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Audio Physic Cardeas 2.0

Audio Physic Cardeas 2.0

Was ist schon normal?

Audio Physic Cardeas 2.0

Wer in extremen Umgebungen nahezu Unmögliches erreichen will, muss gewöhnliche Dinge völlig anders denken. Die Räder eines Mars Rovers sind rund, funktionieren aber völlig anders als die an einem Toyota Corolla. Manfred Diestertich will nur in seinem Wohnzimmer Musik hören, aber sein Erfindergeist treibt ihn unaufhörlich an, auf Schritt und Tritt das Rad neu zu erfinden – einfach so, mit spektakulären Ergebnissen.

 

In aller Kürze:
Die Audio Physic Cardeas 2.0 verkörpert alle Tugenden der Briloner Manufaktur in ihrer bislang besten Form.

Audio Physic Cardeas 2.0


Audio Physic Cardeas 2.0

Die Audio Physic Cardeas 2.0 sieht aus wie ein Lautsprecher: hoch, schlank und eckig, mit Treibern vorne raus. Sie funktioniert auch wie so ziemlich jeder andere Schallwandler – oberflächlich betrachtet. Keine Bändchen, AMTs oder sonstige exotische Tweeter-­Formen; alle Treiber sind von der gewohnten dynamischen Varietät. Wer jedoch schon mal mit den Kreationen von Manfred Diestertich auf Tuchfühlung gehen durfte, erwartet im Grunde von vornherein, dass nahezu jedes Bauteil ein bisschen anders funktioniert als üblich – und in der Regel aus gutem Grund. Ein Gehäuse aus Glas etwa klingt bei einem Lautsprecher nicht zielführend – allerdings ist das nur eine Außenverschalung, die elastisch an das Innengehäuse aus einem Honeycomb-MDF-Kompositmaterial angekoppelt ist.

Audio Physic Cardeas 2.0
Wichtigste Neuerung an der Cardeas ist das RecoTec genannte Membranmaterial. Zog Diestertich bislang die Präzision harter Membranen der Körperhaftigkeit von Papier vor, vereint dieses Kohlefasergelege das Beste beider Welten in sich. Diestertich war beim ersten Probehören so überzeugt, dass er von nichts weniger spricht als dem „Membranmaterial der Zukunft“.

Zweck der Übung ist es, zwei Materialien mit vollkommen unterschiedlichem Resonanzverhalten miteinander zu verbinden – die Außenhaut macht dadurch keinerlei Anstalten, sich von etwaigen Vibrationen des Hauptkorpus zum Mitwippen bewegen zu lassen und klingt dementsprechend schlicht gar nicht. Von außen – und so soll es ja auch sein – sieht man von all der technischen Finesse indessen herzlich wenig.

Weil sich das Thema der ebenso cleveren wie unsichtbaren Detaillösungen wie ein roter Faden durch den gesamten Lautsprecher zieht, schickte uns Audio Physic in weiser Voraussicht zusätzlich zum Testpaar noch ein Schnittmodell mit – hauptsächlich für die Fotos, aber es dauerte nicht lange, bis sich ein Vierteldutzend neugieriger Redakteursnasen durch die halboffenen Gehäusekammern der technischen Anatomiestudie arbeitete. Die auffälligste, weil physisch größte Besonderheit ist das separate, im eigentlichen Korpus sitzende Tieftönergehäuse, das wir bereits aus der scheidenden Cardeas kennen. Aus der ziemlich kleinen geschlossenen Kammer arbeiten nicht ein, sondern zwei Basstreiber in Push-Push-Anordnung ins Gehäuse hinein, wodurch sich ihre Bewegungsimpulse gegenseitig auslöschen, bevor sie auf den Lautsprecher an sich übertragen werden können.

Audio Physic Cardeas 2.0
Beim Hochtöner handelt es sich nicht etwa um eine Kalotte mit Hornvorsatz, sondern um einen 40-mm-Konus. Abseits der Staubschutzkappe kommt auch hier das neue Membranmaterial zum Einsatz.

