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Hörstoff - Djent

Das Phänomen Djent

Hörstoff

Das Phänomen Djent

Wird Musik maximal komplex, lenken Gesangsmelodien doch nur ab. Glücklicherweise kommen aus dem Djent, dieser hoch technischen Progmetal-Spielart, auch reine Instrumental-Alben.

Es gibt eine rhetorische Sprachfigur, die schon bei den alten Römern gebräuchlich war, daher der lateinische Name: „pars pro toto“. Also: Man nennt einen Teil und meint damit das Ganze. Wenn jemand „ein schlauer Kopf“ ist, hat er trotzdem natürlich Bauch und Beine. Wenn jemand „eine flotte Saite“ spielt, spielt er natürlich auch die anderen Saiten und das ganze Instrument. Wenn sich ein neuer Musikstil in einem Punkt besonders auffällig von früheren Stilen unterscheidet, kann auch dieses Detail zum „pars pro toto“ werden. Eine neue rhythmische Qualität – und der ganze Stil heißt plötzlich Swing. Eine härtere Art von Beat – und schon gibt es die Beatmusik. Ein bestimmter Gitarrenakkordklang – und wir haben den Djent.

Seit 30 Jahren geistert das Phänomen Djent durch die Welt des Progmetal. Schuld war der Gitarrist der schwedischen Band Meshuggah, der diesen dunklen, verzerrten, mit der Hand gedämpften Powerakkord spielte, den er dann mit dem Kunstwort „djent“ (sprich: dschent) sprachlich imitiert hat. Und weil Meshuggah als die Gott-Genies des komplexen Metal gelten („sie haben Metal komplett neu gebaut in abstrakter Form“), machte dieser „Djent“-Sound die halbe Szene verrückt. Leidenschaftlich diskutierte man die Frage: Ist Djent nun ein neues Genre? Ein Subgenre? Ein Mikrogenre? Der Periphery-Gitarrist Misha Mansoor gab 2023 die Antwort sogar als Albumtitel: Djent Is Not A Genre. Aber: Djent ist ein Sound, der typisch ist für das Genre des komplexen Progmetal. Für den Meshuggah-Stil. Für die Kombination aus verwinkelten, synkopierten Riffs, polymetrischen Rhythmen und haarsträubend virtuosen Improvisationen. Ob sie eine Djent-Band sind, entscheiden die Progmetal-Bands selber. Und weil sich nur „echt coole Bands“ zum Djent bekennen, kann auch Periphery-Gitarrist Misha Mansoor damit leben.

Zu den absolut führenden Djent-Bands der Welt gehören Animals As Leaders aus Washington, der US-Hauptstadt. Das Instrumentaltrio ist das „djenty“ Spitzenteam des virtuosen, lichtschnellen, mathematisch verfrickelten Techprog. Tosin Abasi und Javier Reyes hexen auf achtsaitigen Gitarren, schießen ununterbrochen wild flackernde Linien und stotternde Stakkato-Riffs raus, die eng und atemlos miteinander verzwirbelt sind. „Wir erfinden die Musik am Computer“, heißt es. Scharen von Jung-Gitarristen pilgern in ihre Konzerte. The Madness Of Many (2016, Sumerian) war schon ihr viertes Album.

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Über den dichten, rasanten, metallharten Figurennetzen erheben sich jubelnde Gitarrenthemen. Die Elektronik liefert dazu einige bizarre Sounds. Die Improvisationen reißen Löcher in die Raumzeit. Allein schon vom Versuch, die Taktschläge mitzuzählen, kriegt man einen Knoten im Gehirn. Ein Rezensent identifizierte „zahlreiche 127/13-Takte“.

Weil bei diesen kunstvollen Verrücktheiten ein Sänger eigentlich nur stört, bleiben wir bei Instrumentalbands. Scale The Summit sehen den Verzicht auf Gesang als Herausforderung (die Musik muss besser sein), aber auch als formale Befreiung (keine Strophen und Refrains). Im gemütlichen Texas klingt Djent etwas entspannter, farbiger und weicher. Die synkopierten Riffs stapeln sich genüsslich übereinander, die Klangfarben wechseln in einer Art „Abenteuer-Metal“. Auch wenn der Sound noch weit von Retro-Prog entfernt ist, kann man sich immerhin einreden, hier gehe es melodisch zu. V (2015, Prosthetic), das fünfte Album, entstand noch im Quartett.

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Heute ist die Formation um den Gitarristen Chris Letchford ebenfalls nur noch ein Trio. Der Djent-Gitarrensound selbst spielt zwar keine so große Rolle, aber die Djent-typische verzwickte Progmetal-Rifferei schon.

Aus Australien kommen The Omnific, eine Band „zwischen Djent, experimentellem Metal und technischem Prog“, wie die Fachleute schreiben. Matt Pack und Toby Peterson-Stewart zeigen, dass Djent auch ganz ohne Gitarren funktioniert, nur mit zwei Bässen – auch die können nämlich ganz schön sonor schnurren. „Unsere Bässe tun alles das, was sonst die Gitarren tun“, sagen die beiden „Bass Boys“ (so nennen sie sich selbst). Ohne die typischen Drones und Klangflächen der Metal-Gitarren bleibt der Bandsound erfrischend schlank und feinnervig. Das schwindelerregend technische Spiel der beiden Bass-Djentlemen nähert sich da manchmal schon einer Art von Virtuosenjazz. Escapades (2021, Wild Thing) war das erste echte Studioalbum des Trios.

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www.animalsasleaders.org

www.scalethesummit.info

www.theomnific.com

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