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Odeon No. 38

Odeon oder, warum es manchmal gut ist, wenn das Wetter schlecht ist. Und was das alles mit John C. und Axel G. zu tun hat.

Es ist Sommer. Zumindest vom Datum her: Wir schreiben den 17. Juli 2012. Tatsächlich ist es jedoch extrem kalt, und die Regenmassen allein der letzten Tage haben inzwischen ein bisher nicht gekanntes Ausmaß angenommen. Es regnet so stark, dass man nicht einmal für kürzeste Zeit vor die Tür gehen kann. Aber dieses laut Presse „völlig normale“ Untergehen eines weiteren Sommers hat zur Folge, dass man viel Zeit zu Hause verbringen darf. Zeit, die man sonst mit der Familie in der Natur, mit Freunden im Garten oder in Biergärten verbringen müsste. Gut, bleibe ich also im Haus. Passt gerade sowieso ganz gut, denn vor mir steht der neue Toplautsprecher von Odeon, die No. 38. Nun ja, „Lautsprecher“ ist wohl eine leichte Untertreibung. „Skulptur“ kommt der Sache schon näher, immerhin sprechen wir von einem Dreiwege-Lautsprecher mit sphärischen Hoch- und Mitteltonhörnern, 146 Zentimeter hoch, 64 Zentimeter breit, 85 Zentimeter tief und 115 Kilogramm schwer.Jeder Bericht über ein Gerät beginnt mit der Auswahl eines ersten Musikstücks. Ein solcher Moment ist immer etwas Besonderes, denn man fragt sich, welcher Titel die klangliche Präsentation des jeweiligen Probanden eröffnen soll. Eines war von Anfang an klar: Es sollte etwas Spezielles sein, etwas Großes, etwas, was man eigentlich genau zu kennen glaubt. Ein zufälliger Blick auf den Kalender, und plötzlich wusste ich ganz genau, welche Musik es sein musste: A Love Supreme von John Coltrane – er verstarb vor genau 45 Jahren, am 17. Juli 1967, und seine rund drei Jahre zuvor aufgenommene, die Jazzwelt für immer verändernde vierteilige Jazz-Suite hat bis heute nichts von ihrer Einzigartigkeit verloren.

Coltrane selbst sagte vor der Aufnahme, dass er bei dieser zum ersten Mal wirklich „alles fertig gehabt“ habe. Er wusste sehr genau, was er durch diese Musik vermitteln und wie er dies am 9. und 10. Dezember 1964 umsetzen wollte. Einen ähnlichen Eindruck hatte ich – bei allem Respekt für die sicherlich so viel größere Bedeutung von Coltranes Werk für die Musikwelt – im übertragenen Sinne auch bei der neuen Odeon No. 38, die vor ihrem Relaunch bereits lange Jahre als Spitzenmodell der kleinen deutschen Manufaktur aus Haltern am See galt. Axel Gersdorff, Chef und Entwickler von Odeon, hat sein neues Flaggschiff erst wenige Tage vor dem Aufbau bei mir fertiggestellt. Viele neue Teile und eine neue Gesamtabstimmung stellen seiner Ansicht nach ein Statement im Lautsprecherbau dar – das bis zu diesem Tag noch niemand außerhalb des Entwicklerteams gehört hat!

Also ein Privileg für mich – wobei man berücksichtigen muss, dass das sicherlich zu einem nicht unerheblichen Teil durch meine seit über zwölf Jahren bestehende enge Verbundenheit mit gleich mehreren Lautsprechern von Odeon erklärbar ist. Ein Austausch meiner in den letzten Jahren immer wieder durch Gersdorff persönlich verfeinerten, zum Teil erneuerten und im Ergebnis stark verbesserten No. 30 stand für mich bis dato niemals zu Debatte, sie war der Lautsprecher, mit dem ich alt werden wollte. Aber wie so manchem, den A Love Supreme beim ersten Hören „wie ein Überfall traf “ (Carlos Santana), ging es mir schon bald mit der neuen No. 38 … Doch widmen wir uns zunächst den Fakten.