Das alles ist recht beeindruckend, doch die Nasen fragen sich bald, wozu man den ganzen Aufwand mit diesem „Druckkammer-Bass“ überhaupt treibt. Im Gespräch erklärt mir Diestertich, dass es im Grunde einfach nur darum ging, die schönen Glasflanken des Gehäuses nicht unnötig aufzubrechen. Seitlich angeordnete Basstreiber haben bei Audio Physic eine gewisse Tradition, erlauben sie doch die Verbindung von reichlich Membranfläche im Kellergeschoss und einer schön schlanken Schallwand. Und wenn man besagte Membranfläche dann noch völlig unsichtbar machen kann – umso besser. Akustisch verhält sich das System ziemlich genauso wie ein konventionelles Bassreflexgehäuse, hat allerdings ein verstecktes Ass im Ärmel: Nach unten gerichtete Reflexkanäle sind erfahrungsgemäß gutmütiger, was die Aufstellung im Hörraum angeht – ein Vorteil, der sich jedoch meist teilweise selbst aufhebt, weil der Bass dann aus zwei Quellen kommt, von denen je nach Frequenz mal die eine, mal die andere dominiert. Dazu liegen beide oft recht weit auseinander und strahlen dann auch noch in verschiedene Richtungen ab. Nun sind die Wellenlängen im Tiefton zwar lang, aber dennoch kann die Reaktion des Lautsprechers auf den Raum dadurch ein Stück weit unberechenbar werden. Da der Bass der Cardeas quasi sequenziell erst das Gehäuse und von dort aus dann den Raum unter Druck setzt, gibt es hier nur eine nach unten gerichtete Bassquelle, was der Ankopplung an die Raumakustik nur guttun kann.

Audio Physic Cardeas 2.0
Über den Schraubklemmen – die nur Single-Wiring zulassen – sind die beiden runden Kippschalter zu erkennen, mit denen sich die induktive Dämpfung der Tiefmittel- und Tieftöner in je zwei Stufen regeln lässt. Das Furnier, das Sie im Bild sehen, wird es übrigens nicht in die Serie schaffen – es ist im strengen firmeninternen Qualitätscheck durchgefallen.

Das Nächste, was uns auffiel, waren die doppelten Schwingspulen an den Tief- und Tiefmitteltönern. Sie stehen im Zusammenhang mit den Dämpfungsschaltern an den Anschlussterminals, die sich separat für Tief- und Tiefmittelton in je drei Positionen einstellen lassen. Hier nutzt Diestertich gezielt die Wirbelströme aus, die durch die Schwingspulenbewegung im Luftspalt induziert werden und ihr so entgegenwirken – sprich: sie bedämpfen. Mit den Schaltern lässt sich die zweite Spule teils oder ganz aus dem Signalweg nehmen, wodurch sich die Dämpfung des gesamten Systems verringert. In der standardmäßigen Nullstellung ist die Spule kurzgeschlossen und der Lautsprecher arbeitet mit einer Güte von etwa 0.6, ist also annähernd kritisch bedämpft. Zu Deutsch darf man sich davon den schön schlanken, schnellen und knackigen Bass erwarten, den wir von Audio Physic gewohnt sind. Wer gerne viel Eurythmics oder gewisse alte Progrock-Aufnahmen mag (etwa „YYZ“ von Rushs Album Moving Pictures), bei denen es im Untergeschoss gerne mal etwas dünn und holzig zugeht, der kann die Dämpfung in zwei Stufen rausnehmen und sich so auf Kosten von ein bisschen Schnelligkeit einen etwas volleren, runderen Bass verschaffen. Da das für Tiefmittelton und Bass jeweils separat geht, sollte man für die gesamte Musiksammlung ausreichend Permutationen zur Verfügung haben. Diestertich legt in diesem Kontext übrigens großen Wert darauf, dass die Cardeas unabhängig von der Dämpfungseinstellung einen recht linearen Impedanzverlauf zeigt – naturgemäß ändert sich die Kurve im Bereich der Resonanzen, aber das Impedanzminimum sackt in keiner Stellung weit unter den Nominalwert; der Verstärker soll in jedem Fall eine schön gleichmäßige Last sehen.

