Määäh? Die Feldversuche des Thomas Thwaites
Vor einiger Zeit habe ich berichtet, dass ich eine Band gründen würde, einfach weil ich mithilfe eines KI-Generators auf den schönen Bandnamen „Beyond Büchsenschinken“ gekommen war.
Mittlerweile hat mich die Realität wieder. Denn da ich kaum den Flohwalzer auf dem Klavier spielen geschweige denn mehr als drei Noten singen könnte, bliebe mir dafür nur das überschätzte Genre Punk, in dem sich aber bereits jede Menge Bands mit kreativen Namen tummeln, ich sage nur „Acht Eimer Hühnerherzen“ oder „Drei Meter Feldweg“. Und wer mich kennt, der wird dem Ergebnis meines ehrlichen Charakter- und Kompetenzen-Kassensturzes sicher zustimmen: Ich bin kein Punk. Ich komme überhaupt nur auf diese kurze Episode narzisstischer Träumerei zurück, weil mir eben ein seltsames Foto untergekommen ist. Darauf zu sehen ist ein Mann, der, umgeben von einer Herde Ziegen, mit ungewöhnlichen Konstruktionen an Armen und Beinen auf allen vieren über eine Wiese läuft. In der dazugehörigen Geschichte erfahre ich, dass der Mann Thomas Thwaites heißt und ein britischer Designer und Naturphilosoph ist, der sich die Frage gestellt hatte: Wie lebt es sich als Tier?
Es sei doch frustrierend, Mensch zu sein, gab er zu Protokoll, viel zu kompliziert, und man mache sich ständig Sorgen. Nun, Katze auf dem Sofa war Thwaites dann zu einfach, Fledermaus zu schwer. Elefant sollte es eigentlich sein, wäre aber in der Umsetzung schwierig und, nach Rücksprache mit einem Verhaltensbiologen, bei einer möglichen Herdeneingliederung zu gefährlich gewesen. Also wurde er Ziege. Ließ sich Hufprothesen sowie einen künstlichen Magen entwickeln, um Gras mithilfe von Bakterien so zu zersetzen, dass er es während seiner Metamorphose in den Schweizer Alpen mit dem Strohhalm verzehren konnte. Die Ziegen hatte Thwaites schnell überzeugt: Eine wollte offenbar seine Partnerin werden, eine andere forderte ihn daraufhin zum Duell. Nur sich selbst überzeugte Thwaites nicht. Er entschied sich schließlich wieder für ein Leben auf zwei Beinen. Einem Reporter der BBC erklärte er: „Ziege zu sein ist genauso anstrengend wie Mensch zu sein. Nur auf andere Art.“
Als Möchtegern-Punk, der über den Namen seiner hypothetischen Band nie hinausgekommen ist, kann ich dem Ziegenmann nur gratulieren. Ein Mann der Tat. Drückt uns nicht alle mal ein Konjunktiv samt Fragezeichen? „Was wäre, wenn …?“, „Wie wäre es als …?“ und „Könnte ich nicht auch …?“ Davon leben ganze Branchen, von der Botox-Chirurgie bis hin zu Dieter Bohlen, wobei die Schnittmenge beider Beispiele groß sein dürfte. Und auch wenn kaum ein Castingformat zumindest im europäischen Kulturraum je eine nachhaltig einprägsame Stimme entdeckt hat, so gibt mir der agile Ziegenmann Hoffnung und Inspiration. Sollte ich nicht doch noch einmal mit falschen Tränensäcken, gefaktem Proletendialekt und Plauzenprothese samt künstlichem Magen für die Verdauung von billigem Bier einen neuen Anlauf als Punkmusiker nehmen? Den Titel fürs Erfolgsalbum habe ich natürlich schon: Never Mind The Bollocks. Here’s Beyond Büchsenschinken.
PS: Unnützes Wissen, Teil 41:
Für sein ungewöhnliches Ziegen-Experiment erhielt Thomas Thwaites den alternativen Ig-Nobelpreis für Biologie, musste sich diese Auszeichnung aber mit dem Forscher Charles Foster teilen, der ebenfalls zeitweise als Wildtier in der Natur gelebt hatte, unter anderem als Otter, Reh und Fuchs. Die Ig-Nobelpreise werden jährlich am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) im US-amerikanischen Cambridge verliehen. Mit ihnen werden Leistungen gewürdigt, die das Ungewöhnliche feiern, den Einfallsreichtum ehren und das Interesse der Menschen an Wissenschaft, Medizin und Technologie wecken.



