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Die Herzlosigkeit der Perfektion

Wie man HiFi wieder zum Hobby macht

Eigentlich haben wir jetzt das, was wir immer haben wollten. Nämlich perfekte HiFi-Komponenten. So perfekt, dass so­gar Messungen sinnlos sind, nur noch der Untermauerung von Kompetenz dienen. Kein Rauschen, kein Brummen, keine Knackser, keine Fehlfunktionen, via Smart Device fernbedienbar, mit Internet und Home-Netz­werk verbunden, energiesparend, kühl lau­fend, sich mit jedem Lautsprecher ver­tragend und, das ist eine Tatsache, auch der Klang ist perfekt.

Genau das war jetzt die Be­schreibung moderner, voll­digitaler, superkompakter Schaltverstärker. Oder aller ähnlichen Komponenten. Also sitzen wir da, hören Musik und sind so zu­frieden, wie es der stolze Besitzer eines modernen Fortbewegungsmittels der oberen Mittelklasse über­haupt nur sein kann.

Wunderbar.

Danach gehen wir in die Garage und polieren glücklich-doof grinsend den verwitterten Lack eines 30-jährigen Alfa Romeos mit hartnäckigen Getriebeproblemen, dessen Vergasereinstellung uns regelmäßig an den Rand der Verzweiflung bringt und dessen Sitze ge­rade ausgebaut sind, weil wir sie mit duftendem, penibel ausgesuchtem Leder neu beziehen lassen. Außerdem quatschen wir jeden bei jeder Gelegen­heit über den Oldie voll, bis das übliche mitleidige Schulterklopfen kommt, das für ungefährliche, noch körpergepflegte Verrückte reserviert ist. Von den leidend hochgezogenen Augenbrauen unserer An­getrauten – der wir zum Geburtstag ein rotes Alfa-Käppi geschenkt haben – ganz zu schweigen.

Mein kleines Beispiel diente jetzt nur der Verdeut­lichung des Unterschieds zwischen normalem Kon­sum mit Zufriedenheitsgarantie und einem echten Hobby, also einer Leidenschaft. Wenn Sie bei­spielsweise eine kleine Analog-Werk­zeugkiste besitzen, gefüllt mit win­zigen Schraubendrehern, einer Präzisions-Dosenlibelle, einer Uhrmacher-Augenlupe, feins­ten Edelstahl-Schräubchen, verschiedenen Pinzetten, einem Kontaktmittelchen plus einem Hunderter-Satz Inbus-Schlüsselchen sowie einer Handvoll Zahnarzt-Werkzeugen, dann sind Sie womöglich der Besitzer ei­nes fetten Plattenspielers mit mindestens zwei Tonarmen, deren regelmäßige Inspektion an verregneten Wochenenden erfolgt, gerne verbunden mit einer Kontrolle des Ölstands im Laufwerkslager. Die bes­sere Hälfte schweigt über solche Rituale übrigens beharrlich, weil sie ja sonst die bohrenden Fragen ihrer Freundinnen – „Ist auch wirklich alles in Ord­nung mit ihm?“ – beantworten müsste; immerhin ist Ihr Verhalten ja noch tolerabel, verglichen mit Män­nern, die kein Hobby haben, aber zweimal im Jahr Thailand-Urlaub machen.

Das Verflixte an den perfekten Gerätschaften ist, dass es einfach gar nichts mehr zu schrauben gibt. Erfahrene Audiodesigner, die mit dem Thema Langeweile und Basteltrieb vertraut sind, versehen ihre Konstrukte deshalb mit umfangreichen Setups; beliebt sind etwa zahlreiche digitale Filter, dimmbare Displays mit verschiedenen Hintergrundmotiven, Stilllegungs-Prozeduren für unbenutzte Eingänge, geschwätzige Assistenten zur Einrichtung von USB-Eingängen und Softwareplayern sowie 50-seitige Anleitungen mit zahlreichen Links zum Aufsetzen eines Musikservers unter Windows. Mitfühlende, konsequente Hersteller bauen sogar ein Fensterchen in die Frontplatte, hinter dem eine Röhre (!) schwitzt, wohl wissend, dass HiFi-Fans zum Handauflegen neigen, um wohlige Wärme zu spüren. Da die Röhre die Performance nur beeinträchtigen würde, dient sie ausschließlich als Stromquelle für eine höhnisch stechend blau leuchtende LED, die man im vierten Untermenü sogar dunkler stellen kann. Wundern Sie sich übrigens nicht, wenn Sie bei den Digitalfiltern praktisch keinen Unterschied hören. Deren einziger Zweck ist nämlich, auch einen aalglatten Frequenzgang bis 100 kHz zu produzieren, falls ein Testmagazin auf den absurden Gedanken käme, das Gerät nachzumessen.

