Looking for the English FIDELITY Magazine? Just click here!
Albumdoppel: The Beatles / The Residents

The Beatles / The Residents

Albumdoppel: Vier im dunklen Korridor

The Beatles / The Residents

Es gibt nicht nur Coverversionen von Songs. “Gecovert” werden auch die Plattenhüllen. Das gecoverte Cover: Ist es witzige Anspielung, respektvolle Verehrung, Parodie – oder hat es einen tieferen Sinn?

Vier junge Männer Anfang 20, die sich „The Beatles“ nannten, eroberten 1963 das Vereinigte Königreich. Sie hatten das Nummer-eins-Album des Jahres, die Nummer-eins-EP und drei Nummer-eins-Singles. Sie gaben fast täglich Konzerte, Radio- und Fernsehauftritte und machten ihre erste Auslandstournee (in Schweden). Der amerikanische Teil ihrer Plattenfirma aber sagte: Interessiert uns nicht! – In der Tat: In den USA sind die ersten Beatles-Singles gefloppt. Aber dann, Ende 1963, erschien im UK schon das zweite Album (With The Beatles) und kurz danach (unabhängig davon) die fünfte Single (I Want To Hold Your Hand) – und das amerikanische Label (Capitol) gab sich geschlagen. Dort hat man dann aus dem zweiten Album With The Beatles das offizielle US-Debütalbum gemacht, es Meet The Beatles genannt und auch ein wenig umgekrempelt. Die neue Single setzte man an den Anfang, die beiden B-Seiten (US- bzw. UK-Version) dahinter. Erst danach kamen die Songs des britischen Originalalbums. Allerdings hat man dabei fünf Coverversionen weggelassen – vermutlich hielt man die US-Originale für weit besser.

Albumdoppel: The Beatles / The Residents

Ja, die Beatles nahmen damals noch Coverversionen auf – „Roll Over Beethoven“ zum Beispiel oder „Please Mr. Postman“. Der einfache Grund: Die britische Musikwelt erwartete von einer Band zwei LPs pro Jahr, jede mit 14 Stücken gefüllt – das überforderte selbst die Kreativität von Lennon und McCartney. 14 Stücke pro LP waren übrigens in den USA nicht üblich – dort bevorzugte man zwölf Stücke. Also: fünf Stücke raus, drei rein, fertig war „The First Album by England’s Phenonomenal Pop Combo“, wie es auf der amerikanischen Plattenhülle heißt. Einziger Schönheitsfehler: Meet The Beatles war gar nicht das erste US-Album. Denn genau zehn Tage vorher erschien ihre UK-Debüt-LP Please Please Me doch endlich auch in den USA. Vee-Jay Records, ein kleines Jazz- und Blueslabel, hatte sich die Lizenzrechte daran gesichert, nachdem Capitol nicht interessiert gewesen war. Als Meet The Beatles groß durchstartete, floss auch für Vee-Jays Please Please Me bald das Geld in Strömen.

Für die Frontseite von Meet The Beatles übernahmen die Amerikaner einfach das Titelfoto von With The Beatles – und färbten es leicht blau ein. Der Londoner Fotograf Robert Freeman (1936–2019) hat das Bild gemacht. Er hatte sich mit einer Mappe mit schwarzweißen Jazzporträts beworben – John Coltrane, Cannonball Adderley, Dizzy Gillespie. Die Beatles zeigten sich interessiert, äußerten aber eigene Vorstellungen: Sie wünschten sich ernste Gesichter im Halbschatten. Paul McCartney erinnert sich: „Er stellte uns in einen Hotelkorridor. Der Korridor war sehr dunkel, aber am Ende gab es ein Fenster, und indem er diese starke Quelle natürlichen Lichts nutzte, erhielt er dieses sehr schwermütige Bild.“ Wegen des quadratischen Formats der LP-Hülle musste einer der vier Musikerköpfe allerdings vertikal versetzt werden – Freeman wählte Ringo Starr. „Weil er als Letzter zur Band gestoßen ist. Außerdem war er der Kleinste.“ Freeman sollte einige Jahre lang der Hoffotograf der Beatles bleiben.

Alle Songs auf Meet The Beatles – darunter die großen Radio-Hits „I Want To Hold Your Hand“ und „All My Loving“ – wurden später von vielen Bands gecovert. Auch das Albumcover mit Freemans Foto ist häufig nachgebaut worden. Eine der ersten „Coverversionen“ der Hülle entstand 1974 für Meet The Residents, das Debütalbum einer Avantgarde-Artrock-Formation aus San Francisco. Für ihre eigene Plattenhülle haben sie die Köpfe der Beatles einfach mit kleinen Zeichnungen verunstaltet – verdrehte Augen, Vampirzähne, Fledermausohren. Auf den ersten Blick sieht das recht gespenstisch und zombiemäßig aus. (Auch die Rückseite der Plattenhülle wurde übrigens dem Beatles-Album nachgestaltet.) Dass die Residents nicht einfach ihre eigenen Köpfe aufs Cover gesetzt haben, hat einen Grund: Sie wollten anonym bleiben. Schon als sie sich erstmals bei einer Plattenfirma beworben hatten, gaben sie nur ihre Adresse als Absender an. Die Antwort (natürlich abschlägig) war einfach an die Bewohner („residents“) dieser Adresse gerichtet – so entstand damals der Bandname. Erst 2017 gab sich einer der Residents zu erkennen – sein Name war Hardy Fox (1945–2018). Die anderen sollen ursprünglich seine Highschool-Freunde gewesen sein, in Shreveport, Louisiana.

Die Residents waren nie eine Band, gaben nie Konzerte. Sie waren vielmehr ein Künstlerkollektiv – oder vielleicht ein kreativer, offener Workshop-Kreis. Was auf ihrem Debütalbum zu hören ist, sind reine Tonbandexperimente – Collagen aus fremden und verfremdeten Musikaufnahmen, rhythmisierten Geräuschen, opernhaften oder comicartigen Gesängen sowie Beiträgen an verschiedenen (nicht immer identifizierbaren) Instrumenten. Eine frühe, prä-digitale, surrealistische Form von Sampling. Die Aufnahmen auf Meet The Residents sollen ursprünglich auch gar nicht als Album geplant gewesen sein.

Albumdoppel: The Beatles / The Residents

Sie dienten vielmehr der „Entspannung“ während der anstrengenden Arbeit an einem Filmprojekt. Denn Film, Fotografie, Malerei und so weiter gehörten mit zum Tätigkeitsfeld der anonymen Künstlergruppe. Musikalisch waren sie wohl von Leuten wie Frank Zappa und Captain Beefheart inspiriert. Doch der experimentelle Avantgardismus der Residents übertraf alles, was man damals kannte. Vom Debütalbum sollen im ersten Jahr gerade mal 40 Stück verkauft worden sein. Später allerdings wurden die Residents zum Kult. Beinahe 100 verschiedene Tonträger haben sie bis heute veröffentlicht.

The Beatles: Meet The Beatles (Capitol, 1964)

The Residents: Meet The Residents (Ralph, 1974)

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.