Furrer 70
Das Klangforum Wien feiert den Komponisten mit der Medienbox Furrer 70.
Beat Furrer ist kein Komponist, der Musik einfach „schreibt“. Er ringt mit ihr. Jede neue Partitur ist für ihn eher ein Anfang als ein Ergebnis, ein Versuch, sich dem Unfassbaren zu nähern. Seine Musik bewegt sich oft an der Schwelle zwischen Sprache und Klang, zwischen Konzept und Instinkt – selten glatt, nie bequem, aber immer eindringlich. Geboren 1954 im schweizerischen Schaffhausen, zog es Furrer Mitte der 70er Jahre nach Wien, wo er Komposition bei Roman Haubenstock-Ramati studierte. Aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis wurde eine Freundschaft zwischen zwei Künstlern unterschiedlicher Generationen. Gleichzeitig belegte Furrer Dirigierkurse bei Otmar Suitner. Auch hier blieb es nicht bei einem akademischen Ausflug: Furrer begab sich auf eine ernst zu nehmende Laufbahn als Dirigent, mit klarer Vorliebe für die Musik seiner Zeit.
Furrers eigene Musik ist oft fragil, leise, konzentriert – mit Klangfarben, die durch ungewöhnliche Spieltechniken geformt werden. Doch wer denkt, bei ihm herrsche nur ätherische Zurückhaltung, irrt. Werke wie sein erstes Streichquartett (1984) oder In der Stille des Hauses wohnt ein Ton (1987) zeigen, dass eruptive Gewalt genauso Teil seiner Klangsprache ist. Da bricht dann auch mal ein infernalischer Sturm inmitten feiner Tremoli und flatternder Zungen ein. Manche würden Furrers Musik als „Konzeptmusik“ bezeichnen – jedes Stück basiert auf einem neuen kompositorischen Gedankenmodell. Doch das klingt trockener, als es ist. Furrer ist kein Sklave seiner Systeme. Er nutzt Konzepte, wie man Karten auf einer Wanderung nutzt: hilfreich, solange sie nicht den Weg selbst verhindern. „Die Brüche eines Konzepts sind fast wichtiger als das Konzept selbst“, sagt er.
Bereits 1985 hatte Furrer das Klangforum Wien mitgegründet, das unter seiner Leitung und mit seinen Nachfolgern zu einem der weltweit führenden Ensembles für zeitgenössische Musik wurde. Was als visionäres Projekt eines jungen Komponisten begann, ist heute eines der renommiertesten Ensembles für Neue Musik weltweit – mit einem Klang, den man erkennt, bevor man das Programmheft aufschlägt. Seine Konzerte sind keine Darbietungen im herkömmlichen Sinn, sondern konzentrierte, sinnliche Erfahrungen, in denen „das Neue“ nicht nur klingt, sondern sich artikuliert – manchmal flüstert, manchmal schreit, manchmal verführt. Seit seiner Gründung hat das Ensemble rund 600 Werke uraufgeführt – Stücke von Komponistinnen und Komponisten aus vier Kontinenten, mit einer Diskografie von über 90 Veröffentlichungen. Es spielt auf den großen Bühnen Europas, Amerikas und Asiens ebenso wie auf kleinen, wagemutigen Festivals. In Wien hat das Ensemble eine eigene Konzertreihe im Konzerthaus. Und bei den Salzburger Festspielen ist es fast jährlich präsent, häufig mit Uraufführungen. Viele Werke sind aus engen künstlerischen Freundschaften entstanden – auch und gerade mit Beat Furrer. Seine Kompositionen wurden vom Ensemble geprägt, seine musikalischen Ideen durch dessen Neugier und Spielfreude zum Leben gebracht.
Im Jahr 2024, anlässlich seines 70. Geburtstags, würdigte das Klangforum Wien Furrers Werk mit dem Projekt Furrer 70 – eine künstlerisch kuratierte Medienbox, die mehr ist als nur ein Rückblick. Es ist eine Art klingender Selbstkommentar. Auf sechs CDs wurden 18 Schlüsselwerke neu eingespielt – von Furrer selbst dirigiert und von den verantwortlichen Toningenieuren kongenial eingefangen und abgemischt. Darunter frühe Kammermusikwerke, die speziell für diese Veröffentlichung neu aufgenommen wurden, aber auch jüngere Kompositionen wie das Konzert für Violine und Orchester. Alles Werke, die nicht nur für Furrers Œuvre stehen, sondern für seine Denkweise: tastend, fordernd, kompromisslos. Dazu kommen drei Filme, die ihn beim Wandern, Komponieren und im Gespräch mit langjährigen Klangforum-Mitgliedern zeigen – keine glatte Künstlerbiografie, sondern ein Blick hinter die Stirn eines Mannes, der lieber fragt als erklärt. Zwei Bücher runden das Ganze ab: eines, das sich analytisch seinen Kompositionen nähert, und ein zweites, das in seine persönliche Bibliothek führt – ein intimer Zugang zu den literarischen Einflüssen, die seine Musik oft mitformen. Selbst die Gestaltung der Box denkt mit: kein lauter Auftritt, kein grafischer Firlefanz. Stattdessen geprägter Karton, Struktur, Haptik – eine Oberfläche, die wie Furrers Musik unter Spannung steht. Konzipiert wurde sie von dem Wiener Designkollektiv Liza Borovskaya-Brodskaya, Mitzi Gugg und Jakob Mayr, das – ganz in Furrers Sinne – nicht dekoriert, sondern Bedeutung durch Reduktion schafft. Und so begibt man sich in einen ganz eigenen Kosmos: Man gräbt sich durch die durchweg audiophil aufgenommen CDs tief in das kompositorische Denken Furrers hinein, blättert begeistert in den hochwertig aufgemachten Begleitbänden, verknüpft diese mit den gehörten Stücken und legt anschließend in einem wahren Furrer-Rausch noch den USB-Stick in den PC, um die Person Beat Furrer in einem der drei Filme besser kennenzulernen. Man kann sich kein besseres und glaubwürdigeres Geschenk eines Ensembles für seinen Gründer und langjährigen Mentor vorstellen als diese wunderbar gestaltete und klangtechnisch meisterhaft produzierte Medienbox. Und nicht zuletzt beschenkt sich das Klangforum Wien damit auch selbst, denn ein authentischeres Dokument künstlerischer Integrität ist kaum möglich. Eine großartige Visitenkarte eines Ausnahmeensembles.
Furrer 70
Klangforum Wien, Beat Furrer u. a.
Label: Klangforum Wien (Direktvertrieb)
Format: Medienbox (Limited Edition) mit 6 CDs, 2 Büchern und 3 Filmen auf USB-Stick in kartonierter Box
www.klangforum.at/product/furrer-70—medienbox






