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Ortofon MC 90X Tonabnehmer

Ortofon MC 90X

Weniger ist mehr!

Ortofon MC 90X

Wenn einem beim Anblick des aktuell preisgünstigsten Mitglieds der illustren „Exclusive Series“ von Ortofon ein Déjà-vu überkommt, dann ist das keine Halluzination.

Ortofon MC 90X Tonabnehmer

In aller Kürze:
Das Ortofon MC 90X erfreut seine Besitzer mit der für Ortofon typischen Klangtreue und kombiniert diese mit einer kaum zu überbietenden Detailflut und Lebendigkeit, die niemals ins Nervige abgleitet.

Ortofon MC 90X Tonabnehmer


Die Geschichte des MC 90X beginnt schon 2008 mit der Konstruktion seines Vorvorgängers MC A90. Damals stellte sich der Chefentwickler des dänischen Herstellers, Leif Johannsen, anlässlich des neunzigjährigen Firmenjubiläums die Frage, was man bei einem Tonabnehmer alles weglassen könne. Ausgangspunkt war das MC Windfeld, das zu Ehren von Johannsens Vorgänger Per Windfeld so benannt wurde. Es stellte sich nun aber heraus, dass es mit dem Weglassen äußerer Gehäuseteile allein nicht getan war.

Ortofon MC 90X Tonabnehmer
Es war einmal vor (gar nicht so) langer Zeit: Der MC 90X ist eine Hommage an den schnell zur Legende gereiften MC A90, den die Dänen 2008 anlässlich des 90-jährigen Firmenjubiläums als Demonstration des technisch Machbaren entwickelt haben.

Es galt, eine völlig neue Art Träger zu konstruieren, der normalerweise aus einem Stück Metall hätte gefräst werden müssen. Johannsen ist allerdings während des Entwicklungsprozesses auf das SLM-Verfahren (selektives Laserschmelzen) aufmerksam geworden, das ermöglicht, selbst komplexe Strukturen in einem Arbeitsschritt zu fertigen. Wie Leif Johannsen interessierten Kunden und in Interviews eindrücklich vorführen konnte, gab es im Vorfeld verschiedene Varianten, die in Abhängigkeit von der Form mal mehr oder mal weniger stark resonierten. Selbst die finale Form musste noch zusätzlich bedämpft werden, um den Ansprüchen des Chefs gerecht zu werden. Das geschieht heute wie damals durch ein Kunststoffteil, das gleichzeitig die feinen Käbelchen, die die minimalen Ströme vom Generator zu den Anschlussstiften leiten, verdeckt. Heraus kam dabei ein so puristisch wie spektakulär anmutender Tonabnehmer, der freilich mit den althergebrachten Traditionen bezüglich des dänischen Gehäusebaus so fundamental brach, dass langjährige Fans der Marke seinerzeit ihre liebe Not mit dem Design hatten. Vielleicht lag es ja auch an der Optik, dass – wie Johannsen in einem Interview auf Youtube erläutert – manche Kunden den Klang des MC A90 als „zu analytisch“ empfanden.

Ortofon MC 90X Tonabnehmer
Die markante Form mit der „fehlenden Mitte“ ist heute wie damals aufsehenerregend. Auch technologisch lehnt sich der „X“ eng an das Original an. Die Motivation für die Neuauflage sind die beeindruckenden Fortschritte in Materialwissenschaft und Fertigungstechnik der letzten zwei Jahrzehnte.

Allem Anschein nach gab es offenbar trotzdem genügend Liebhaber, sodass Ortofon eine modifizierte Neuauflage unter dem Namen MC 90X auf den Markt bringt. Das scheint auf den ersten Blick, wenn man von Farbe und Beschriftung einmal absieht, ein Klon des seligen A90 zu sein. Als Metall für die Trägerkonstruktion dient wiederum Edelstahl; allerdings wurde das Gewicht des Tonabnehmers von 8 auf 9,5 Gramm erhöht, was auf kleinere Änderungen der ursprünglichen Form schließen lässt. Der Generator besteht weiterhin aus einem kreuzförmigen Spulenträger, bei dessen Spulen natürlich Aucurum (vergoldetes, hochreines Kupfer) zum Einsatz kommt. Ebenfalls mit an Bord ist das seit langem etablierte FSE (Field Stabilizing Element, siehe Kasten). Auch an dem kleinen, enorm starken Neodym-Magneten hält man fest. Die Gummikomponenten des Wide Ranging Damping Systems (WRD, siehe Kasten) wurden von Ortofon auf nicht näher erläuterte Weise geändert. Das macht sich bemerkbar in der Nadelnachgiebigkeit (Compliance), die beim MC A90 noch 16 µm/mN betragen hatte und beim MC 90X auf 11 µm/mN reduziert wurde. Damit ist das 90X für die wieder verstärkt in Mode kommenden schweren Tonarme (effektive Masse größer 15 g) bestens geeignet und kann sogar für den Betrieb in sehr schweren Vertretern ihrer Zunft (effektive Masse größer 20 g) in Betracht gezogen werden. Mit der empfohlenen Auflagekraft von 23 mN tastet es für einen Tonabnehmer mit einer derart geringen Nadelnachgiebigkeit sehr gute 70 µm ab. Bemerkenswert ist, dass das 90X vergleichsweise unkritisch auf den Tonarm oder die verwendete Headshell reagiert. Das könnte auf die von Ortofon angestrebte Resonanzarmut des minimalistischen Gehäuses zurückzuführen sein, die dem zum Einsatz kommenden Tonarm weniger Probleme bereitet.

