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Vinyl Corner: Reissues ohne Reue

Reissues ohne Reue

Vinyl Corner

Reissues ohne Reue

Machen wir uns nichts vor, der Vinyl-Markt wird zu einem Großteil von Reissues mit zweifelhaftem Repertoire- und Qualitätswert beherrscht.

Sicher, es mag befriedigend sein, die zerkratzte Scheibe alter Jugendtage als Neuauflage in den Händen zu halten, aber allzu häufig muss man dann feststellen, dass der Scheibe nicht nur der Zauber des Originals fehlt, sondern dass sie sich klanglich beinahe identisch zum digitalen Reissue oder Stream verhält. Zeit also, sich drei ausgesuchten aktuellen Neuauflagen zu widmen, die aus jeweils ganz unterschiedlichen Gründen auf die Must-have-Liste eines jeden Vinylliebhabers gehören.

Seit einiger Zeit macht das kleine Pariser Non-Profit-Label Sam Records von sich reden. Der Gründer Fred Thomas hat es sich zur Aufgabe gemacht, primär in den 1950er und 60er Jahren in Frankreich aufgenommene und produzierte Jazzplatten neu herauszugeben. Dabei begibt sich Thomas nicht nur auf die Suche nach den originalen Masterbändern, sondern versucht, die originalen Cover- und Innenfotos der LPs ausfindig zu machen. Aktuell beglückt uns Sam Records mit einem Faksimile der legendären „Olympia Concerts“ Art Blakeys, deren Mitschnitte 1959 bei Fontana erschienen.

Vinyl Corner: Reissues ohne Reue

Die wenigen noch erhältlichen Original-LPs bewegen sich nicht nur preislich in gehobenen Regionen, viele sind zudem nur noch in minderer Qualität zu bekommen. Die beiden Konzerte im Dezember 1958 gelten als der europäische Durchbruch für Art Blakey und seine Jazz Messengers. Nicht nur, dass wir Zeugen einer unbändigen Spiellaune der fünf Musiker werden, dieses klanglich exquisite Reissue besticht vor allem in der Darstellung des Trompetenspiels Lee Morgans und der Saxofonausbrüche Benny Golsons durch eine schier unendliche Dynamikrange, die so manches aktuelle Album stumpf und beengt erklingen lässt. Eine Wiederveröffentlichung, die sowohl vom Repertoirewert her als auch unter audiophilen Aspekten eine echte Entdeckung ist.

Geht es bei Sam Records vor allem um ein enthusiastisches Heben versunkener und vergessener Schätze, so hat man sich bei Impex weniger dem Repertoirewert als vor allem dem audiophilen Wert verschrieben. Diese unterschiedliche Ausrichtung einzelner auf Vinyl spezialisierter Labels ist natürlich auch der sehr heterogenen Gruppe der Vinylisten geschuldet, von denen ja etliche das Analoge aus primär klanglichen Gründen favorisieren. Ganz im Dienst dieser Käuferschicht agiert seit Jahren Impex mit dem dort zum Tragen kommenden One-Step-Verfahren, das die Materialqualität des Vinyls streng selektiert: Die Herstellung von LPs in regulären Produktionsprozessen beginnt schließlich damit, dass der Lackschnitt in einen Vater-Stempel mit invertierter Rillenstruktur umgewandelt wird. Anschließend wird dieser verwendet, um einen Mutter-Stempel mit der korrekten Rillenstruktur herzustellen. Erst danach wird der eigentliche harte Press-Stempel gefertigt. Im One-Step-Verfahren entfallen jedoch die Schritte nach dem Lackschnitt, und der Lacquer wird direkt in einen Press-Stempel umgewandelt. Da diese Lackschnitte sehr weich sind, können nur wenige hundert LPs aus jedem Lacquer gepresst werden. Im Falle von Patricia Barbers Nightclub erhalten wir auf diese Weise ein unnachahmliches analoges Flair, obwohl das Konzert ursprünglich digital auf einem Sony-3348-Mehrspurgerät aufgenommen und über eine analoge Neve-Konsole zu digitalen und analogen Mixdown-Mastern gemischt wurde.

