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Rosenstolz - Kassengift

Rosenstolz – Kassengift

Extravagante Eleganz

Rosenstolz – Kassengift

Stakkatoartige Synthieklänge geben einen pulsierenden Trance-Rhythmus vor. Dazu mischen sich abgehackte choralartige Klänge. Und dann setzt die Stimme einer Frau ein, lateinische Zeilen hauchend: „Amo vitam. Amo generem. Tamen quare sum sola?“. Übersetzt: „Ich liebe das Leben. Ich liebe den Sex. Doch warum bin ich einsam?“

Das ist meine erste Erinnerung an das Berliner Popduo Rosenstolz. Meine Eltern hatten mich, damals neun Jahre alt, zum Auftritt der Berliner Band im Hamburger Stadtpark mitgenommen. Es war das erste Konzert meines Lebens. Um mich herum eine diverse Schar an jungen Frauen und Männern in schwarzer Kleidung, teils stark geschminkt und zumeist innig ineinander verschlungen – durchaus sinnesüberfordernde Eindrücke für einen Neunjährigen. Mindestens ebenso beeindruckend war aber auch das Duo auf der Bühne: AnNa R. am Mikrofon und Peter Plate am Keyboard. Ich erinnere mich an dieses Konzert und speziell an diesen Song, „Amo Vitam“, als im März 2025 die Nachricht des Todes von AnNa R., bürgerlich Andrea Neuenhofen, publik wurde.

In der elterlichen Plattensammlung fand ich jetzt genau das Album wieder, auf der dieser so einprägsame Moment seinen musikalischen Anfang nahm: Kassengift. Studioalbum Nummer sieben von Rosenstolz, erschienen im September 2000, in der wohl spannendsten Phase des Berliner Duos.

Rosenstolz - Kassengift

Die Band, 1991 gegründet, setzte zu dieser Zeit zum Sprung nach ganz oben an. Und das mit einem für Millenniumverhältnisse akustisch extrem elegant produzierten Album – die soundmäßig unausgegorenen Neunziger mit ihrer seltsamen Mischung aus Grunge, Britpop und Euro-Dance („Groove Is In The Heart“) waren ja gerade erst herum.

Als „Mondänpop“ beschrieb das Duo zu dieser Zeit den eigenen Sound. Was man sich darunter vorstellen darf? Rosenstolz liefern auf Kassengift die musikalische Antwort. Und zwar direkt vom Start des ersten, titelgebenden Songs weg. Zunächst erklingen da opernarienhafte Gesänge, Streicher und Synthiesounds, dann wandert die Stimme von AnNa R. zwischen den Lautsprecherboxen von links nach rechts und zurück und singt: „Ich bin der Song, der nie gespielt wird. Ich bin das Video, das nicht läuft“. Eine metallisch-verzerrte Stimme ergänzt: „Hier kommt das Kassengift“. Eine Anspielung darauf, dass Rosenstolz zuvor kaum mediale Aufmerksamkeit erhielt. Doch das änderte sich mit diesem Album: Kassengift wurde zu ihrem ersten Nummer-eins-Album.

Schon der erste Song macht klar: Vom Klang der weichgespülten Radio-Popsongs „Ich bin ich (Wir sind wir)“, „Liebe ist alles“ oder „Gib mir Sonne“, den größten Hits der Band in den späteren 2000er Jahren, ist das Duo damals noch weit entfernt. Kassengift ist vor allem vom Sound her weitaus experimenteller. „Amo Vitam“ ist dafür ein Beispiel, aber auch die Rosenstolz-Coverversion von „Total Eclipse“. Das Original stammt aus dem Jahr 1981, vom mittlerweile verstorbenen deutschen Countertenor Klaus Nomi, und AnNa R. wechselt bei der abwechslungsreichen Synthiepop-Nummer genau wie er munter zwischen Kopf- und Bruststimme.

Für Rosenstolz war die Interpretation von „Total Eclipse“ eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln. Denn als sich AnNa R. und Peter Plate Anfang der Neunziger kennenlernten, war es die Musik von Klaus Nomi, die beide als kleinsten gemeinsamen Nenner ausmachten. Ein ziemlich extravagantes Vorbild also, das den Mondänpop-Sound von Kassengift geprägt hat. Zu hören auch bei dem Düster-Duett „Die Schwarze Witwe“, bei der AnNa R. gesanglich von Nina Hagen unterstützt wird. In der von akzentuierten Streichersätzen und verzerrten Gitarrenklängen geprägten Nummer verschmelzen die Stimmen der beiden zu einer bemerkenswert kraftvollen Symbiose. Das ist, was immer man sonst von deutscher Popmusik oder auch von Nina Hagen halten mag, eine wunderbare Bewährungsprobe für jede High-End-Anlage.

Rosenstolz – Kassengift

Label: Polydor
Format: CD, LP, DL 16/44

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