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Bar Neiro

FIDELITY zu Gast bei … Bar Neiro, Berlin

Klang-Bar für Anspruchsvolle

FIDELITY zu Gast bei … Bar Neiro, Berlin

Jazz zum Wein abspielen kann jeder. Was Erik Breuer in der Berliner Bar Neiro macht, ist veritable Kunst.

Bar Neiro
Fotografie: Michael Vrzal, Frank Schröder, Thomas Schick, Erik Breuer

Wessen Vorstellung von einer stilvollen Ausgehdestination die Zutaten gedämpftes Licht, kunstvoll gemixte Alkoholika und Beschallung durch eine vinylgespeiste Musikanlage beinhaltet, der findet Erfüllung im Besuch einer Listening-Bar. Das Konzept ist ein Derivat der Jazz-Kissa. Dieses japanische Kulturphänomen war noch bis vor wenigen Jahren nur Eingeweihten bekannt, hat inzwischen aber einen echten Siegeszug um die Welt angetreten. Der Begriff Jazz-Kissa bezeichnet eine kleine Gastronomie – eine Bar, ein Café –, deren Daseinszweck weniger im Konsum als im bewussten, konzentrierten und ungestörten Genuss von Jazz-Schallplatten besteht. Inzwischen gibt es Listening-Bars auf der ganzen Welt, allein Berlin zählt an die sechs, und es werden stetig mehr. Aber Listening-Bar ist nicht gleich Listening-Bar. Das unter alkoholischen wie musikalischen Aspekten ernsthafteste, puristischste, am stärksten den japanischen Wurzeln verbundene Berliner Etablissement dürfte die Bar Neiro sein.

Es beginnt schon damit, dass der Gründer und Betreiber Erik Breuer ein international bestens vernetzter Tontechniker ist und zusammen mit der Bar auch ein klassisch analog arbeitendes Tonstudio in die ehemalige Industrieetage eingebaut hat. Breuer hat die Welt bereist, hat im Auftrag der Red Bull Music Academy an die 14 Studios gebaut und in Betrieb genommen und pflegte, wo er konnte, immer sein Faible für Vinyl und analoge Technik. Beruflich und privat führte ihn sein Weg auch nach Japan. Er bekommt leuchtende Augen, wenn er von den bis unter die Decke vollgepackten Läden im Tokyoter Stadtteil Akihabara erzählt, wo just all die begehrenswerten Audio-Bauteile aus Vor- und Nachkriegszeiten auf wissende Kunden warten, von denen die in ihren europäischen und amerikanischen Hörräumen nur träumen können.

Bar Neiro

Dass er sich in Berlin niedergelassen hat, liegt auch am japanischen Tonabnehmer- und Plattenspielerhersteller Audio-Technica. Breuer ist Mitglied der Analogue Foundation, einer von Audio-Technica unterstützten Vereinigung mit dem Ziel der Förderung analoger Musikkultur. Die Bar Neiro ist nun kein Showroom, außer den AT-Systemen in den Tonarmen der zwei Bar-Plattenspieler findet sich keine Spur von Markenpräsenz oder Lobbyismus. Aber die „Betriebsart“ des Orts geht über die einer schnieken Ausgehadresse mit angesagtem Kissa-Flair hinaus. Schon jetzt, im ersten Jahr der Bar (Eröffnung war im April 2023) finden regelmäßig kuratierte Hörtermine statt, bei denen eine vorab angekündigte Platte von Anfang bis Ende durchgespielt wird. Erik Breuer will das intensivieren, die Bar Neiro als Ort auch für Vorträge und etwas, das er „Classic Album Sundays“ nennt, im Bewusstsein von ernsthaft an Musik und Analogtechnik Interessierten etablieren.

Die Bar bietet beste Voraussetzungen dafür. Aufgebaut wurde sie, wie auch das direkt angrenzende Tonstudio, als Raum im Raum. Die Grundkonstruktion (Wände der Bar, Böden und Decken der Studios) ist mittels Sylomer-Elementen vom Gebäude entkoppelt. So kann der Drummer in seiner Aufnahmekabine loslegen, ohne dass auch nur eine Andeutung seines Tuns die Kontemplation beim Cocktailgenuss stört.

Bildergalerie
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Das Konzept der Bar-Anlage könnte klassischer nicht sein: zwei Plattenspieler, Röhrenverstärker, Kinohörner. Gut, das ist gesetzt für eine Listening-Bar nach Kissa-Vorbild. Hier aber steckt mehr dahinter. Das Mastermind hinter der Anlage ist der deutsche Grandseigneur des Hörens mit Kleinleistungsröhren und historischen Lautsprecherkonzepten, Keith Aschenbrenner. Beim komplexen Zusammenbau der Lautsprecher des Typs Altec A5 sorgten er und sein langjähriger Partner in Sachen Holzverarbeitung Norbert Gütte für ein stimmiges Ergebnis. Auch die Wahl der Verstärker, die auf eine Vor-/Endstufen-Kombination des japanischen Herstellers Shindo fiel, geht auf deren Empfehlung zurück. Als Plattenspieler fungieren zwei reibradgetriebene Laufwerke des Typs Garrard 301 mit inzwischen auch fast schon klassischen Zwölfzoll-Tonarmen von Thomas Schick. Die Tonabnehmer kommen wie erwähnt von Audio-Technica.

Das klangliche Resultat spiegelt den Aufwand wider. In der Bar Neiro klingt es nicht nach Gastro-Beschallung, der Sound ist mühelos, offen, federleicht dynamisch, unverfärbt, emotional. Man möchte die Anlage einpacken und zu Hause im Wohnzimmer aufstellen.

Für die Musikauswahl bedient sich bei meinem Besuch der hochkompetente Barkeeper in Erik Breuers Vinyl-Kollektion. Er hat ein feines Händchen, die Musik wechselt über die vier Stunden meines Aufenthalts ganz organisch von klassischem Jazz zu Electronica. Die Cocktails sind ganz ausgezeichnet – nur sieben stehen auf der Karte, jeder eine Herausforderung für die Sinne, mit Aromenkombinationen wie Roggenwhisky und rote Miso-Butter oder Wodka/Olivenöl/Sherry. Ich konnte nur zwei kosten. Ich muss wiederkommen. Hier stimmt alles.

Bar Neiro

PS.: „Neiro (音色)“ bedeutet „Klang“

Kontakt

Bar Neiro

Ohmstraße 11
10179 Berlin-Mitte
Öffnungszeiten: Donnerstag bis Sonntag von 18 bis 1 Uhr

www.barneiro.com

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.