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John Fields - Nocturnes mit Alice Sara Ott

John Field – Nocturnes

Die sanfte Revolution der Klaviermusik

John Field – Nocturnes

Die Musikgeschichte ist geprägt von innovativen Komponisten, die neue Formen und Ausdrucksmöglichkeiten erschaffen haben.

John Fields - Nocturnes mit Alice Sara Ott

Einer dieser Pioniere war der irische Komponist und Pianist John Field, der als Begründer des Klaviergenres Nocturne gilt. Seine nur mäßige Bekanntheit mag in seinem Wirken an den Rändern des Musikbetriebs im frühen 19. Jahrhundert liegen. 1782 in Dublin geboren, zeigte er bereits als Kind musikalisches Talent und erhielt eine erste pianistische Ausbildung bei seinem Vater. Später zog seine Familie nach London, wo er Schüler des renommierten Pianisten und Komponisten Muzio Clementi wurde. Dieser erkannte Fields Begabung und nahm ihn nicht nur als Schüler, sondern auch als Assistenten auf. Field etablierte sich im Umfeld seines Mentors rasch als herausragender Pianist und Komponist. 1802 reiste er mit Clementi nach Sankt Petersburg, wo er große Erfolge feierte und sich schließlich niederließ. Dort und später in Moskau wirkte er als Lehrer und Konzertpianist. Trotz seines künstlerischen Erfolgs war sein Leben von gesundheitlichen Problemen und finanziellen Schwierigkeiten geprägt. In den 1830er Jahren verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, und er kehrte nach London zurück, bevor er sich erneut in Moskau niederließ. Dort verstarb er am 23. Januar 1837. Seine insgesamt 18 Nocturnes legten den Grundstein für eine Gattung, die später primär mit dem Namen Frédéric Chopin verbunden werden sollte. Es sind aber Fields Nocturnes, die eine neue Form musikalischer Ausdruckskunst einläuteten, die sich durch ihre sangliche Melodik, unaufdringliche Begleitung und intime, aber harmonisch bisweilen spannungsreiche Atmosphäre auszeichnet.

Die Ursprünge des Begriffs „Nocturne“ lassen sich bis in die frühe Klassik zurückverfolgen, wo er für abendliche Serenaden (Notturno) verwendet wurde. Erst durch Fields kompositorischen Ansatz erhielt das Nocturne seine heutige Bedeutung als lyrisches Klavierstück. Die Besonderheiten der Field’schen Kompositionen lassen sich vor allem in Abgrenzung zu seinem unmittelbaren Zeitgenossen Ludwig van Beethoven erkennen. Während Beethoven eine dramatisch-expressive Klangsprache bevorzugte, die von Kontrasten und formaler Strenge geprägt war, in der thematische Strukturen sich durch kompositorische Arbeit verändern und weiterentwickeln, setzte Field auf eine fließende und harmonisch mäandernde Ausdrucksweise. Beethovens Klaviersonaten sind komplex durchdacht, während Fields Nocturnes eine introspektive lyrische Atmosphäre schaffen. Und während Beethoven das Klavier mitunter als orchestrales Instrument behandelte, das große dramatische Bögen und tiefgehende Ausdruckskraft ermöglichte, betrachtete Field es eher als ein gesangliches Medium, das subtile Nuancen und sanfte Stimmungen vermittelt. Diese grundlegenden Unterschiede zeigen die Vielfalt der musikalischen Ansätze innerhalb der gleichen Epoche und verdeutlichen, wie Field mit seiner poetischen Klangsprache eine neue, intimere Ausdrucksform für das Klavier etablierte. Die Melodien in seinen Werken sind oft von Lied und Arie inspiriert und entfalten sich in langen, fließenden Bögen. In der linken Hand finden sich meist arpeggierte Akkorde, die eine ruhige, wellenartige Bewegung erzeugen und die Melodie harmonisch stützen. Im Gegensatz zu komplex strukturierten Sonatenformen sind Fields Nocturnes oft liedartig zweiteilig oder dreiteilig aufgebaut. Zudem nutzte Field modulierende Harmonien in weiter entfernte Tonarten, um sanfte Spannungen zu erzeugen, ohne die Leichtigkeit der Stücke zu verlieren.

Der bis dato doch recht überschaubaren Diskografie Fields fügt Alice Sara Ott nun eine beachtliche Ergänzung hinzu. Die 1988 in München als Tochter einer japanischen Klavierlehrerin und eines deutschen Ingenieurs geborene Pianistin galt lange als Wunderkind.

John Fields - Nocturnes mit Alice Sara Ott
Alice Sara Ott

Mit sieben Jahren gewann sie den Wettbewerb „Jugend musiziert“ in Deutschland. Im Alter von zwölf Jahren setzte sie ihre Ausbildung am Mozarteum in Salzburg unter der Leitung von Karl-Heinz Kämmerling fort. Mit 13 Jahren erhielt sie den „Most Promising Artist Award“ beim „Hamamatsu International Piano Academy Competition“ in Japan. Bereits 2008 unterzeichnete sie einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon und veröffentlichte seitdem mehrere Alben, darunter Interpretationen von Werken von Liszt, Chopin und Beethoven. Sie gehörte schnell zu den Pianistinnen, die sich ein gewisses Popstar-Image aufbauten. Ihre Aufnahmen werden weltweit gestreamt und erreichten bislang insgesamt über 500 Millionen Abrufe. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, setzt jedoch ihre Karriere mit unverminderter Energie fort. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Label, der Deutschen Grammophon, bei der auch die Nocturnes Fields veröffentlicht wurden.

Otts Interpretation überzeugt vor allem durch ein fließendes Tempo, das den lyrischen Charakter der Stücke betont, ohne dabei in übertriebene Sentimentalität zu verfallen. Bereits der Einstieg mit dem ersten Nocturne aus dem Jahr 1812, das den Grundstein für die gesamte Gattung legt, zeigt Ott ihren durchgängigen Ansatz, keine säuselnden und vorbeihuschenden Klangbilder zu schaffen, sondern mittels melodischer Klarheit und kristalliner Strukturierung den Kunstcharakter der Musik offenzulegen. Ein eher dramatisches Stück und den Ausdruckscharakter des Genres eigentliche Grenzen sprengende Werk ist das Nocturne in c-Moll, das emotionale Differenzen geschickt kontrastiert und die Bandbreite von Fields kompositorischem Ausdruck zeigt. Aber auch hier vermeidet Ott unnötige Romantizismen und arbeitet stattdessen die klaren rhetorischen Strukturen der Melodielinien mit beeindruckender Präzision heraus und scheut sich nicht, das durchaus Eckige und Kantige der Komposition herauszustellen. Das späte Nocturne in Es-Dur von 1836 hebt sich durch seine raffinierte Harmonik und eine schon fast barocke ornamentierte Melodieführung von den übrigen Kompositionen ab. Durch geschickte minimale Tempoveränderungen baut die Pianistin hier eine geradezu magische innere Spannung auf. Otts uneitle Herangehensweise ermöglicht es den Zuhörern, Fields Spätwerk in einer unverstellten Reinheit ohne übertriebenen emotionalen Zeigefinger zu erleben. Diese Aufnahme ist eine würdige Hommage an den Begründer der Klavier-Nocturnes und zeigt, wie zeitlos und eindrucksvoll Fields Musik auch heute noch klingt.

John Field – Sämtliche Nocturnes

Alice Sara Ott
Label: Deutsche Grammophon
Format: CD, DLP, DL 24/96

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