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Hegel H360 Vollverstärker

Test Hegel H360 Vollverstärker

Hegel H360 Vollverstärker – Dickes Ding

Der H360 ist ein Vollverstärker. Und ein Streamer. Und ein D/A-Wandler. Das alles können andere Geräte auch – mit einem Unterschied: Das Flaggschiff des Herstellers Hegel macht keinerlei Kompromisse.

Schon komisch: Nachdem es jahrzehntelang en vogue war, eine Anlage im Sinne der Arbeitsteilung aus möglichst vielen Einzelkomponenten zusammenzustellen, sehen wir heute mehr und mehr wieder Multifunktionskomponenten, die man angesichts ihres Funktionsumfanges locker in mehrere Einzelgeräte zerschlagen könnte. Das hat nicht nur Vorzüge, häufig sind solche Lösungen kompromissbehaftet. Dass ein Gerät viele Dinge gleichzeitig kann, heißt nicht, dass es auch alle mit gleicher Sorgfalt erledigt. Mut zur Lücke hat man im Hause Hegel indes nicht, zu einem Preis von über 5000 Euro darf man Spitzenleistungen in allen Teilbereichen erwarten.

Hegel H360 Vollverstärker

Die erste Begegnung mit dem H360 lässt den Rezensenten sanft fluchen: „Alter Schwede bzw. Däne!“ – das Ding ist sauschwer. Dem dezenten, schnörkellosen Gehäuse ist nicht auf Anhieb anzusehen, dass hier 20,5 Kilogramm aus dem Karton gewuchtet werden wollen. Ein erster Blick durch die Kühlrippen offenbart aber schnell den Übeltäter: einen obszön fetten Ringkerntrafo, der einen Löwenanteil des Gesamtgewichts ausmacht. Er ist ausschließlich zuständig für die Leistungsabteilung, die Vorstufe hat ihren eigenen kleinen Umspanner, sodass beide sich in Sachen Lastverteilung nicht in die Quere kommen. 2 x 250 Watt an 8 Ohm werden geboten, das dürfte auch für die eine oder andere Party reichen, sollte man meinen.

Ein erster Blick auf die Rückseite lässt Freude aufkommen: Es gibt nur wenige Einsatzszenarien, denen sich der H360 verschließt, denn er kommt mit drei analogen Hochpegeleingängen, fünf Digitalanschlüssen (koaxial, USB, 3 x optisch) sowie einer Ethernetbuchse. Der H360 ist auftrennbar, es gibt einen Vorstufenausgang und einer der drei Line-Eingänge ist als Heimkino-Bypass geschaltet, also ein Endstufeneingang, der die Lautstärkeregelung links liegen lässt. Die verbaute DAC-Sektion ist eine Eigenentwicklung, auch die Verstärkerstufen kommen mit technischen Besonderheiten aus dem Hause Hegel, die – man kann in Dänemark auch Marketing! – alle einen eigenen Neologismus mitbringen: Da wäre zunächst die „DualAmp“-Technologie: Anstatt Strom- und Spannungsverstärkung parallel durchzuführen, wird das Eingangssignal zuerst von einer dezidierten Verstärkerstufe spannungsverstärkt, die Stromverstärkung wird von einer weiteren Schaltung durchgeführt. So könne man, heißt es bei Hegel, beide Stufen mit den jeweils bestmöglich geeigneten Komponenten aufbauen. Oder auch die – übrigens in allen Hegel-Verstärkern – eingesetzte „SoundEngine“: Vereinfacht gesagt, misst diese die bei der Verstärkung entstehenden Verzerrungen und „entscheidet“ über einen Schwellwertregelkreis, ob diese klangschädlich sind oder nicht. Falls das der Fall ist, werden diese Verzerrungen dem Ausgangssignal invertiert zugeführt – was im Idealfall ein Nullsummenspiel ergibt. Wer mehr darüber wissen möchte und das Hegel-Mastermind bzw. den Unternehmensgründer Bent Holter inklusive seines charmanten „Dänglish“ kennenlernen möchte, der findet auf YouTube ganz einfach eine vertiefende Erklärung der SoundEngine.

