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Bonnie Tyler - Total Eclipse of the Heart

Bonnie Tyler – Total Eclipse Of The Heart

Longtrack, 1982

Bonnie Tyler – Total Eclipse Of The Heart

Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.

Der Songwriter Jim Steinman (1947–2021) kam aus der Welt der New Yorker Bühnen-Musicals. Bei Theaterproben lernte er 1973 den Sänger Michael Aday aus Texas kennen, besser bekannt als Meat Loaf (1947–2022). Als die beiden an einer Produktion namens Neverland arbeiteten, waren sie sich einig, dass einige von Steinmans Songs darin ein besseres Schicksal verdient hätten als eine kleine „Off-Broadway“-Bühne. So entstand damals Bat Out Of Hell (1977), Meat Loafs Debütplatte und eines der meistverkauften Alben der Geschichte.

Erstaunlicherweise aber wollte erst keine Plattenfirma anbeißen. Clive Davis, der Chef von Columbia, meinte gar, der Musical-geschulte Steinman könne überhaupt keine Popsongs schreiben. Für Davis bestand ein Popsong nämlich aus drei Teilen: A, B und C. „Ich weiß nicht, was Sie da machen“, sagte er zu Steinman. „Sie machen A, D, F, G, D, C. Haben Sie jemals Popmusik gehört?“ Der Produzent des Albums, der Progrocker Todd Rundgren, fand die Komplexität von Steinmans Songs aber gerade interessant. Gleich drei der Stücke auf Bat Out Of Hell kamen auf eine Länge von rund neun Minuten – geradezu Progrock-würdig. Allerdings klang Meat Loafs Debütalbum mehr wie eine Mixtur aus Stadion-Rock und Musical. Oder (so meinte Rundgren) wie eine Parodie auf Bruce Springsteen.

Rund fünf Jahre später sah und hörte die britische Sängerin Bonnie Tyler einen von Meat Loafs Fernsehauftritten und war beeindruckt. Tylers Karriere dümpelte gerade vor sich hin – seit „It’s A Heartache“ (1977) hatte sie keinen Hit mehr gehabt. Sie beschloss, Jim Steinman zu kontaktieren und ihn als Produzenten ihres nächsten Albums anzufragen. „Meine damalige Plattenfirma dachte, ich sei verrückt“, so die Sängerin. Doch Steinman gefielen das Krächzen und die Energie in Tylers Stimme. Er sagte Ja und präsentierte auch zwei eigene Songs – beide wurden jeweils rund sieben Minuten lang. Einer davon war „Total Eclipse Of The Heart“ – Steinman hatte ihn speziell als „Showpiece“ für Bonnie Tylers Stimme konzipiert. „Ich bekam Gänsehaut“, erinnert sich die Sängerin. „Ich mag Songs, die viel Energie verlangen.“

Bonnie Tyler - Total Eclipse of the Heart

Dieser komplexe Popsong über eine abgründig-obsessive Liebe wurde ein sagenhafter Millionenseller. Die Presse beschrieb ihn als episch, melodramatisch, emotional erschöpfend – „eine der besten Radio-Balladen ever“ (AllMusic). Steinman selbst nannte ihn ein „Vampir-Liebeslied“, einen „Fiebersong“, einen „tanzbaren Exorzismus“. Oft hat man ihn als die erste Power-Ballade beschrieben – doch „Total Eclipse“ besitzt viel mehr als nur eine große Steigerung. Dieser Song mäandert – er ändert immer wieder die Richtung, die Phrasierung, die Harmonik, die Dynamik. Er ist formal komplex (etwa so: AABCDEAABCDA), hat gleich mehrere Hooklines oder Ohrwurm-Stellen und einen bombastischen Instrumentalteil (3:07 bis 3:37). Der ausufernde Songtext ist ein 100-Zeilen-Gedicht.

Die Musikologin Freya Jarman hört in „Total Eclipse“ den Einfluss des Progrock und sieht Steinman auch als Wegbereiter für Metal-Balladen wie „Wind Of Change“ (Scorpions) oder „Nothing Else Matters“ (Metallica). Rory Dodd, der im A-Teil des Songs den Part des männlichen Liebesobjekts gesungen hat, sagt: „Es war ein total anderes Songkonzept. Es ist eine Story, es ist Theater.“ Journalisten haben den Song mit Queens „Bohemian Rhapsody“ verglichen. Bei einer Umfrage nach dem beliebtesten Lied, das die Engländer unter der Dusche singen, belegte „Total Eclipse“ noch 2013 den ersten Platz.

www.bonnietyler.com

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