Die heimlichen Meisterwerke des Jazz – Sonny Clark, Cool Struttin’ (1958)
Jazz ist unübersichtliches Gelände – leicht kann man da Bedeutendes übersehen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte. Dieses Mal: Sonny Clark, Cool Struutin’ (1958)
Der Produzent des Labels Blue Note war ein absoluter Klavierfreak. Alfred Lion, ein geborener Berliner, startete seine Firma 1939 mit den „Piano Ticklers“ des Boogie-Woogie und ermöglichte später vielen wichtigen Tastenkünstlern ihr Debütalbum – von Thelonious Monk über Horace Silver bis Herbie Hancock und Andrew Hill. Auch für den Pianisten Sonny Clark konnte er sich begeistern. Dieser junge Mann war 1951 von Pittsburgh nach Kalifornien gezogen und kehrte 1957 an die Ostküste zurück. Weggegangen war er als frischgebackener Bebopper, dann hatte er den kühlen Westcoast-Sound adaptiert, und nun stürzte er sich in den heißen, funky Hardbop von New York. Sonny Clarks Klavierspiel reflektierte alle drei Stile und schuf daraus etwas Eigenes von virtuoser Eleganz. Das wusste nicht nur Alfred Lion zu schätzen. Der Saxofonist Johnny Griffin meinte einmal: „Sonny war etwas anders. Er hatte eine besondere Finesse, er war ganz er selbst.“
Sonny Clark wurde lediglich 31 Jahre alt. Um seinen Tod rankten sich finstere Gerüchte, die sein Andenken bald in Nebel tauchten. Obwohl der Pianist auf rund 60 (!) Alben zu hören ist, vergaß ihn die Jazzwelt schnell. In Martin Kunzlers Jazzlexikon (1988) bekam er nicht einmal einen eigenen Artikel. Im britischen Penguin Guide to Jazz (1994) wurde er als „inspirierter Amateur“ abgetan. Anders war das in Japan, wo in den 1980er Jahren der Retro-Kult um den Hardbop begann. („Jedes amerikanische und europäische Label ist hier erhältlich“, behauptete damals der Jazzkritiker Hideki Sato.) In Tokios Jazzcafés galt Sonny Clark als eine der großen Heldenfiguren der Jazzgeschichte. Speziell sein Album Cool Struttin’ erfreute sich größter Popularität. Als der Funke endlich nach Amerika und Europa übersprang, entdeckte auch All About Jazz plötzlich „eines der größten Blue-Note-Alben aller Zeiten“. Selbst der Penguin Guide to Jazz revidierte sein Urteil über Sonny Clark und nannte Cool Struttin’ ein „Schlüsselwerk des Hardbop“.
Das Album beginnt mit dem Titelstück „Cool Struttin’“, einem Midtempo-Blues, der in der Tat unwiderstehlich relaxt daherschlendert. Das passende Coverfoto, das einiges zum Kult um diese Platte beitrug, zeigt übrigens die hübschen Beine von Alfred Lions Ehefrau Ruth. Wie Sonny Clark hier nach dem Thema in sein Solo am Piano eintaucht, gehört zu den großen Hardbop-Momenten. Auch das folgende Stück „Blue Minor“ mit einer Bridge im Latin-Beat ist längst ein Klassiker. Die besondere Coolness der Band verdankt sich nicht zuletzt ihrer Nähe zur Ästhetik von Miles Davis. Art Farmer (Trompete) war quasi der Miles des Hardbop, Jackie McLean (Altsaxofon) war Miles’ Protegé – die beiden bilden hier ein unschlagbar spannendes Team. Paul Chambers (Bass) und Philly Joe Jones (Schlagzeug) gehörten 1958 ohnehin zu Miles’ Band. Nicht zufällig ist das dritte Stück des Kult-Albums ein schneller Bebop-Blues von Miles Davis: „Sippin’ At Bells“.