Dummerweise sind alle Setups nach spätestens einer Woche endgültig erledigt, alles spielt nun zu Ihrer vollsten Zufriedenheit. Es ist trotzdem Ihre eigene Schuld, wenn Sie dann unbefriedigt auf der Hörcouch rumhängen. Denn eigentlich klingt so ein perfektes Gerät ja noch besser, wenn man ein paar nicht ganz billige Maßnahmen umsetzt, deren Erfinder auf dem Standpunkt stehen, dass jeder, der keine Untersetzer, Plattformen und Spezialkabel benutzt, null Ahnung von HiFi hat. Grundsätzlich werden solche Hilfsmittel übrigens mit vier statt mit drei verstellbaren Füßen geliefert, womit Sie wieder eine Woche gut unterhalten werden; außerdem weiß doch jeder, dass Schaltnetzteile, die nicht perfekt „im Wasser“ stehen oder nicht mit einem „Chip“ beklebt werden, scheiße klingen.

Erfahrungsgemäß verschaffen einem solche Tuning-Maßnahmen mindestens ein kurzweiliges Jahr. Dann ruft entweder die Bank an oder die Lebensgefährtin vermutet ob Ihrer anhaltend schlechten Laune, dass Sie fremdgehen. Also wird es höchste Zeit, dass Sie Ihre Probleme dauerhaft lösen. Dazu kaufen Sie sich einen Manufaktur-Röhrenverstärker (dessen Hersteller verlautbart, dass er in der Toskana residiert und mindestens drei Stunden am Tag in der Werkstatt verbringt), einen Hochwirkungsgrad-Lautsprecher (mit fremderregtem Treiber, also mit Elektromagneten, für den Sie eine exotische Stromversorgung benötigen) und einen Plattenspieler, den Sie selber zusammenbauen müssen (betrifft praktisch das gesamte Highendplattenspieler-Angebot weltweit). Um das zu bewerkstelligen, verscherbeln Sie den Alfa – Sie werden ihn nicht mehr brauchen – und behalten bitte Ihre perfekte Anlage, denn Sie wollen ja zwischendurch noch ordentlich Musik hören.

Was Sie dann haben, ist endlich wieder echte, harte, schweißtreibende, Seele und Herz erfrischende Hobbyarbeit. Außerdem kriegen Sie nun Brummen, Rauschen, knacksende Schalter, knisternde Röhren, Mikrofonie-Erscheinungen, einen Frequenzgang, der aussieht wie ein Tourenplan des bayerischen Alpenvereins, perfide Kabelprobleme und Verzerrungen an den Innenrillen zurück. Für den Weg zwischen Sofa und Rack empfehle ich noch einen weichen Teppich. Außerdem lernen Sie, dass „laute“ Lautsprecher mindestens genauso zickig wie Vierfach-Vergaser sind, dass Feldspulen-Stromversorgungen unterschiedlich klingen und dass sich manche Röhrenverstärker elektrische Wehwehchen zulegen, die den großen Stromausfall anno 1965 in Nordamerika zur Marginalie degradieren (weil natürlich weder HiFi-Anlagen noch Garagenbeleuchtungen funktionierten, war neun Monate später ziemlich was los). Von der Plattenspieler-Dauerbaustelle ganz zu schweigen. Mit anderen Worten: Sie werden das Ganze wahnsinnig toll finden und sich vehement und mit fröhlichem Herzen auf das neue Projekt stürzen!

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