Hegel H360 Vollverstärker

 

Ein kurzer Ausflug in die Streamingsektion: Sie ist ausschließlich kabelgebunden und kann übers Heimnetz per UPnP und DLNA zugespielte Daten rendern und abspielen. Ebenfalls an Bord ist eine vollwertige Apple-AirPlay-Lizenz: Wer den H360 per Netzwerkkabel integriert, findet den H360 direkt in iTunes als Abspielgerät.

Nun aber aufs Spielfeld: Der H360 nimmt auf dem bedenklich ächzenden Rack Platz – wir schalten ihn ein (nach erfolgreicher Schalter-Suche; er versteckt sich auf der Unterseite der Frontplatte). Ab dann tritt Seligkeit ein. Denn diese Wuchtbrumme amalgamiert so ziemlich alles, was man bei einem Verstärker auf den Wunschzettel schreiben könnte: Er zeigt sich tonal vollständig neutral, was aber nicht gepflegte Langeweile bedeutet. Denn zugleich kommt er mit einer faszinierenden Feinauflösung. Er schiebt im Bass richtig was weg (aber ohne Oberbasshöckerchen oder ähnliche Tricksereien), er erfreut mit einem Mittenband, das schöne (und gut aufgenommene) Stimmen oder Akustikinstrumente in ihrer ganzen Farbenpracht zeigt – und er erfreut mit einem absolut offenen, luftig-transparenten, zu keiner Zeit körnigen oder aufdringlichen Hochton. Und wenn wir von Hochton reden: Mit einer oberen Grenzfrequenz von sagenhaften 180 kHz können Sie, falls Sie mögen, jederzeit mit Ihren Wauzis ein Hundepfeifenkonzert abhören.

Hegel H360 Vollverstärker

Was bringt das? Authentizität. Und zwar bis unters Dach. Ganz gleich, was für Musik Sie hören – Sie hören nicht einfach Töne, Sie sind mittendrin im Geschehen. Ich habe mich beispielsweise durch alte Alben der Mönchengladbacher Punkband EA80 gehört. Billige Instrumente, billige Amps, knödelnder Gesang. Aber eben auch Wut, Verzweiflung, Druck, Power. Über den H360 können Sie den muffigen Probenraummief (Eierkartons, kalter Rauch, Bierreste, Fünf-Minuten-Terrine, verkalkter Wasserkocher) förmlich riechen. Sie können aber auch – meinem Beispiel folgend – per Fingerzeig auf eine HiRes-Aufnahme umschalten: Beethovens Streichquartett G-Dur op. 18 Nr. 2 (audite Musikproduktion). Und schon befinden Sie sich in einem alten Festsaal und sitzen vier herausgeputzten Solisten mit gebügeltem Hemd gegenüber: sämiges Legato, bissige Pizzicato-Attacken, strahlender Wohlklang!

So weit schon sehr gut. Aber diese tonalen Meriten ergänzt der H360 mit explosiver Grob- und Feindynamik, die jedes Ausklingen eines Beckens, jede leicht scheppernde Ghostnote einer Snare Drum „direct to ear“ wiedergibt. Sägezahn-Subbässe (Pet Shop Boys, „Happiness“), das Streichen der Dämpfer über die Klaviersaiten bei Radioheads „Codex“ oder auch die federnde Schnarrtrommel bei Grant Greens „Sookie Sookie“: Machen Sie sich auf ein Feuerwerk gefasst.

Hegel H360 Vollverstärker

Damit ist es aber immer noch nicht genug: Denn auch in Bezug auf die Bühnendarstellung haben Sie mit dem Hegel H360 einen echten Roadie, der keine Mühen scheut, alle Instrumente und Klangquellen an den rechten Ort zu scheuchen. So können Sie beim Titelstück des neuen Tocotronic-Albums Die Unendlichkeit schon einmal die Übersicht über den heimischen Wohnzimmergrundriss verlieren: Die Bühne, die der H360 aufzieht, kann – wenn das Quellmaterial stimmt – unfassbar weit und tief sein. Der Dub-Reggae-Bass kommt aus einem Tunnel in der Bühnenmitte, das Schlagzeug ist begehbar, die verhallten Gitarreneffekte brechen aus der linken und rechten oberen Zimmerecke über den verdutzten Rezensenten herein. Löschen Sie auf keinen Fall beim Musikhören das Licht, sonst könnten Sie beim Versuch, sich ein weiteres Bier aus der Küche zu holen, versehentlich gegen eine Wand laufen. Wobei ich hier festhalten möchte, dass der H360 weder ein Blender noch ein Falschspieler ist: Kammermusik klingt nicht nach Autokino, sondern weiterhin nach Kammermusik – mit dem feinen Unterschied, dass Sie vermutlich die Holzart des Parketts nur über die Ohren bestimmen können.