Worin besteht die aktuelle Abstimmung?

Gersdorff hat sein Spitzenmodell neu aufgebaut: mit einem 15-Zoll-Tieftöner von Beyma, einem von Odeon stark modifizierten 1-Zoll-Hochton-Druckkammertreiber, ebenfalls von Beyma, sowie dem seit Jahren unbestritten zur Weltspitze zählenden 13-Zentimeter-Aerogel- Mitteltontreiber von Audax. Alle Materialien und Bauteile wurden, wie nicht anders in dieser Preisklasse zu erwarten, ausschließlich nach klanglichen Aspekten ausgesucht und von Hand noch einmal gemessen und selektiert. Natürlich wird auch im aktuellen Modell die Frequenzweiche wieder mechanisch von einem aufwendig gestalteten, „Odeon-typischen“ Gehäuse entkoppelt. Das wird übrigens auch weiterhin komplett in Deutschland hergestellt und kann in nahezu allen möglichen Furnieren und Lackoberflächen geordert werden. Und noch etwas Wichtiges ist geblieben: Wer einen Odeon- Lautsprecher besitzt und eine Frage hat, die selbst die sorgsam ausgesuchten Fachhändler nicht beantworten können, darf sich direkt an den Entwickler wenden, dem die Zufriedenheit der Kunden wirklich noch etwas bedeutet. Und noch eine gute Nachricht für alle, die bereits eine No. 38 besitzen: Ihre Lautsprecher lassen sich problemlos umrüsten. Odeon bietet solche Upgrades seit vielen Jahren nicht nur für die Spitzenmodelle an. Eine Einstellung, die ich persönlich sehr schätze. Es muss doch nicht immer gleich ein neuer Lautsprecher sein, nicht wahr?

Die Nähe zum Hersteller ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil für die meist sehr treuen Odeon-Kunden und hat wohl in einem Business, wo die angeblichen Top-Referenzen nahezu täglich vom Band zu fallen scheinen, als nachhaltiges Handeln zu gelten. Damit relativiert sich auch der Paarpreis der No. 38, der bei selbstbewussten 37 500 Euro liegt. Aber seien wir mal ehrlich: Mittlerweile scheint ein solcher Preis bei etlichen Anbietern nur noch das Mittelfeld darzustellen.

Genug der Technik.

Wie klingt die No. 38 denn nun? Bereits das erste Geräusch auf A Love Supreme lässt mich zusammenzucken. Der große, von Elvin Jones geschlagene chinesische Gong klingt über die neue No. 38 tatsächlich ganz anders: Völlig unangestrengt, gleichwohl mit großer Kraft und Präsenz explodiert das Schlaginstrument im Raum, einem großen Raum, der weder hinter den Lautsprechern noch zu deren Seiten eingeschränkt zu sein scheint – und schon jetzt sind die beiden Schallwandler akustisch völlig verschwunden. Doch unverzüglich folgt die nächste Überraschung: Noch während der Gong seine durchdringende Strahlkraft entfaltet, setzt Coltrane sein Tenorsaxophon an, um eine kurze, harte Tonfolge zu spielen, die auf den Zuhörer wie ein Weckruf wirkt und sogleich seine ganze Aufmerksamkeit einfordert. Diese ersten zehn Sekunden sind musikalisch prägend für das gesamte Werk. Die No. 38 scheint das förmlich zu spüren, denn sie stellt den Klang des Tenorsaxophons plastisch, klar umrissen und scharf, aber ohne Härte in den Raum und lässt die unterschiedlichen Klangfarben von Blasinstrument und geschmiedetem Metall des Gongs in ihrer ganzen Palette erstrahlen. Ich wette, dass Rudy Van Gelder, der geniale Toningenieur dieser Aufnahme, es genießen würde, Coltranes Suite über die neue große Odeon zu hören. Schon nach kürzester Zeit weiß man, total gefesselt in Erwartung der nächsten Töne, dass hier etwas wirklich Innovatives, Einmaliges und Zeitloses entstanden ist.