Audio Physic Cardeas 2.0
Hier lässt sich am Mittel- und auch am Hochtöner gut das faserige Membranmaterial erkennen. Verbundwerkstoffe wie Kevlar oder Kohlefaser lehnte Diestertich bislang ab, da deren geordnete Struktur in Verbindung mit den Trägermaterialien stets für Resonanzen sorgt. Die chaotische Anordnung – Papier nicht unähnlich – der Fasern in dem Gelege scheint das Problem überzeugend zu lösen.

Alle technischen Besonderheiten der Cardeas zu beschreiben, würde freilich den Rahmen des Artikels sprengen – ist aber auch gar nicht nötig: Gegenüber der Vorgängerin, die wir bereits in FIDELITY 54 im Test hatten, ist das meiste unverändert geblieben. Die bedeutendste Änderung ist, wie Diestertich betont, das Membranmaterial, das in allen Treibern von den Tiefmitteltönern bis hin zum kleinen Hochtonkonus das bisherige Aluminium ersetzt. Für Diestertich waren Metallmembranen bislang stets der beste Kompromiss – aber dennoch eben genau das: ein Kompromiss. Die natürliche Körperhaftigkeit von Papier fehlt den Hartmembranen zwar, aber deren überlegenes Auflösungsvermögen hat für ihn den Ausschlag gegeben. Wie jeden Aspekt seiner Designs hat Diestertich natürlich auch das hinterfragt – allenthalben locken Hightech-Materialien wie Kevlar oder Kohlefaserverbundwerkstoffe. Die konnten ihn allerdings nie völlig überzeugen, denn die Kunstharze, mit denen die Festigkeit eingestellt wird, zeigen im Zusammenspiel mit der regelmäßigen Struktur des Materials ungebührliche Resonanzen, und so blieb es eben beim bewährten Aluminium – bis er auf eine neue Wunderformel stieß, über die er seitdem aus dem Schwärmen nicht mehr herauskommt: Ein in eine Polypropylenmatrix eingebettetes Kohlefasergelege. Ähnlich wie die Zellstofffasern in Papier sind dessen Carbonfasern chaotisch angeordnet, was Resonanzen naturgemäß schlechte „Arbeitsbedingungen“ bietet – klingt verheißungsvoll und, wie Hörversuche bald zeigten, vor allem hervorragend. Diestertich spricht hier von nichts weniger als dem „Membranmaterial der Zukunft“, das für sein Ohr das Beste beider Welten in sich vereint.

Audio Physic Cardeas 2.0
Entstanden ist das Schnittmuster, um damit auf Messen angeben zu können – zu Recht, wie wir hinzufügen möchten. Aber wenn man’s schon mal hat, kann man es ja auch neugierigen Testern zur Verfügung stellen … In der Gesamtschau werden noch weitere Besonderheiten sichtbar wie die Honeycomb-Innenlage der Gehäusewände, die man so ähnlich auch von hochwertigen Racks kennt, oder der großzügige Einsatz von Keramikschaum zur Dämpfung und Kontrolle der Luftströme.

The Dead South helfen mir alsbald herauszufinden, was mein Ohr dazu sagt: „In Hell I’ll Be In Good Company“ von ihrem Debütalbum Good Company bietet mit zwei Stimmen, Banjo, Gitarre und Cello, dazu einer gepfiffenen Melodie und Fingerschnippen eine repräsentative Auswahl an natürlichen Schallereignissen – hervorragend, um sich einen schnellen Eindruck von der Glaubhaftigkeit der Wiedergabe zu verschaffen. Und in der Tat trifft die Cardeas die Timbres punktgenau: Pfeifen und Fingerschnippen schneiden und schnalzen sich spitz und scharf, aber dennoch stets mit der passenden Substanz durch den Raum, die Cellosaiten platzen mit ihren Noten heraus, die sofort von warm-holzigem Korpussummen des Instru­ments beantwortet werden, während sich Nathaniel Hilts’ krächzend-helle und Danny Kenyons sonor-dichte Stimme im Wechsel die Ehre geben.

