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Emerson, Lake & Palmer - Karn Evil 9

ELP – Karn Evil 9

Longtrack, 1973

Emerson, Lake & Palmer – Karn Evil 9

Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.

Nach längeren Tourneen entstand 1973 Brain Salad Surgery, das vierte Studioalbum der Supergroup Emerson Lake & Palmer (ELP). Die Band wähnte sich am Gipfelpunkt ihrer Kreativität: „Ich hielt das Album für den Anfang unseres Höhenflugs“, so Carl Palmer. Im Rückblick muss man sagen: Es war schon der Abschluss von ELPs Blütezeit. Viele Fans, Kritiker und Musiker halten Brain Salad Surgery allerdings für das stärkste Album der Band. Rick Wakeman meint, es sei „seiner Zeit weit voraus“ gewesen. Frank Us (Legacy Pilots) nennt es „das ultimative Werk des Progressiven Rock“. Die ersten Reaktionen der Musikpresse bei Erscheinen des Albums klangen weniger begeistert. Die erste Plattenseite zumal wirkte wild zusammengewürfelt – mit einer völlig unmotivierten englischen Volkshymne, einer dieser notorischen Klassikadaptionen, der obligatorischen Greg-Lake-Ballade und einem Honkytonk-Song.

Emerson, Lake & Palmer - Karn Evil 9

Das Herzstück des Albums allerdings ist der originelle Longtrack „Karn Evil 9“ – eigentlich eine Longtrack-Trilogie, eine „halbstündige Science-Fiction-Suite“ (Ian Fortnam). Als Ausgangspunkt im ersten Teil („First Impression“) dient die Vision einer dystopischen Welt, in der nur noch ein surrealer Zirkus (ab 5:22) für Aufheiterung sorgen kann. Emerson stellte sich diese Welt auf einem Exoplaneten vor, den er „Ganton 9“ nannte. Peter Sinfield, der als Co-Texter herangezogen wurde, fand den Zirkus-Aspekt des Songs aber interessanter und sprach lieber von „Carnival“. So entstand als Synthese schließlich der Songtitel „Karn Evil 9“. (Emerson war ein Fan des Stuntmans Evel Knievel.)

Diese „First Impression“ (13:22) geriet einigermaßen textlastig (3000 Anschläge!), aber gesangsmelodisch eher schlicht. (Allein der Zirkus-Teil hat 13 einheitlich gebaute vierzeilige Strophen, jede mit einem dreifachen Reim.) Die instrumentalen Zwischenspiele – von Hammondorgel, Synthesizer, E-Gitarre, Schlagzeug usw. in verschiedenen Kombinationen – sind zwar zahlreich und apart, aber meistens recht kurz. Dafür ist die „Second Impression“ (7:07) dann durchgängig instrumental gehalten. Emerson greift dabei aufs Pianotrio zurück (Klavier, Bass, Schlagzeug), ein Format, das er seit seinen Jazz-Anfängen sehr mochte. (Mindestens zwei Jazzthemen werden im Stück zitiert.) Es gibt ein hektisch-virtuoses Hauptthema, einen zweiminütigen mysteriös-ruhigen Mittelteil und eine jazzig-rasante Improvisation gegen Ende. Außerdem ist ein „karibisches“ Orgelsolo im „Steeldrum“-Sound eingestreut.

Mit der „Third Impression“ (9:06) kehren wir zur Science-Fiction-Dystopie zurück. Diesmal geht es um den Konflikt zwischen Mensch und Computer – und das 1973, als es noch gar keine PCs gab, geschweige denn Internet oder KI. Musikalisch ist „Third Impression“ der kapriziöseste Teil der „Karn Evil“-Suite – ein „äußerst aggressives Stück“ (Walter Sehrer) mit „ungestümen, diamantenharten Strukturen“ (Paul Stump). Ein echter Greg-Lake-Klassiker ist die Gesangsmelodie (ab 0:25): „Man alone, born of stone, will stamp the dust of time“. Emersons Synthesizer antwortet mit einer Melodie-Variation (ab 3:00), die ein gewisses Prokofjew-Feeling besitzt. Der grundlegende Charakter des Stücks ist marschartig, fast martialisch. Es gibt Synthesizer-Fanfaren und später einen ostinaten Stakkatorhythmus. Das Orgelsolo (ab 4:30) führt in die musikalisch interessanteste Passage (ab 5:50), den eigentlichen „Kampf“ zwischen Mensch und Maschine. Hinter der verfremdeten Computerstimme („I’m perfect! Are you?“) steckt übrigens Keith Emerson.

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