Larry Young – Unity
Jazz ist unübersichtliches Gelände – leicht kann man da Bedeutendes übersehen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte.
Eine Hammondorgel stand schon im Club seines Vaters und schien nur auf ihn zu warten. Bereits mit 16 Jahren begleitete Larry Young die Blues-Shouter und erdigen Hardbop-Saxofonisten. Denn das war es ja, wofür die Hammondorgel gemacht zu sein schien: „funky“ soulful music. Jimmy Smith hatte das als Erster demonstriert, und eine Generation von Organisten – all die „Brother Jacks“ und „Big Johns“ – eiferten ihm darin nach. Aber Larry Young wusste früh: „Ich gehe in meine eigene Richtung. Ich will ich selber sein.“ Die bluesigen Licks, souligen Vamps und kreischenden Effekte waren ihm schlicht zu wenig. Er grub in die Tiefe und fand in der Hammondorgel ganz neue Schönheiten. Präzise Linien, dunkle Klangfarben, längere Zusammenhänge, viele dynamische Stufen, viele unverhoffte Strukturen. Der Kritiker A.B. Spellman nannte ihn 1967 den „einzigen ernsthaften modernen Organisten“.
Sein Vorbild war kein Blues-Honker, sondern der Skalenforscher John Coltrane. Kein anderer Orgelspieler konnte oder wollte damals den Weg gehen, den dieser Saxofonist geebnet hatte – vom Hochkomplexen übers Modale ins Ekstatische und Spirituelle. Larry Young jammte mit John Coltrane und später mit Jimi Hendrix. Er spielte um 1970 beim „elektrischen“ Miles Davis und bei Carlos Santana. Mit John McLaughlin traf er sich in Tony Williams’ Lifetime, der ersten elektrischen Fusionband. Seine Befreiung der Hammondorgel legte die Basis für den psychedelischen Jazz und die Rock-Organisten der Siebzigerjahre.
Unity war der wichtigste Meilenstein auf Larry Youngs Reise. Während große Teile der jungen Jazzszene 1965 ins ganz freie Spiel abkippten (auch Coltrane machte gerade den letzten Schritt), hielt Larry Young noch den Kurs: weitgehend modal, aber tonal entfesselt, dabei in klaren Strukturen und swingend wie der Teufel.
Dafür lieh er sich die grandiose Bläsersection von Horace Silver und dazu den Wunderdrummer von John Coltrane. Joe Henderson am Tenorsaxofon und der 20-jährige Heißsporn Woody Shaw an der Trompete entfachen ein fast beispielloses Feuer. Elvin Jones, dessen Polyrhythmen nur so über die Trommeln tanzen, gibt dem Swing eine neue Freiheit. „If“ von Joe Henderson ist ein sperrig-wildes Thema, das aber funktioniert wie ein Blues. Woody Shaw bringt gleich drei genialische Stücke ein, die mit Modalität und Harmonik experimentieren. „The Moontrane“ ist Coltrane gewidmet, „Zoltan“ dem ungarischen Komponisten Zoltán Kodály. Es beginnt mit einem Marschthema aus dessen Háry János Suite, der Inspiration für Shaws Melodie.
In dieser Soundwelt erwartet man eigentlich keine Hammondorgel. Aber da ist sie: pianistisch präzise und saxofonistisch frei, die Harmonien, Modi, Bässe und Rhythmen entzündend, den Ablauf gliedernd, die Lage klärend. „Larry hört dir zu und ergänzt dich“, sagte Joe Henderson. Und wenn Larry Young hier soliert, ist es jedes Mal ein hochkomplexes, virtuoses, atemberaubendes Duo mit Elvin Jones am Schlagzeug. Nur zu zweit spielen die beiden auch „Monk’s Dream“ von Thelonious Monk, ein kleines Juwel. Larry Young hat gleich gespürt, dass diese Band etwas Besonderes ist: „Alles passte zusammen“ – deshalb nannte er die Platte Unity. Der Kritiker Nat Hentoff schreibt: „Ich habe selten ein Album gehört, das so viel durchgängigen, kollektiven Spirit hat.“ Der Penguin Guide to Jazz meint: „Ganz einfach ein Meisterwerk.“
Larry Young – Unity bei Sieveking Sound



