FIDELITY Wissen: Lautsprecherwege
Mehrwegelautsprecher sind so allgegenwärtig, dass man die Notwendigkeit der Aufteilung kaum hinterfragt. Wieso nicht einfach den gesamten Frequenzgang mit einem Treiber abbilden? Ist komplexer immer besser?
Nähern wir uns der Antwort zunächst von den Frequenzenden her. Die Frage, wieso ein 25-Millimeter-Treiber keinen Bass reproduzieren kann, lässt sich recht simpel beantworten: Er kann, aber nur ganz leise – das muss richtig sein, denn sonst könnten Kopfhörer nicht funktionieren. Da die Membran bei 20 Kilohertz 1000-mal so oft hin- und herschwingt wie bei 20 Hertz, gibt sie bei gleicher Membranfläche und Auslenkung in einer gegebenen Zeit auch 1000-mal so viel Energie an die umgebende Luft ab und erzeugt damit den 1000-fachen Schalldruck. Im Umkehrschluss muss ein Treiber bei 20 Hertz also pro Schwingung 1000-mal so viel Luft bewegen, um denselben Schalldruck zu erzielen. Und das erfordert eben eine Kombination aus Membranfläche und Hub.
Schwieriger zu erklären ist, warum große Treiber schlechte Hochtöner abgeben. Intuitiv möchte man Trägheit die Schuld geben, doch das ist nur bedingt richtig: Da eine große Membran im Hochton nur mikroskopische Auslenkungen erfordert, ließe sich ohne Weiteres ein Motor dranhängen, der deren Ein- und Ausschwingverhalten auch bei höchsten Frequenzen sicher im Griff hätte. Das Problem ist eher die Membran an sich, die bis zu einer bestimmten Frequenz kolbenförmig schwingt und darüber in Partialschwingungen aufbricht, sprich, in sich zu „flattern“ beginnt, was sich akustisch in unschönem Klingeln bemerkbar macht. Ein großer Treiber, der auch bei hohen Frequenzen nicht aufbricht, ist wesentlich schwerer herzustellen als ein kleiner.
Der Hauptgrund, warum Hochtöner fast immer klein sind, liegt im Abstrahlverhalten: Solange die Wellenlänge, die ein Treiber abgibt, größer ist als sein eigener Durchmesser, strahlt der Lautsprecher breit ab – sobald die Wellenlänge jedoch den Membrandurchmesser unterschreitet, wird die Schallabstrahlung zu höheren Frequenzen hin zunehmend gebündelt. Nach Adam Riese strahlt ein 17-Zentimeter-Konus demnach oberhalb von 2 Kilohertz zunehmend gerichtet ab, eine 25-Millimeter-Kalotte dagegen erst ab 14 Kilohertz – Zweiwege-Lautsprecher mit der beschriebenen Bestückung und einer Trennfrequenz irgendwo um 2000 Hertz herum sind also nicht umsonst so häufig anzutreffen.

Selbst wenn man die Bündelung akzeptieren wollte, spricht noch ein drittes Phänomen gegen Breitbänder: Dopplerverzerrungen. Lautsprecher erzeugen Schalldruck durch Membranbewegung, und wir wissen nun, dass die gleiche Membran mehr Auslenkung benötigt, um einen tieferen Ton mit der gleichen Lautstärke zu reproduzieren. Möchte man also mit einem Breitbänder gleichzeitig einen 1000-Hertz- und einen 50-Hertz-Ton wiedergeben, benötigt Letzterer die 20-fache Auslenkung des Ersteren, was zugleich bedeutet, dass sich der Ausgangspunkt der 1-Kilohertz-Welle 50 Mal pro Sekunde um deren 20-fachen Hub vom Hörer weg und wieder auf ihn zu bewegt, die Welle wird dementsprechend gestaucht und gestreckt und die Tonhöhe dementsprechend moduliert – musikalisch gesehen also die garstige Schwiegermutter eines Vibratos.
Im Team besser?
Bei all den Gegenanzeigen werden im Hinterkopf Rufe nach dem 99-Wege-Lautsprecher laut – doch wenn man sich am Markt umsieht, kommen selbst im Hochpreissegment nicht wenige Lautsprecher mit nur zwei Wegen aus oder arbeiten gar in der Tat als Breitbänder mit nur einem Treiber. Aufwand und Kosten können also nicht der alleinige Grund sein. Das offensichtlichste Argument gegen mehrere Wege ist die physische Distanz zwischen den Treibern, die dafür sorgt, dass die verschiedenen Frequenzbereiche zeitversetzt beim Hörer ankommen, was zu Verzerrungen durch phasenbedingte Auslöschungseffekte führen kann und generell der Bühnenabbildung schadet. Durch geschickte Gehäusekonstruktion lässt sich das Problem zwar lösen – allerdings nur an einem Punkt im Raum. Je mehr Wege ein Lautsprecher hat, desto abhängiger wird er also in aller Regel vom Sweetspot.

Dazu kommt, dass Mehrwegelautsprecher eine Frequenzweiche benötigen. Zum einen bedeutet das Bauteile im Signalweg – je mehr Wege, desto mehr davon –, die zwangsläufig eine gewisse Signaldegradation mit sich bringen. Das weitaus größere Problem sind allerdings die Phasendrehungen, die die Filter verursachen. Je steiler die Filterflanke ausfallen soll, desto größer die Phasenrotation (In diesem Artikel können Sie sich zu diesem Thema schlaulesen). Da sich die Drehung auf einen Wellenzyklus bezieht, ist der Zeitversatz dabei frequenzabhängig: Eine Phasenrotation von 180° bedeutet bei 2 Kilohertz eine Laufzeitverzögerung von einer Millisekunde, bei 200 Hertz sind es 10. Wie empfindlich das menschliche Gehör auf diese Laufzeitunterschiede reagiert, ist eines der im Überfluss vorhandenen heiß umkämpften Themen, doch wenn man eindeutig messbares Fehlverhalten eines Lautsprechers vermeiden kann, dann sollte man das tun – solange man dafür an anderer Stelle nicht zu hohe Opfer bringen muss. Man kann es nur immer wieder feststellen: Ein Lautsprecher ist eine Kiste voller Kompromisse.


