collins-Song „Against All Odds (Take A Look At Me Now)“. So weit Verblüffung Nummer eins. Verblüffung Nummer zwei kam am Abend: Da scrollte ich im vertrauten Social-Media-Halbkoma durch eine endlose Abfolge von Instagram-Reels, als mich ein Filmchen in den Bann zog. Ein Typ in Shorts und mit Wampe überm Gürtel – das Video war wohl bereits während Coronazeiten aufgenommen worden – coverte Phil Collins’ ikonisches Schlagzeugsolo von „In The Air Tonight“ mit Küchenschranktüren, die in nahezu perfekter Rhythmik rasend schnell zugewummst wurden. Und da hörte es nicht auf, das ist kein Collins-Karma, so funktionieren KI-Algorithmen: Im nächsten Filmschnipsel fährt ein Junge mit dem Fahrrad in wundersamer Percussion-Perfektion in blaue Mülltonnen, in einem anderen stolpert ein Reh in exakter „In The Air Tonight“-Drumsolo-Rhythmik über eine Plastikrutsche im Garten. Mein Favorit aber ist der ältliche Musiker mit Hair-Metal-Frisur und bis zum Bauchnabel aufgeknöpftem Batikhemd, der mit der Gitarre in Händen vor seinem Klavier mit einem Schreibtischstuhl zusammenkracht und dabei Collins ikonografisches Getrommel fantastisch naturgetreu „nachspielt“.

Tja, und da wären wir also wieder, Phil Collins und ich. Dass ich seinen nasalen Tenor nicht hören mag, dass ich, obwohl in den achtziger Jahren musikalisch sozialisiert, bei „In The Air Tonight“ Pickel bekomme – all das ist doch irgendwie klein angesichts des übermächtig großen gesellschafts- und alltagskulturellen Impacts, den allein dieses nur wenige Sekunden kurze Drumsolo von Phil Collins hat. Es wurde in der Liste „101 Greatest Drumming Moments“ als „der geschmeidigste, melodramatischste Drumbreak der Geschichte“ bezeichnet. Ein Kritiker schrieb einst über den Song, dass er „außerordentlich bemerkenswert“ sei, „weil fast nichts passiert. In den ersten zwei Minuten des Songs hört man kein Schlagzeug, aber dann kommt dieses großartige „doo-dom doo-dom doo-dom …

Ich bin kein Schlagzeuger, ich bin kein Phil-Collins-Fan und ich habe sogar darauf geachtet, mir im Zuge dieser Recherche nicht meinen gut trainierten Spotify-Algorithmus kaputt zu machen und bloß nicht „In The Air Tonight“ über meinen Account zu hören. Aber ich muss zugeben, die Biografie-Besprechung von Kollege Schaal („mit viel britischem Humor und packendem Wortwitz – eine mitreißende Lektüre“) hat mein Interesse geweckt. Zum Glück ist das so mit analogen Büchern: Sie werden von keiner KI gesteuert. Ich kann Not Dead Yet lesen, zuschlagen (eventuell in bekannter Rhythmusfolge) – und keiner hat’s gemerkt.

Und dann war da noch: Reh, feat. Rutsche

PS: Unnützes Wissen, Teil 43:

„In the Air Tonight“ war 1981, erschienen auf Collins’ Solodebütalbum Face Value, der erste eigene Hit des damaligen Genesis-Sängers – und bis heute sein wohl größter. Die beste Anekdote dazu aber, im Zusammenhang mit dem Wohltätigkeitskonzert „Live Aid“ zugunsten der Menschen in Afrika, darf Phil Collins selbst erzählen: „Als ich ‚In the Air Tonight‘ bei Live Aid spielte, kam kurz vorher Pete Townshend zu mir und sagte: ‚Du willst doch nicht etwa schon wieder diesen Scheiß-Song spielen?‘ Hey, als wäre das mein einziger Song.“

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