Zu Besuch bei Tritonus – Ich sage jetzt besser nichts!
Tritonus: Besuch bei einer kleinen Firma in Stuttgart, die hinter vielen großen Aufnahmen steht
Ein Firmenschild? Bei Tritonus Fehlanzeige. Ich suche vergeblich den Eingang, rufe schließlich an und bekomme den rettenden Tipp: „Einfach die unterste Klingel drücken!“ – Tritonus, vor gut 25 Jahren von drei Absolventen der Detmolder Musikhochschule gegründet (mittlerweile ist man zu viert), residiert in einer ruhigen Ecke von Stuttgart, übrigens nur gute 100 Meter von Tacet entfernt. Doch Tritonus betreibt kein Aufnahmestudio und tritt auch nicht als eigenständiges Label auf. Die vier Tonmeister arbeiten als reine Dienstleister für Auftraggeber, nehmen in Kirchen und Konzertsälen auf; lediglich das Schneiden, Mixen und Mastern erledigen sie in ihren Räumen. Entsprechend unspektakulär sieht es bei Tritonus aus: kleine Abhörräume für die Postproduktion, Büros und ein Lager, in dem das Aufnahmeequipment auf den nächsten Einsatz wartet.
Gesprächspartner ist Andreas Neubronner, zeitweise weilt auch sein Kollege Peter Laenger bei uns. Stephan Schellmann schneidet in einem der Abhörräume und Markus Heiland, der vierte im Bunde, arbeitet gerade „on Location“.
Wir sitzen zunächst in einem Büro, es gibt Kaffee und Wasser. Der Tritonus (die übermäßige Quarte), der früher in der Musik „diabolus in musica“ hieß, dient als Einstieg.
FIDELITY: Was ist an Ihnen so teuflisch?
Andreas Neubronner: Ach, diabolus in musica? Nein, daher kommt der Name nicht. Wir haben Tritonus zu dritt gegründet und fanden das Wortspiel witzig.
FI: Können Sie beim Blick auf den Tonträgermarkt auch noch lachen?
AN: Oh je, das ist schwierig. Wo hören die Leute denn Musik? Im Auto, beim Joggen, in der Küche – da tut es meistens ein MP3. Die wirklichen Zuhörer sind selten.
FI: Lohnt sich denn dann noch die Mühe, die Sie sich bei jeder Aufnahme geben?
PL: Ja, unbedingt. Denn auch bei MP3 hört man die Qualität des Ausgangsmaterials. Und da man nicht für jedes Konsumverhalten extra aufnehmen und mastern kann, muss man für alles gerüstet sein. Und der Klang eines guten Instrumentes ist es immer wert.
FI: Also immer mit den bestmöglichen Mikrofonen und dementsprechendem Equipment aufnehmen?
PL: Ja klar, Qualität zahlt sich immer noch aus. Die Basis muss erst einmal stimmen, dann kann man immer noch weitersehen.
FI: Gilt das auch – ich schreibe ja für ein HiFi-Magazin – für die Kabel?
PL: Sehen Sie, bei einer Aufnahme gelten doch ganz andere Gesetze. Natürlich muss ein Kabel alles sauber durchlassen und darf die Geräte nicht belasten; also: geringer Widerstand, nicht zu kapazitiv, etc. Aber bei einer Aufnahme steht die Zuverlässigkeit an erster Stelle. Wenn ich in San Francisco aufnehme und mein empfindliches Superkabel macht keinen Mucks mehr, nachdem sich einer der Musiker mit seinem Stuhl draufgesetzt hat, nützen mir die letzten drei Prozent Klangqualität reichlich wenig.
AN: Eben. Zu Hause gelten natürlich andere Regeln, da freuen sich manche Freaks ja schon fast, wenn ihnen die Anlage einen Grund gibt, den Lötkolben anzuwerfen.
FI: Wird die Anlage ein dominanter Teil des Hobbys und verdrängt die Musik?
AN: Leider viel zu oft – das sage ich jetzt als Tonmeister. Wenn ich meinen Bekannten neue Aufnahmen vorspiele, bleiben manche voll bei der Musik. Und einige von den HiFi-infizierten Freunden hören zehn Sekunden zu und sagen dann: „Ja, klingt klasse. Da muss ich doch gleich mal ein anderes Lautsprecherkabel ausprobieren!“ Diese Leute merken gar nicht, was auf der Aufnahme passiert, die werden sich nie in der Musik verlieren.
FI: Und wird es mit dem anderen Kabel dann besser?
AN: Das interessiert mich herzlich wenig, ich bleibe bei der Musik. Ich glaube aber sofort, dass diese Menschen Unterschiede hören. Man kann sein Gehör ja auf alle möglichen Parameter trainieren. Und dann kann man sicher Kabel, Stecker oder sonstwas hören. Ich merke da reichlich wenig, aber solange ich ihnen nicht mittels wissenschaftlich belastbarer Tests das Gegenteil beweisen kann, glaube ich es einfach.
FI: Also kein Verteufeln der Highend-Szene?
