Höhepunkte
Illustration: Florian Schäfer
Letzte Woche besuchte unsere Nachbarin eine Tupperparty in London. Der Trip wurde vom örtlichen Reisebüro zum Sonderpreis von 99 Euro angeboten, inklusive Eintritt. Schon Tage vorher redete sie über nichts anderes und fieberte ihrem persönlichen Jahreshöhepunkt entgegen. Ich fragte mich natürlich sofort – wie Sie jetzt wahrscheinlich auch –, wieso jemand für die Demonstration von ein paar bunten Plastikschälchen quer durch Europa reist und dann dafür, dass er den Kram kaufen darf, auch noch Eintritt bezahlt. Doch dieses Phänomen ist gar nicht mal so selten, wie uns ein Seitenblick zur „Hai And …“, der größten europäischen Fachmesse für Angelzubehör und Fischfutter, verdeutlicht. Diese jährlich im Anglermekka München – strategisch günstig in der Mitte zwischen Nordsee und Mittelmeer gelegen – veranstaltete Messe zog auch in diesem Jahr wieder Heerscharen von Interessierten an. Wieso eigentlich? Die Motivation der Hersteller ist klar. Sie wollen ihre neusten Angeln und Blinker auf der Show präsentieren und verkaufen. Die Händler wiederum nutzen die Anwesenheit der Hersteller für den Ein-kauf und zum Informationsaustausch. Da wirklich alle anwesend sind, erspart man sich eine Menge Reisetätigkeit. Für die Fachjournaille ist die Messe ebenfalls Pflicht, da nur hier ein so umfassendes Networking möglich ist. Und was machen die Endverbraucher in München? „Die waren schon immer da“, behaupten die alten Hasen der Szene, aber das stimmt natürlich nicht. Früher, als man sich noch in Neu-Isenburg bei Frankfurt traf, tauchten dort irgendwann die ersten Privatleute auf. Sie störten nicht weiter, also durften sie bleiben. Nach und nach wurden es aber aufgrund ausgiebiger Mund-zu-Mund-Propaganda immer mehr, und man beschloss, Eintritt zu fordern, um die Quälgeister wieder loszuwerden.
Die abschreckende Wirkung blieb aber unerwarteterweise aus. Es kamen im Gegenteil immer mehr sensationslüsterne Besucher, die auf ein besonderes Freizeiterlebnis spekulierten – bei den Eintrittspreisen eine naheliegende Vermutung. Die Messepilger gieren nun alljährlich nach dieser Sensation und kehren abends frustriert nach Hause zurück, um im nächsten Jahr wiederzukehren. Und der Veranstalter ist zwischenzeitlich von den Zusatzeinnahmen abhängig geworden.
Messeneulinge erwartet in den heißen, stickigen Hallen eine besondere Herausforderung. Manche der ausgestellten Fischfuttermaschinen erweisen sich als so laut, dass das Verweilen nur denjenigen Muße bereitet, die sich schon immer mal in aller Ruhe anschreien wollten. Dauerkartenbesitzer sind da im Vorteil, da sowieso schon taub.
Mancher besucht die Messe, um seine soziale Stellung innerhalb der lokalen Anglergruppe zu stärken, und das geht so: Er sucht sich einen der in der Szene akzeptierten Angelhakenentwicklergurus, stürmt auf diesen zu, umarmt ihn mit Bruderkuss, klopft ihm auf die Schulter, begrüßt ihn auffallend laut und überschwänglich und drängt ihm einen belanglosen Schwatz auf. Chefredakteure bekannter Fachmagazine sind ebenfalls beliebte Ziele. Das geherzte Opfer kennt den Eindringling zwar überhaupt nicht, möchte aber aufgrund der Öffentlichkeit eine Eskalation der peinlichen Situation vermeiden und macht gute Miene zum bösen Spiel. Schon ist der Nervling in der Achtung der ihn begleitenden Mitangler gestiegen. Gut, dass wir im HiFi-Bereich diesen Messe-Unsinn nicht brauchen.
Sie haben es sicher gemerkt – die Geschichte ist frei erfunden. Eine Frau würde für eine Tupperparty niemals Eintritt bezahlen!