Album-Doppel: Guns N’ Roses / Richard Cheese
Sie sahen damals noch verdammt jung aus, aber ihre Unschuld hatten sie längst verloren. Die Musiker um den Sänger Axl Rose waren echte Kinder des „Sündenpfuhls“ Los Angeles.
Auf der ersten Seite ihres Debütalbums geht es um die Monster-City und ihre vielen Verführungen, die soziale Kälte und die Sucht, sprich: um Drogen. Auf der Rückseite geht es um Liebe und Beziehungen, sprich: um Sex. „G“ (wie „Guns“) nannten sie die Vorderseite, „R“ (wie „Roses“) die andere. Der Name der Band war übrigens aus den echten Nachnamen der beiden Bandgründer abgeleitet: Tracii Guns und Axl Rose. Ihre früheren Formationen hießen L.A. Guns bzw. Hollywood Rose – und als sich Mr. Guns und Mr. Rose zusammentaten, wurde daraus Guns N’ Roses. Doch bevor das erste Album entstand, hatten sich die beiden schon zerstritten. Der Sänger Axl Rose blieb in der Band. Der Gitarrist Tracii Guns dagegen wurde durch Saul Hudson ersetzt, besser bekannt als „Slash“.
Im Sommer 1985 war die heute als klassisch geltende Quintettbesetzung perfekt – mit Rose, Slash, Stradlin, McKagan und Adler. Zwei Jahre später erschien das erste Album, allerdings ohne großen Erfolg. Erst als MTV damit begann, das Musikvideo zum Album-Opener „Welcome To The Jungle“ zu zeigen, änderte sich alles komplett. Das Video war das damals erfolgreichste auf MTV, die Power-Ballade „Sweet Child O’ Mine“ wurde daraufhin ein Nummer-eins-Hit, und mit „Welcome To The Jungle“ und „Paradise City“ folgten zwei weitere Top-Ten-Hits vom ersten Album. Die Band, die im Vorprogramm von Aerosmith tourte, lief dem Main Act tatsächlich den Rang ab. Im Sommer 1988, ein Jahr nach seinem Erscheinen, war das Album Appetite For Destruction plötzlich der erfolgreichste Longplayer in den USA. Noch heute gilt es als eines der 20 bestverkauften Alben der Musikgeschichte – und als das bestverkaufte Debüt aller Zeiten.
Die Fachpresse nennt Appetite For Destruction eine der wichtigsten Metal- oder Hardrock-Platten der 1980er Jahre. Guns N’ Roses, die Zwei-Gitarren-Band, brachten damals ins ein wenig vernachlässigte Rockgenre eine fast vergessene, eine schmutzige Heftigkeit zurück. Auch wenn die Musiker immer noch gewaltige Frisuren trugen: Verglichen mit den poppigen Hair-Metal-Bands der frühen Achtziger klangen sie definitiv um einige Grade rauer, wilder, verdorbener. Dieser musikalische Tonfall war neu und provokant – eine Mixtur aus dem „kraftvollen Spiel des Metal, den rebellischen Themen des Punk, der Ästhetik des Glam und bluesigen Gitarrenriffs“ (Billboard). Und in den Songs ging es um Heroin, Alkohol, Geld und Sex. Die Texte waren Provokation und Tabubruch.
Auch die Verpackung des Albums sollte provozieren. Die Plattenhülle zeigte ursprünglich eine Zeichnung des Underground-Comic-Künstlers Robert Williams – ein Bild voller Gewalt, Sex und Science-Fiction. Vom Titel dieses Bildes – „Appetite For Destruction“ – hat das Album seinen Namen bekommen und ihn dann auch behalten. Doch das Coverdesign selbst erfuhr so viel Ablehnung, dass es rasch geändert bzw. ins Innere der Verpackung verbannt wurde. Stattdessen entstand ein neues Coverbild: Es zeigt ein Keltenkreuz (ein Symbol der Metalszene) mit den fünf Musikern darauf, jedoch zeichnerisch porträtiert als Totenschädel mit Perücke und Kopfbedeckung – eigentlich ein Tattoo-Motiv. „Das Kreuz und die Schädel waren Axls Idee“, erzählt Billy White, der Tattoo-Künstler. „Und das Knotenmuster im Kreuz spielt auf Thin Lizzy an, eine Band, die Axl und ich mochten.“
Fast 20 Jahre nach Appetite For Destruction erschien das Album von Richard Cheese. Die Schriftgestaltung auf der Frontseite und der Albumtitel (Aperitif For Destruction) sind eine unverstellte Anspielung. Auch der Totenschädel ist da – allerdings trägt der Torso darunter Hemd, Fliege und Cocktail-Sakko und hält ein Aperitifglas in der Knochenhand.
Denn Richard Cheese, der eigentlich Mark Jonathan Davis heißt, stilisiert sich gerne als sonorer Salon-Crooner à la Frank Sinatra. Passend dazu spielt seine Band einen nostalgischen Lounge-Swing – dies jedoch nicht mit missionarischer Überzeugung, sondern komödiantisch verfremdet. Die Musiker haben sich dafür Pseudonyme zugelegt, deren Nachnamen zu „Cheese“ passen: Ricotta, Feta, Gouda oder Brie. „Cheesy“ heißt auf Deutsch: kitschig, geschmacklos.
Richard Cheese ist einer der Könige der Coverversion. Allerdings liefern er und seine Band eben nicht – wie etwa die übliche Coverband auf dem Stadtfest – möglichst gute Kopien der Originale, sondern ziemlich unernsthafte Lounge-Versionen, häufig mit Bläsersatz oder kitschigem Strings-Synthesizer dabei, mit textlichen „Ausrutschern“ oder absurden Details. 16 Stücke sind es auf dem Album Aperitif For Destruction – 16 Stücke nach Originalen von 16 verschiedenen Künstlern. Die Vorlagen kommen aus dem Pop (Michael Jackson, Alanis Morissette), dem Punk (Violent Femmes), aus Hip-Hop (Beastie Boys, Black Eyed Peas) oder Metal (Metallica, Slipknot) – und die Übersetzung ins Hotellounge-Genre ist stets so überraschend wie komisch. Von Guns N’ Roses hat Cheese übrigens den Song „Welcome To The Jungle“ gewählt, den Opener ihres Debüts. Mehr als 30 Alben mit solchen Coverversionen hat Richard Cheese bis heute veröffentlicht. Das „Covern“ einer bekannten Plattenhülle gehört natürlich jedes Mal mit dazu.
Info
Guns N’ Roses: Appetite For Destruction (Geffen, 1987)
Richard Cheese: Aperitif For Destruction (Surfdog, 2005)