AN: Überhaupt nicht. Solange es Spaß macht und zu einem genussvolleren Hören beiträgt, stehe ich voll dahinter. Ich bedauere es nur persönlich, wenn die Musik so sehr in den Hintergrund tritt.
PL: Wenn ich Musik höre …
FI: … womit denn privat?
PL: Mit Quad ESL 57. Also, wenn ich höre, achte ich nach ein paar Sekunden doch gar nicht mehr auf den Sound. Und wenn doch, ist die Musik wohl langweilig.
AN: Man hört sich ja auch so leicht Dinge zurecht. Als ich vor vielen Jahren mit meinem damals kleinen Sohn Das Fliegende Klassenzimmer in Schwarz-Weiß sah, meinte er hinterher, wie lustig es doch sei, dass der Anfang des Films ohne und der Rest mit Farbe gewesen sei. Das Gehirn ergänzt ungemein gut. Deshalb funktionieren kleine Lautsprecher wie die LS 3/5A. Das Dröhnen und Pumpen großer Kisten ist viel schwieriger wegzufiltern.
FI: Dieses visuelle Beispiel bringt mich zu meiner nächsten Frage: Im Konzert erlebe ich Musik ja ganz anders als zu Hause, weil ich in einer völlig anderen Stimmung und Anspannung bin – und weil ich die Musiker sehe. Müssen Sie da als Tonmeister kompensieren?
AN: Ja klar, Beschiss ist unser täglich Brot … Nein im Ernst: Natürlich müssen wir etwas nachwürzen, um das Erlebnis in diese andere Form der Rezeption hinüber zu retten.
FI: Also soll eine Aufnahme – wie viele behaupten – das Konzertereignis ins Wohnzimmer bringen?
AN: Das ist doch Quark!
PL: Nein, eine Aufnahme ist eine eigene Kunstform. Im Konzert erlebt man Dinge, die auf keinem Tonträger gehen. Und bei einer Aufnahme hat man Möglichkeiten, die kein Konzertbesuch bietet.
FI: Zum Beispiel?
PL: Na die Platzwahl. Wir können uns den absolut besten Platz suchen, um in das Orchester hinein zu hören. Und wenn das in fünf Metern Höhe ist. Da hängt normalerweise kein Konzertbesucher.
FI: Lassen Sie mich noch einmal auf das Würzen zurückkommen. Wie geht das vonstatten? Mit Kompressoren, Excitern, dem kleinen Dreh am Equalizer?
PL: Nein, bloß nicht, das würde man ja alles hören.
AN: Wir machen uns hier die Möglichkeiten der Multimikrofonie zunutze. Ich kann die Stützmikrofone ganz fein regulieren und dadurch für klare Sicht sorgen. Das sind aber immer nur wenige Dezibel, keine Welten.
FI: Ist Kompression also für Sie kein Thema?
PL: Nein, eigentlich nicht. Wenn wir in einem richtig leisen Saal aufnehmen, kann es zu einer dynamischen Bandbreite von über 60 Dezibel kommen. Das ist zu Hause mit dem in der Regel viel höheren Geräuschteppich gar nicht darstellbar. Da brummt ein Kühlschrank oder ein Computer, man hört die Straße oder Flugzeuge. So leise wie in einem wirklich gut isolierten Saal ist es fast nirgends. Da nehmen wir dann ein paar dB ab, um der Realität Rechnung zu tragen. Fünfzig Dezibel bleiben aber fast immer.
FI: Apropos „leiser Saal“: Wie wichtig sind die Aufnahmesäle für Ihre Arbeit?
AN: Die sind das A und O. Ohne guten Saal wird keine wirklich gut klingende Aufnahme zustande kommen. Ein Saal der atmet, der den Klang führt und unterstützt – das ist Gold wert. Leider werden diese Säle immer weniger.
FI: Immer weniger? Es werden doch viele neue Säle gebaut.
AN: Also die wirklich guten Säle sind meistens alt. Musikverein (Wien), Concertgebouw (Amsterdam), Victoria Hall (Genf), der alte Sendesaal in der Nalepastraße (Berlin) – diese Säle sind einfach unglaublich. Da ist es schon fast egal, wo man die Mikrofone hinstellt, das klingt sofort. Die Sophiensäle in Wien sind abgebrannt.
FI: Und die berühmten Säle in Luzern oder San Francisco?
AN: San Francisco ist nicht schlecht, Luzern (KKL) klingt zu kalt; nicht mein Ding. Die neuen Säle müssen ja auch fast immer alles können: für Kongresse, Messen oder andere Veranstaltungen geeignet sein. Und es gibt in ihnen zu wenig Holz.
FI: Holz garantiert also einen guten Klang?
AN: Für einen guten Bass ist es lebenswichtig. Steinwände sind nur für die höheren Frequenzen ok. Allerdings muss das Holz auch richtig verarbeitet sein. Wenn manche modernen Architekten die Bretter plan auf den Estrich leimen, haben sie was Grundsätzliches nicht verstanden. Holz hilft nur, wenn man es auch schwingen lässt.
FI: Auch bei Lautsprechern?
