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Jens Filser Organic Blues Project mit Brenda Boykin

Jens Filser Organic Blues Project feat. Brenda Boykin

Jens Filser Organic Blues Project feat. Brenda Boykin

Wenn mich die Menschen fragen, was mich am Blues fasziniert, warum mich die Musik des Schwarzen Amerika bis heute in ihren Bann zieht und nicht mehr loslässt, dann habe ich seit kurzem eine neue Argumentationshilfe. Schwarz, rund, auf 180-Gramm-Vinyl gepresst und auch noch live und „direct to tape“ voll analog aufgenommen: das Jens Filser Organic Blues Project feat. Brenda Boykin, erschienen zu den Analogtagen 2021 bei Lehmannaudio.

Jens Filser Organic Blues Project mit Brenda Boykin

Norbert Lehmann, Musiker, ausgebildeter Tonmeister und Produzent feinen Analogequipments wie etwa Phonovorverstärkern, steht hinter dem Aufnahmeprojekt und bat die Band 2021 zum Konzerttermin vor Publikum in die Ludwigsburger Bauer Studios. Lehmann ist ein Gralshüter der analogen Musikwiedergabe – und ein eingefleischter Blues-Fan.

Um eine Scheibe wie diese zu produzieren, die der klingende Gegenentwurf zum Mainstream ist, muss man eine Menge Herzblut investieren. Was Johannes Wohlleben und Adrian von Ripka als ungeschnittene Liveaufnahme inklusive Publikumsreaktionen aufs Zweispur-Band beziehungsweise in die Rillen gepackt haben, ist knackiger, intensiver Traditional Blues ohne Rockanwandlungen.

Jens Filser Organic Blues Project mit Brenda Boykin

Hier agieren vier Musiker, die den Blues inhaliert haben, die ihn nicht nur spielen, sondern leben. Und sie umrahmen kongenial eine jener Ausnahmestimmen, die man schon ausgestorben glaubte. „Als ambitionierter HiFi-Hersteller braucht man ambitionierte Aufnahmen mit Gänsehautfaktor“, kommentiert Norbert Lehmann in seinen Liner Notes das Projekt, das entstand, als Corona das Abhalten normaler Messen und Konzerte vor größerem Publikum praktisch unmöglich machte. Auch der Blues-Bandauftritt wurde ins Internet gestreamt, weil in den Bauer Studios seinerzeit nur eine handverlesene Schar Gäste zugelassen war und Lehmann das Konzert möglichst vielen Menschen zugänglich machen wollte.

Denen wurde Hochkarätiges geboten: Brenda Boykins ausdrucksvoll gereifter Alt ist flexibel, wandlungsfähig, schmiegt sich seidenweich in die Gehörgänge und kündet vom Wissen um die Inhalte. Da ist es egal, ob die Sängerin „My Babe“ anschmachtet, das leichte Mädchen „Mary Ann“ porträtiert oder wuchtig und zart angerockt dem „Backbreaker“ Vorwürfe macht, weil er ihr Gefühlsleben nachhaltig durcheinanderbringt. Das ist die Scheibe für „Bright Lights, Big City“, die man im Loft hört, während draußen die Großstadt tobt. Oder die man sich eben per Stream von den Analogtagen einschließlich Bewegtbild nach Hause holt.

Jens Filser Organic Blues Project mit Brenda Boykin

Brenda Boykins Begleitquartett mit dem flinkfingerigen Bandboss Jens Filser an der Stromgitarre, Dirk Schaadt an der Hammondorgel inklusive blubberndem Leslie-Hornlautsprecher, Mickey Neher-Warkocz an der „Schießbude“ und Till Brandt am Kontrabass legt der charismatischen Frontfrau einen dicken, satten, dezent farbigen, aber niemals flauschigen Soundteppich aus. Hier regieren das Fingerspitzengefühl und die Eleganz des Großstadt-Blues mit unüberhörbaren Jazz-Anklängen. Wer den „Garagensound“ mancher Blues-Produktion eher unangenehm findet, wird sich über diese luftig-farbige Produktion freuen, die Live-Energie mit Studiopräzision verschmilzt.

Zum Glück hat Norbert Lehmann entschieden, dass diese Liveaufnahme mit überlegener Technik in die Rillen gebannt wird. Und er hat auf der Plattenhülle Informationen verewigt, die man bei den meisten Aufnahmen vergebens suchen wird, nämlich Details über die für jedes einzelne Instrument (und die Sängerin) verwendeten Mikrofone. Da bediente sich das Team an allem, was im Aufnahmeweg erfahrungsgemäß gut klingt, von Beyerdynamic und Brüel & Kjær über Schoeps und Shure bis Sennheiser. Der Klang ist bestens ausbalanciert, wirkt überaus natürlich – und verzichtet vollständig auf das Spektakuläre mancher Hörtest-LPs, die mit überzogenen Frequenzbereichen „auf Effekt“ abgemischt werden.

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Stattdessen entsteht – auch dank sorgsam nachgezeichneter Räumlichkeit – für den Hörer der Eindruck, tatsächlich in einem akustisch optimierten Club zu sitzen, nahe an der Band, ohne den Musikern gleich auf dem Schoß zu kriechen.

Hier geht es nicht um audiophile Selbstbespiegelung, sondern um den Blues und seinen emotionalen Gehalt. Dass die überaus entspannte Grundstimmung, die bei der Aufnahme geherrscht haben muss, unmittelbar über die Rampe kommt, dass man auch vor der heimischen Anlage so ins Grooven kommt wie die Konzertgäste in Ludwigsburg, spricht für die große Spielfreude, die an diesem denkwürdigen Abend im Vordergrund stand. Und die ohne lebendiges Publikum im Raum wohl nicht so aufgekommen wäre. “You guys (are) on fire”, meint Brenda Boykin irgendwann augenzwinkernd. Dem ist nichts hinzuzufügen. Der Blues lebt, ganz ohne Zweifel.

Jens Filser Organic Blues Project feat. Brenda Boykin auf JPC

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