Alle explosiven Elemente platzen abrupt aus dem Nichts in die Existenz und verhallen mit bestechender Natürlichkeit, während sich die unteren Register mit einer organisch-warmen Klangfülle im Raum ausbreiten. Wenn die Aufnahme nicht gerade durch Klangschminke „gerettet“ werden muss, gehören die Dämpfungsschalter klar auf Stellung „0“. Vor allem, wenn der Beat so schön treiben soll wie bei „Destroy Everything You Touch“ von Ladytron (Witching Hour) oder „Technopolis“ von Yellow Magic Orchestra (Solid State Survivor) – gerade bei Letzterem zeigt sich neben der enormen Trennschärfe in der Unzahl flirrender Klangeffektchen vor allem auch diese faszinierende Mühelosigkeit, mit der die Cardeas eine enorm ausgedehnte und bestens sortierte Bühne in den Raum zaubert, die für mich eines der Erkennungsmerkmale einer Audio Physic schlechthin ist. Zum Thema Trennschärfe fällt mir noch ein weiteres Stück ein: Charles-Valentin Alkans Étude WoO aus der Encyclopédie du Pianiste Compositeur ist ein rasend schnelles Klavierstück, bei dem sich zwischen der linken und rechten Hand eine überraschend komplexe Rhythmusfigur aufspannt, die in sich eine übergreifende Melodie formt.

Audio Physic Cardeas 2.0

Über die Cardeas lässt sich durch die warme, volle Resonanz des Klavierkorpus hindurch stets mühelos die Struktur des Spiels von Mark Viner ausmachen, ich kann die linke und rechte Hand förmlich vor mir sehen und jederzeit klar nachvollziehen, wie sie sich ihre Arbeit teilen und einander absolut schlüssig ergänzen.

Ist die Audio Physic Cardeas 2.0 nun eher auf der warmen und vollen oder auf der straffen und präzisen Seite? Klare Antwort: auf beiden! Musikalische Klangfülle und messerscharfe Präzision fühlen sich hier nicht wie ein zu meisternder Spagat an, sondern schlicht wie der natürliche Grundzustand, dargeboten mit lässiger Selbstverständlichkeit. Ich gewinne definitiv den Eindruck, dass sich der klangliche Fortschritt gegenüber der Vorgängerin im Direktvergleich sicher nachvollziehen ließe – was mir jedoch wichtiger ist: Sie klingt nach wie vor unverkennbar wie eine Audio Physic.

Audio Physic Cardeas 2.0

Info

Lautsprecher Audio Physic Cardeas 2.0

Konzept: 4-Wege-Standlautsprecher, passiv
Bestückung: 2 x 28-cm-Tieftöner, 18-cm-Tiefmitteltöner, 15-cm-Mitteltöner (HHCM V SL+, zentrierungslos), 39-mm-Hochtöner (HHCT V+)
Terminal: Single-Wire mit WBT PlasmaProtect und Dämpfungsschalter für Tiefmittel- und Tiefton
Frequenzbereich: 25 Hz bis 40 kHz
Impedanz: 4 Ω
Wirkungsgrad: 89 dB
Empfohlene Verstärkerleistung: 40 bis 350 W
Besonderheiten: Membranen aus Kohlefasergelege in PP-Matrix, Mitteltöner ohne Zentrierspinne, Tieftöner in interner Druckkammer in Push-Push-Anordnung
Ausführungen: Glas Weiß Hochglanz, Glas Schwarz Hochglanz sowie Glas Rot, Anthrazit, Glas Perlweiß, Glas Silber/Grau gegen Aufpreis
Gewicht: 63 kg
Maße (B/H/T): 25/128/43 cm
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: um 38 990 € (Sonderfarben um 42 990 €)

Kontakt

Audio Physic

Almerfeldweg 38
59929 Brilon
Telefon +49 2961 961 70
info@audiophysic.com

www.audiophysic.com

Mitspieler

CD-Player: Ayon CD-3sx, Audio Note CD 3.1x
Netzwerkplayer/Streamer: Lumin P1, T+A PSD 3100 HV
Vorverstärker: Accuphase C-2300, Soul Note P-3
Vollverstärker: Line Magnetic LM-88IA, Aavik I-580
Endverstärker: Burmester 216, Riviera AFS-32, Soulnote M-3x
Lautsprecher: Wilson Audio Sasha DAW, Wilson Benesch Omnium
Rack: Solidsteel, Finite Elemente, beaudioful
Kabel: AudioQuest, HMS, in-akustik, Vovox

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