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Bernie Grundman verwendete diese Downmixes dann für ein analoges Schnittmaster. Ohne jeden Anflug von Nebengeräuschen gleitet der Tonabnehmer bei 45 Umdrehungen pro Minute durch die Rillen, und Barbers sonore Stimme umschmeichelt den Hörer, begleitet von warmen dahingetupften Bässen. Eine wohlige Clubatmosphäre durchströmt den Raum und lässt den Hörer in eine Intimität abtauchen, die dann doch nur Vinyl bereithalten kann. In dieser hervorragenden Klangqualität wird schnell klar, dass Patricia Barbers stimmliches Timbre mehr an farblicher und agogischer Varianz bereithält als so manche andere gehypte audiophile Frauenstimme, deren musikalischer Wert mitunter fragwürdig bleibt. Was aber Barber und ihre Musiker hier live zum Besten geben, ist von größter musikalischer Stimmigkeit und Integrität. Die perfekte Scheibe für solide ausgestattete Hörräume der HIGH-END-Messe.

Audiophile Aufnahmen, die vor allem das klanglich Spektakuläre suchen, sind unter dem Aspekt des musikalischen Repertoirewerts mitunter zweischneidig. Einerseits werden häufig kompositorisch zu vernachlässigende Showaspekte in den Vordergrund geschoben, andererseits gelingt es aber auf der Habenseite in seltenen Fällen, musikalische Perlen, die sonst nur schwer zu vermitteln wären, zu wahren Hitmonstern aufsteigen zu lassen. Eine dieser Aufnahmen ist die legendäre LP Hifi Flamenco, eine Vereinigung der JVC-Alben Flamenco Ole und SABICAS. Seien wir mal ehrlich, dieses virtuose, aber durch Kastagnetten und Fußtanz nur karg angereicherte Gitarrenspiel Sabicas’, versehen mit gelegentlichen Gesangseinlagen, hätte ohne den klanglichen Hype nur spezialisierte Musikethnologen interessiert und wäre nie in gediegene Wohnzimmer gelangt. Seit der Veröffentlichung von HiFi-Flamenco aber lauschten fortan audiophile Nerds seltsamen Klängen, denen sie sonst nie begegnet wären.

Vinyl Corner: Reissues ohne Reue

Und so darf man sich beim vorliegenden Reissue ein klein wenig in jene Zeit zurückversetzt fühlen, als man ehrfürchtig das wuchtige Vinyl auf den Plattenteller legte und sich den explosiven Schrittfolgen und den peitschenden Gitarrenklängen hingab. Womit wir dann beim dritten Grund für ein gelungenes Reissue sind: Es erlaubt uns eine imaginäre Reise zurück in die legendären Tage frühen HiFis und lässt uns ein wenig den Geist jener Pionierzeit atmen. Zumal, wenn der Neuausgabe – wie hier im JVC Mastering Center und in den Abbey Studios – ein derartiger klanglicher Schliff, ebenfalls im One-Step-Verfahren, mit auf den Weg gegeben wurde.

Wir sehen also drei unterschiedliche Wege, lohnenswerte Reissues auf Vinyl zu produzieren, die entgegen aller Vorurteile dennoch eine Bereicherung der heimischen LP-Sammlung sein können. Es bedarf freilich ein wenig der Rosinenpickerei, aber dann fällt die akustische Belohnung umso größer aus.

Art Blakey & The Jazz Messengers
Olympia Concert
Label: Sam Records
Format: Doppel-LP (180 g)

Patricia Barber
Nightclub
Label: Impex Records
Format: Doppel-LP (45 rpm, 180 g, 1Step)

Sabicas
HiFi Flamenco
Label: Fung Hang Records
Format: Doppel-LP (UHQLP, 180 g)

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.