Ortofon MC 90X Tonabnehmer
Gibt keine Rätsel auf: die notorisch fummelige Kunst der Tonabnehmerverdrahtung erleichtert der MC 90X mit einer vorbildlich klaren Beschriftung.

Mit einer Ausgangsspannung von bescheidenen 0,25 mV (5 cm/s) ist in Hinblick auf den musikalischen Anspruch ein hochwertiger Phonovorverstärker selbstverständlich Pflicht. Ortofon empfiehlt eine Eingangsimpedanz ab 10 Ohm. Bei mir läuft es bei 100 Ohm als auch bei 330 Ohm zu meiner vollsten Zufriedenheit. Bei Nadelträger und Nadelschliff verlässt sich Ortofon auf die bewährte Kombination aus einem kurzen Borstäbchen, an dessen Spitze sich ein perfekt polierter Diamant mit Replicant-100-Schliff befindet. Ihm ist es wohl zu verdanken, dass das MC 90X mit einer nicht zu übertreffenden Nebengeräuscharmut durch die Rillen gleitet.

Das tut es auch bei sehr oft abgespielten Platten wie meinem Yello-Album Stella. „Vicious Games“ ist so mitreißend wie tanzbar, allerdings kommt dieser Spaß nicht von Anfang an uneingeschränkt herüber. Es ist zwar mit dem noch uneingespielten MC 90X „alles da“, aber insgesamt wirkt das Klangbild noch etwas „hüftsteif“. Zehn LPs später sieht die Sache ganz anders aus. Tatsächlich komme ich zu dem Schluss, dass das jüngste System aus Dänemark zu den lebendigsten Tonabnehmern gehört, die je bei mir zu Hause ein Gastspiel geben durften. Bei aller Rasanz verliert es aber nie die Kontrolle. Die Raumabbildung und die tonale Neutralität, von jeher die Paradedisziplin der Tonabnehmer aus dem dänischen Nakskov, lassen nicht den geringsten Wunsch offen.

Ortofon MC 90X Tonabnehmer
Preisklassengerecht beinhaltet der Lieferumfang des MC 90X neben dem Tonabnehmer selbst auch Montage- und Pflegewerkzeug.

Dass das MC 90X sich keineswegs auf dynamische Popmusik spezialisiert hat, sondern auch für Freunde klassischer Musik eine allererste Wahl darstellt, beweist es bei der Wiedergabe einer meiner Neuerwerbungen. Martha Argerich interpretiert auf Ravel (Warner Classics) verschiedene Werke des französischen Komponisten. Darunter auch das traumhafte Adagio assai des Klavierkonzerts in G-Dur, das sie mit dem Orchestra della Svizzera Italiana unter der Leitung von Jacek Kaspszyk zum Besten gibt. Und das ist wortwörtlich zu verstehen, denn ich kenne neben Martha Argerich kaum einen anderen Pianisten, der eine solche Virtuosität bei Maurice Ravels Klaviermusik an den Tag legt. Das macht das Ortofon mit einer nie überzogen wirkenden und natürlich anmutenden Detailflut deutlich, die es dem Hörer ermöglicht, feinste Nuancen im Spiel der argentinischen Künstlerin wie selbstverständlich wahrzunehmen. Eine weitere Paradedisziplin ist die Wiedergabe von Frauenstimmen, die für jeden Tonabnehmer eine besondere Herausforderung darstellen. Es ist beinahe müßig zu erwähnen, dass es auch bei Dianne Reeves „I Remember Sky“ in einer Art und Weise brilliert, zu der nur wirkliche Top-Tonabnehmer imstande sind. Die dem MC A90 nachgesagte „Analytik“ kann ich beim MC 90X beim besten Willen nicht entdecken. Es verschweigt zwar keinerlei Details, diese werden aber stets so in einem musikalischen Kontext eingebettet, dass sie nicht plakativ um ihrer selbst willen präsentiert oder gar überbetont werden. Diese diffizile Gratwanderung bekommen nur die allerbesten Tonabnehmer hin, zu denen das Ortofon MC 90X ohne jeden Zweifel gehört.