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Das bisher Gesagte stimmt – bei guter Quellenlage – übrigens unabhängig vom Zuspielweg. Die Digitalsektion unter dem Dirigat bester Asahi-Kasei-Chips zaubert einen fantastischen dreidimensionalen und offenen Klang, der sich bestens zwischen den gut beleumundeten, meines Erachtens aber immer etwas farblos klingenden Burr-Browns und den auf der anderen Seite recht quirligen, zuweilen aber auch etwas über-randscharfen ESS-Sabre-Chipsätzen einordnet. Wenn Sie nicht gerade einen CD-Spieler oder einen DAC der mittleren vierstelligen Preisklasse Ihr Eigen nennen: Vertrauen Sie Ihre Digitalsignale ohne Furcht dem H360 an, er macht was draus. Ebengleiches gilt für die Streamingsektion, die fehlerfrei und wohlklingend agiert.

Hegel H360 Vollverstärker

Gar nichts zu meckern? Ich komme nochmal auf die eingangs genannte Partykompatibilität zurück: 2 x 250 Watt an 8 Ohm, das klingt nach viel. Es gibt aber „lautere“ Amps, sogar mit niedrigeren Leistungsangaben. Woran liegt das? Nun: Der Hegel H360 spielt tatsächlich bis zum Rechtsanschlag ohne hörbare Verzerrungen. Was jedoch den finalen Grenzschalldruckpegel angeht – der ja mit der reinen Sinusleistung nicht korrelieren muss! –, ist bei diesem Amp eher Schluss als bei einem klassischen Boliden, der auf dem Papier nur 200 Watt stehen hat, dafür aber weiter aufgerissen werden kann. Es wird dann schon noch lauter, aber keinesfalls schöner. Stellen Sie sich den H360 wie einen VW Käfer vor – der Motor kommt nicht über 3000 Touren, geht aber im Grunde genommen nie kaputt. Und – nicht zu vergessen: Er kommt mit jedem Lautsprecher klar. Vom kleinen Fostex-Breitbänder bis zur etwas zickigen B&W 702S2, vom alerten Quadral-Kompaktmonitor bis zur samtigen Harbeth 30.2 hatte ich zu keiner Zeit das Gefühl, hier würde tonal etwas verschwiegen oder überbetont, stets hielt der H360 die Balance und stellte sich wie ein Repetitor kongenial auf seinen Spielpartner ein.

Fazit: Billig ist der H360 nicht. Aber falls vorhanden, könnten Sie sorglos Ihren DAC und Ihren Streamer verschachern: Beides brauchen Sie mit diesem wunderbaren Amp definitiv nicht mehr.

Hegel H360 Navigator

 

Vollverstärker Hegel H360

Funktionsprinzip: Transistor-Vollverstärker mit DAC und Streamer
Eingänge analog: 1 x Line unsymmetrisch (Cinch), 1 x Line symmetrisch (XLR), 1 x Home Theater Bypass (Cinch)
Eingänge digital: 1 x USB, 1 x Ethernet, 4 x S/PDIF (koaxial, 3 x optisch)
Ausgänge analog: 1 Paar Lautsprecherklemmen, 2 x Line (fix und variabel)
Ausgänge digital: S/PDIF koaxial (nur von digitalen Eingängen)
Gesamtleistung (8/4 Ω): 2 x 250/420 W
Frequenzgang: 5 Hz–180 kHz
Signal-Rauschabstand: > 100 dB
Übersprechdämpfung: < −100 dB Dämpfungsfaktor: > 4000
Maße (H/B/T): 15/43/43 cm
Gewicht: 20,5 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 5295 €

 

GP Acoustics GmbH
Kruppstraße 82–100
45145 Essen
Telefon 0201 170390

 

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