Wie muss diese tief ins Bewusstsein schneidende Musik erst bei ihrem Erscheinen im Februar 1965 – nicht nur in den USA eine Zeit gewaltiger Umbrüche, Konflikte und Neuerungen – auf die Menschen gewirkt haben? Die No. 38 jedenfalls ordnet sich den musikalischen Inhalten willig unter und zieht den Hörer tief hinein in deren hypnotische Struktur und spirituelle Intention. Als dann Elvin Jones, Jimmy Garrison und Mc- Coy Tyner einsteigen, sind es lediglich vier Töne, die Kontrabassist Garrison benötigt, um das Werk akustisch auf eine unerschütterliche Basis zu stellen. Vier Töne, die die Silben des Albumtitels musikalisch zum Leben erwecken und sich bei jedem, der das Stück zum ersten Mal hört, geradewegs und unwiderruflich ins Gedächtnis brennen. Und an dieser Stelle wird auch der größte Unterschied der neuen zur alten Odeon No. 38, aber auch zur No. 30 deutlich: Sie besitzt ein exemplarisch durchtrainiertes Bassfundament.

Wirklich bewundernswert ist auch, wie es der No. 38 gelingt, bei Garrisons Solo am Ende des dritten Teils Intimität und Stimmung kontinuierlich zu halten. Sie zeigt genau auf, dass Garrison mit den anderen Musikern sehr nahe zusammenstand, und sie hat zu keinem Zeitpunkt Probleme, den lyrisch wirkenden Aufbau der von ihm erzählten Geschichte auch akustisch zu entfalten: Nachdem Jones während des Bass-Solos seine Stöcke aufeinandergeschlagen hat, streift er schließlich damit das Becken, um eine gewisse Zäsur zu erzeugen. Garrison wird immer langsamer, sein Spiel scheint in Bezug auf Intensität und Spannung nicht mehr steigerungsfähig zu sein. Schließlich gipfelt das Solo in einem fast meditativen Finale: Der letzte Ton wird angerissen und klingt lang aus; es folgt eine größere Pause. Und nun kann man über die No. 38 deutlich hören, was Garrison jetzt tat: Er nahm seine linke Hand vom Griffbrett, und die Saite vibriert deutlich wahrnehmbar nach. Absolut faszinierend!

Wechseln wir zu Klaviermusik,

zu Vocation, einer Solo-Aufnahme der wunderbaren Kölner Pianistin Marie-Luise Hinrichs. Sie vertonte hierfür in ihrer so eigenen Musiksprache u. a. Lieder der Hildegard von Bingen. Bereits das erste, außergewöhnlich kontrastreiche Stück zeigt rasch auf, wie sauber und schnell die No. 38 arbeitet und mit welcher Leichtigkeit sie die mit großer Hingabe und innerer Überzeugung erschaffene Musik wiederentstehen lässt. Die Pianistin zupft zunächst nur zwei Saiten ihres Steinway D-274 an, bevor sie die ersten Töne der Melodie mit beeindruckender Gelassenheit förmlich aus dem Nichts modelliert. Schon füllt sich der gesamte Raum mit klanglicher Magie … Die Odeon bildet den größten Flügel aus dem Hause Steinway & Sons nicht nur problemlos in seiner wahren Größe ab, sie lässt den Zuhörer diesen unvergleichlichen Klang mit dem so typischen langen Nachschwingen mit aller Differenziertheit köperhaft erfahren.