Bildergalerie
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Dänische Buchstabensuppe

SLM steht für „Selective Laser Melting“ („selektives Laserschmelzen“), bei dem aus den Partikeln eines Metallpulvers mittels eines Laserstrahls eine dreidimensionale Struktur aufgebaut wird. Man kann dieses Verfahren in etwa mit den mittlerweile weit verbreiteten 3D-Druckern vergleichen, bei denen thermoplastische Kunststoffe als Ausgangsmaterial zum Einsatz kommen.

FSE kürzt den englischen Begriff „Field Stabilizing Element“ („feldstabilisierendes Element“) ab. Darunter versteht Ortofon einen Ring aus leitendem Material, der die Spulen des Generators umgibt und das Magnetfeld unabhängig von der Ausrichtung des Ankers parallel halten und somit dynamische Verzerrungen minimieren und die Kanaltrennung erhöhen soll.

WRD (Wide Range Damping, etwa „Dämpfung über einen großen (Frequenz-)Bereich“) kommt mittlerweile seit Jahrzehnten bei Ortofon zum Einsatz. Damit wird eine Besonderheit des bei Moving Coils (MC) notwendigen Dämpfers bezeichnet, auf die der Anker mit seinen Spulen aufliegt. Er besteht aus insgesamt drei Komponenten: zwei Ringen aus speziellen Gummimaterialien, die unterschiedliche Eigenschaften aufweisen und die über einen weiteren Ring aus Schwermetall (Gold oder Platin) verbunden sind. Auf diese Weise sollen hohe wie tiefe Frequenzen gleichmäßiger bedämpft werden, als dies mit nur einem Dämpfungsring allein möglich wäre. Wie üblich bei Ortofon sind die Gummidämpfer bereits vorgealtert und behalten über einen sehr langen Zeitraum ihre Eigenschaften.

Headshell Ortofon LH-9000

Ortofon hat neben einer schier unüberschaubaren Vielfalt von Tonabnehmern auch diverse Headshells im Programm. Speziell für das MC 90X empfehlen die Dänen die klassisch geformte LH-9000. Sie besteht größtenteils aus einer Magnesiumlegierung. An der Unterseite ist ein rechteckiges Stück Carbon eingelassen, das etwaige Resonanzen minimieren soll. Die mit hochwertigen Käbelchen und einem vergoldeten Bajonettverschluss ausgestattete Headshell wiegt 16,4 Gramm und kostet 199 Euro.


Info

Tonabnehmer Ortofon MC 90X

Konzept: Moving-Coil(MC)-Tonabnehmer
Besonderheiten: minimalistisches SLM-Gehäuse aus Edelstahl
Nadelträger: Stäbchen aus Bor
Nadelschliff: Replicant 100
Nadelnachgiebigkeit: 11 µm/mN (10 Hz)
Empfohlene Auflagekraft: 23 mN
Empfohlene effektive Tonarmmasse: mittel bis sehr schwer (> 12 g)
Ausgangsspannung: 0,25 mV (1 kHz, 5 cm/s)
Innenimpedanz: 4 Ω
Empfohlene Abschlussimpedanz: > 10 Ω
Gewicht: 9,5 g
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 4999 € (Reparaturpreis: 2500 €, Eintauschrabatt für ein neues MC 90X oder höherwertiges Modell: 1249,75 €)

Kontakt

Ortofon

Stavangervej 9
4900 Nakskov
Dänemark
Telefon +49 251 20263053

www.ortofon.com

Mitspieler

Plattenspieler: Technics SL-1200MK2
Laufwerke: Dr. Feickert Analogue Woodpecker, Linn Sondek LP12 (Majik)
Tonarm: Linn Ittok LV II/2
Headshells: Audio-Technica MS-8, Ortofon LH-6000, Technics
Tonabnehmer: Denon DL-103, Linn Adikt, Ortofon Concorde R, Ortofon Jubilee, Ortofon Vero Special, Transrotor Uccello
Phonovorverstärker: Lehmannaudio Decade
Netzwerktuner: Onkyo NS-6170
Vorverstärker: Bryston BPS-25MC
Endverstärker: Linn LK100
Kopfhörer: Sony MDR-1 RNC
Passivlautsprecher: Naim Credo
Aktivlautsprecher: Neumann KH 310 A
Lautsprecherständer: Millenium BS-1100
Rack: Selbstbau
Kabel: Sommer Cable
Zubehör: Clearaudio Professional Analogue Toolkit

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.