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Ezz-thetics
George Russell Sextet - Ezz-thetics LP, Riverside Records

Die heimlichen Meisterwerke des Jazz – Ezz-thetics (1961)

Die heimlichen Meisterwerke des Jazz – Ezz-thetics (1961)

Der Jazz ist vielgestaltiges Gelände, da hält man sich gern an sicheren Wegmarken fest, an Kind Of Blue und Saxophone Colossus. Doch leicht könnte man dabei Gewaltiges verpassen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte.

George Russell Sextet – Ezz-thetics (1961)

Weil eine chronische Krankheit ihn vom Schlagzeugspielen abhielt, verlegte sich George Russell einst aufs Komponieren. Kleingeistiges interessierte ihn dabei nicht, schließlich war er der Sohn eines Musikprofessors. Ihn interessierte, wie man vertikale Räume mit Tonskalen auffüllt. Oder wie man Bebop mit Strawinsky kreuzt. Russell wurde zum Vater des modalen Jazz und erfand ein amibitioniertes System zur Konvertierung aller Akkorde in lydische Modi. In der Praxis entdeckte er damit ganz neue Verbindungen zwischen den Harmonien und krempelte etliche Jazz-Standards gründlich um.

Ezz-thetics
George Russell Sextet – Ezz-thetics
LP, Riverside Records

Am spannendsten und heißesten klang das zwischen 1960 und 1962. Da war der modale Jazz noch neu und swingend und Russell hatte ein hochprozentiges Sextett, für das er sich sogar ans Klavier setzte. Den Höhepunkt bildete dabei das explosive Album „Ezz-thetics“ – das einzige mit der brillanten Bläserfront aus Don Ellis (Trompete), Dave Baker (Posaune) und Eric Dolphy (Altsax + Bassklarinette). Das waren drei urgewaltige, sprudelnde Virtuosen mit einer jeweils eigenen tonalen Theorie im Kopf. Das jazzigste, kompakteste Seminar der Musikgeschichte. Mitreißende Vorträge, packende Beispiele.

Auch das Repertoire hat es in sich. Es geht los mit „Ezz-thetic“, Russells berühmtestem Stück (1951), einer abstrakt pantonalen Umdeutung von „Love For Sale“, und mit „Nardis“, Miles Davis’ rätselhafter Ballade, die hier dank lydisch-fantastischer Übersetzung noch geheimnisvoller klingt. „Lydiot“ – Russell meinte sich augenzwinkernd selbst – ist ein Bebop mit einer monkisch-perkussiven Piano-Einlage des Bandleaders. Das abenteuerliche „Thoughts“ ähnelt fast einer kleinen Bläsersinfonie in wechselnden Geschwindigkeiten. Bakers „Honesty“, eine Art Hardbop-Bluesthema, wechselt zwischen Uptempo und Out-of-tempo. Und am berühmtesten wurde Monks „’Round Midnight“, das große Dolphy-Feature in Russells Einkleidung, ein mysteriös-abgründiges Finale zu einem Jazzfest der Sensationen.

 

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