Ein weiterer Prüfstein für Lautsprecher stellt der auf dem Anschlagsgeräusch basierende, energiereiche Anfang eines Klaviertons dar. Kein Problem für die No. 38, die genau dies mit unglaublicher Schnelligkeit und Souveränität wiederzugeben in der Lage ist. Das sphärische 56-Zentimeter-Horn des Mitteltöners lässt dabei die feinsten Akzentuierungen der Interpretation nahezu sichtbar werden. Im Zusammenwirken von Hoch- und Tieftonbereich sind die Lautsprecher offenkundig jederzeit in der Lage, das Timbre und das über sieben Oktaven reichende Spektrum des Flügels völlig unangestrengt und mit allen Farbschattierungen zu reproduzieren. Die No. 38 stellt sich voll in den Dienst der durch sie immer wieder akustisch neu geborenen Musik, ihr Klang erinnert trotz der schieren Größe und trotz der Tatsache, dass die drei Treiber relativ weit auseinanderliegen, in seiner Homogenität und stupenden Räumlichkeit an den eines ausgezeichneten Breitbandsystems. Allerdings ohne dessen naturgemäße Beschränkungen, insbesondere was die Frequenzextreme und den Einsatz in größeren Räumen angeht. Genau dies ist aber auch, allerdings im umgekehrten Sinn, bei der No. 38 unbedingt zu berücksichtigen: Räume mit einer Grundfläche von weniger als 30 Quadratmetern sollte man nur nach einer intensiven Testphase vor Ort in Betracht ziehen.

Aber was ist mit der etwas härteren Gangart und den berühmten „Originallautstärken“? Alles bestens, wie Love Devotion Surrender zeigt, John McLaughlins und Carlos Santanas 1973 veröffentlichtes Tributalbum für Coltrane. Gleich das erste Stück, von Beginn an durch Spannung und innere Dramatik geprägt, bezieht sich deutlich auf A Love Supreme und macht die Fähigkeit des Lautsprechers unüberhörbar, sich wirklich fordern zu lassen, ja eine nahezu grenzenlos erscheinende Kraftentfaltung zu liefern. Auch wenn die No. 38 ohne Dynamikverlust bei geringem Pegel immer präsent ist, darf sie nun einmal im echten Tief(st)bassbereich zeigen, was sie auch bei höheren Lautstärken kann. Sie scheint dort kein Limit zu kennen, sodass der Autor kaum umhinkommt, die ungeheure Bassenergie, die von den zwei massiven 38-Zentimeter-Treibern völlig unangestrengt aus den 145-Liter-Gehäusen geholt wird, mit einem zufriedenen Grinsen zu quittieren … Die separaten Bassgehäuse der No. 38 sind in zwei Kammern aufgeteilt und weisen keine parallelen Wandungen auf; sparsamer Einsatz von Dämmmaterial sowie ein bodengestütztes Bassreflexsystem machen es dem Tieftöner mit seiner äußerst steifen Papiermembran und einem 22-Zentimeter-Magnetsystem offenbar wirklich leicht.

Die musikalisch eher an ein Duell erinnernde Interpretation der beiden Ausnahmegitarristen stellt durchaus einen musikalischen Meilenstein dar, doch kommt diese Version nicht an die Intensität des visionären Originals heran, das beim Hören zum tiefen spirituellen Erlebnis wird. Coltranes Werk nimmt seinen Platz im Olymp der Musikgeschichte sicherlich zu Recht ein.

Halt! Halt!

Ist dies eigentlich ein Artikel über die No. 38 oder über Coltranes A Love Supreme? Vielleicht ist die Frage auch schon die Antwort: Dieser Lautsprecher trennt einfach nicht zwischen Musik und dem vermittelnden Equipment, er lässt die Frage nicht einmal aufkommen. Er ordnet sich trotz seiner Größe kompromisslos der Musik unter, wird als Schallwandler praktisch unsichtbar und saugt als ein kongenialer Vermittler den Zuhörer geradezu magisch in die musikalischen Ideen hinein.

Vor etwas mehr als zwölf Stunden kannten wir uns noch nicht einmal. Doch ich weiß schon jetzt, dass mich diese neue Odeon No. 38 nicht wieder verlassen und ab sofort auf allen weiteren musikalischen Entdeckungsreisen begleiten wird. – Sie finden, dass das alles etwas schnell geht? Ich muss gestehen, dass mir so etwas auch noch nicht passiert ist. Aber ich bin mir sicher: Dieser Lautsprecher ist schlichtweg ein Meisterwerk!

 

www.odeon-audio.com

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