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Album-Doppel: Mobley vs. Beatnuts

Umschwung und Sampling

Album-Doppel: Mobley vs. Beatnuts

Es gibt nicht nur Coverversionen von Songs. „Gecovert“ werden auch Plattenhüllen. Das gecoverte Cover: Ist es witzige Anspielung, respektvolle Verehrung, Parodie – oder hat es einen tieferen Sinn?

Im modernen Jazz gibt es zwei große Schulen des Tenorsaxofons. Entweder spielt man das Tenor laut und aggressiv – so wie Sonny Rollins und John Coltrane. Oder aber sanft und kühl – so wie Stan Getz und Al Cohn. Einer wie Hank Mobley stand da immer dazwischen, also eigentlich im Niemandsland. Sowohl sein Temperament wie sein Sound machten ihn zu einem „Mittelgewicht“, wie ihn ein führender Jazzjournalist nannte. Für seine Karriere war diese Halbposition nicht besonders hilfreich. Hank Mobley (1930–1986) blieb oft ein wenig im Schatten, zumal er ein defensiver, unaufdringlicher Mensch war. Er selbst wusste ganz genau, dass er in der Wahrnehmung der Jazzwelt zu kurz kam. „Aber solange mir Leute wie Charlie Parker, Dizzy Gillespie und Miles Davis Komplimente machen, kann ich doch zufrieden sein“, meinte er bescheiden. „Von ihnen wertgeschätzt zu werden, das ist meine größte Genugtuung.“

Die Nummer eins des Hardbop

Dabei war Hank Mobley, nüchtern betrachtet, der Tenorsaxofonist Nummer eins des Hardbop gewesen. Denn wer spielte das Sax auf der ersten echten Hardbop-Studioplatte 1955? Genau: Hank Mobley. Und von wem sind die Saxsoli in Horace Silvers frühen Meisterstückchen wie „Senor Blues“, „Nica’s Dream“, „Soulville“ oder „Home Cookin’“? Ebenfalls: Hank Mobley. Man nannte ihn nicht zu Unrecht den „Daddy des Hardbop-Tenors“. Mehr als 30 Leader-Platten hat er gemacht und mehr als 60 weitere Alben als Sideman, die meisten für Blue Note. Unermüdlich spielte Hank Mobley mit diesem samtigen Ton (nicht hart, nicht weich), blies seine trudelnden Linien (weder aggressiv noch lyrisch), entfaltete seine melodischen Ideen (weder virtuos noch unterkühlt). Am populärsten war er, als er bei Miles Davis spielte, über zwei Jahre lang. Allerdings machte die Band in dieser Zeit nur ein einziges Studioalbum – und auf dem stahl ihm auch noch John Coltrane die Show.

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Hank Mobley: The Turnaround (Blue Note BST 84186)

Turnaround als Comeback

Ausgebremst wurde Hank Mobley immer mal wieder auch durch seine Drogenprobleme. Zweimal hat man ihn deswegen sogar ins Gefängnis gebracht, zuletzt 1964. Das Album The Turnaround signalisierte danach sein Comeback. Zwei Stücke darauf stammen noch aus dem Jahr 1963 (mit Donald Byrd an der Trompete). Doppelt so viele Stücke aber entstanden erst Anfang 1965 (mit Freddie Hubbard), direkt nach seiner Rückkehr in die Freiheit. Zwischen den beiden Sessions war viel passiert, nicht nur in Mobleys Leben: die Ermordung Kennedys, die Oktoberrevolution der Jazz-Avantgarde, der Tod Eric Dolphys, der Triumph des Soul Jazz …

The Turnaround – der Name sagt es – sollte eigentlich die Wende markieren, privat, stilistisch, gesellschaftlich. Das Titelstück war brandneu, gespielt in der Art von The Sidewinder, dem großen Soul-Jazz-Erfolg von Mobleys Freund Lee Morgan. Gleich zwei Musiker von Morgans Hit hat Mobley auch direkt in seine Band übernommen: Barry Harris am Piano und Billy Higgins am Schlagzeug. Dieser tanzbare Soul-Stil mit den straighten Achteln war neu für Mobley, auch die Form seines Stücks war ungewöhnlich, sozusagen ein 16-Takte-Blues mit 18-taktiger Moll-Bridge. Was den Erfolg angeht, konnte er leider an Morgans Hit nicht anknüpfen.

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The Beatnuts: Intoxicated Demons – The EP (Relativity/Violator 88561-1114-2)

Kringel = Turn

Der Blue-Note-Grafiker Reid Miles hat (einmal mehr) das Cover gestaltet. Blickfang ist der Pfeil im Umschwung, der Kringel mit inwendiger Spitze – eben ein „turnaround“. Dieses Design regte 1993 die New Yorker Rap-Formation The Beatnuts zum Cover ihrer Debüt-EP an. Der Turnaround-Pfeilkringel wurde nicht kopiert, sondern frei nachgeahmt. Das leicht veränderte Bildmotiv stieg sogar zum Symbol der Band auf und kehrte auf späteren Covern und Plakaten wieder. Auf der Debüt-EP bestehen die Beatnuts noch aus drei Rappern, die sich Psycho Les, Fashion und JuJu nennen. (Fashion alias Al’ Tariq sollte die Band nach dem ersten Longplayer wieder verlassen.) Als Gast wirkt außerdem ein gewisser V.I.C. mit. In den Neunzigern hat diese EP in der Hiphop-Welt für einige Furore gesorgt, ein paar der „Refrains“ wurden szeneberühmt. Worum geht es in den Texten? Das Übliche: Drogen und Sex. Glaubt man einschlägigen Rezensionen, waren die Beatnuts aber eher Comedians als harte Burschen.

Gut vermengt

Das an Hank Mobley angelehnte EP-Cover könnte man auch ein Bild-„Sampling“ nennen. Sampling ist hier nämlich das Grundprinzip der Musik. Man befand sich noch in der goldenen Ära der Jazz- und Soul-Samples, die sich damals im rechtlichen Graubereich bewegten. Vermutlich wird auf der gesamten EP kein einziges wirkliches Instrument gespielt. Die Beats und Bässe sind elektronisch zusammengebastelt, die weiteren Sounds und Motivfragmente von Schallplatten kopiert und teilweise vielfach aneinandergehängt. Die Liste der hier verwendeten Samples ist ellenlang und verrät eine wahre Liebe zur Popmusik-Historie.

Den Rekord stellt wohl das Stück „World’s Famous“ auf, in dem bislang acht verschiedene Samples identifiziert wurden. Darunter sind Jazzaufnahmen von Dizzy Gillespie, Cannonball Adderley und Lou Donaldson, aber auch R&B-Bruchstücke von den Coasters und Kool & The Gang sowie Hiphop-Fetzen von Diamond D und Malcolm McLaren. Zu den unerwartetsten Samples auf der EP gehören Töne der Heavy-Rock-Band Black Sabbath (in „Reign Of The Tec“) und des niederländischen Jazzflötisten Chris Hinze (in „Story“).

Infos

Hank Mobley: The Turnaround (Blue Note BST 84186)
The Beatnuts: Intoxicated Demons – The EP (Relativity/Violator 88561-1114-2)

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