AN: Nein, da soll kein Gehäuse schwingen, deshalb hören wir hier auch mit Elektrostaten (ESL 63 mit Gradient-Subwoofern; Anm. d. Red.). Wir haben alle möglichen Kisten ausprobiert, dieses Pumpen im Bass hat uns immer genervt. Nein, der Raum ist wichtig, der soll schwingen.
FI: Gilt das auch für die Wiedergabekette zu Hause?
PL: Unbedingt. Ohne guten Raum nützt die beste Anlage nichts.
FI: Und was ist mit den Highendern, die in einem Wohnzimmer mit Fliesenboden und großen Fenstern teure Kabel zur Klangverbesserung ausprobieren?
AN: Ich sage jetzt besser nichts (verzweifelter Blick zur Decke).
FI: Dann bitte ich um Aussagen zu ein paar Fragen aus der High-End-Welt: Gibt es eine Tiefenstaffelung in der Abbildung? Manche Hersteller von Audiogeräten verneinen das.
AN: Ich kann doch nichts dafür, wenn sich die nicht mit den technischen Hintergründen der Tonaufzeichnung auskennen. Also in aller Deutlichkeit: ja!
FI: Welcher Schritt ist wichtiger: von 16 auf 24 Bit oder von 44,1 auf 96 Kilohertz?
PL: Unbedingt von 16 auf 24 Bit, das ist ein echter Schritt, weil ein echtes Mehr an Auflösung.
FI: Was wundert Sie in der HiFi-Welt?
AN: Die Begeisterung für Plattenspieler. Wenn die Leute analog hören wollen, sollen sie doch eine Bandmaschine nehmen. Wir haben so oft unsere Bänder gegen die ersten Testpressungen verglichen. Es war jedes Mal erschütternd!
FI: Ist der perfekte Abhörlautsprecher auch der ideale Lautsprecher für zu Hause?
AN: Es gibt keinen perfekten Lautsprecher. Irgendwelche Reihenfolgen aufstellen zu wollen, ist doch Blödsinn. Der Lautsprecher, mit dem ich persönlich den meisten Spaß habe, der mich in meinem Empfinden der Musik unterstützt, ist der richtige für mich. Ganz egal, was andere sagen, ob er auf Platz 1 oder 27 ist, wie er sich misst. Es geht doch um Spaß an der Musik!
FI: Also keine klare Wertung?
AN: Dogmen sind für den Müll. Wie beim Aufnehmen. Ich muss auf den Saal und die Musiker reagieren. Nicht nur dem Wissen, sondern auch meinen Instinkten folgen. So entstehen die besten Aufnahmen.
Zur Demonstration gehen wir in einen der Masteringräume: kreatives Chaos („die besten Diffusoren“), eine Workstation und genannte Quad ESL 63. Wir hören Ausschnitte aus der 8. Sinfonie von Gustav Mahler mit dem San Francisco Symphony Orchestra unter Michael Tilson Thomas. Unkomprimierte 60 Dezibel Dynamikumfang brechen über mich herein. Zur Verdeutlichung, was das auch bedeuten kann: In einem wirklich leisen Zimmer liegt der Grundgeräuschpegel mit etwas Glück bei 50dB, und eine Kettensäge bringt es in einem Meter Abstand auf 110dB. Zu Hause wird es – tut mir leid – nur den allerwenigsten von uns möglich sein, einen solchen Dynamikumfang darzustellen.
AN (voll in seinem Element): Und jetzt der Choreinsatz … ganz leise, ohne Druck. Das war reines Glück. Der Dirigent kümmerte sich in einer Aufführung an der Stelle nur um das Orchester, der Chor war unsicher, setzte zu zaghaft ein und so entstand der für diese Stelle perfekte Klang.
In der Tat setzt jetzt in der Tiefe des Raumes der breit aufgestellte Chor ein und fügt sich so zart in den Streicherklang, wie ich es vorher noch nicht gehört habe. Neubronner schwelgt und schwebt – ein Überzeugungstäter. Und ein faszinierender Klang. Ob es einen Tritonus-Hausklang gibt? Vielleicht in Zusammenarbeit mit den Künstlern entwickelt?
AN: Absolut. Wir wollen immer alle Stimmen hörbar machen, ohne den Zusammenhang zu verlieren. Alles was uns der Komponist hinterlassen hat, ist wichtig. Als wir mit Michael Tilson Thomas einige Mahler-Takes abhörten, saß er mit Tränen in den Augen da. „Es ist wirklich ALLES da“ sagte er. In solchen Momenten wissen wir, dass wir es geschafft haben.
Wir hören uns durch Mahler aus San Francisco und eine in der Nalepastraße produzierte Harfen-Aufnahme.
„Das ist der Saal. Kein Fetzen künstlicher Hall drauf – in dem Saal geht alles!“
Das Gespräch fing bei der Musik an und genau da sind wir nun wieder gelandet. Denn die Tonmeister von Tritonus sind vernarrt in Musik, nicht in die Technik. Und doch beherrschen sie diese blind, um ihre für jedes Werk eigens erarbeitete Klangvorstellung verlustfrei umsetzen zu können.
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