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Musical Fidelity M6si - Der Vollverstärker zeigt bei ehrlichem, bodenständigem Stoff pfeilschnelles Impulsverhalten und gefällt mit knochentrockenem Bass, bei dem auch das Timing stimmt.

Test Musical Fidelity M6si Vollverstärker

Musical Fidelity M6si – Ein Sechser im HiFi-Lotto

Wer glaubte, der analoge Vollverstärker konventioneller Prägung sei tot, sollte dem Musical Fidelity M6si eine Chance geben. Ein willkommener Wiedergänger auf aktuellem Stand der Verstärkertechnik, den man nicht nur im Winter schnell zu schätzen lernt.

Auf dem voluminösen Karton prangt unübersehbar der Aufkleber „Musical Fidelity“. Das weckt Erinnerungen an die achtziger Jahre, insbesondere an den A1: ein flacher, schwarzer, kleiner Verstärker mit vergleichsweise riesigen Kühlrippen quer über das ganze Gehäuse und einem unglaublich hohen Brandblasen-Potenzial, weil er im Betrieb brutal heiß wurde. Auch ich, der kurz zuvor volljährig gewordene High-End-Novize, gehörte bald zu den „gebrannten Kindern“, ließ mich vom grandiosen Klang des britischen Class-A-Verstärkerchens aber genauso schnell versöhnen. Der damals aufgerufene Preis für einen A1 überstieg das Budget des musikverrückten Abiturienten allerdings um ein paar Mark, also blieb es beim ambivalenten Eindruck: gewöhnungsbedürftige Technik in kompakter Bauform, der man bitte keine Dinge zumutete, für die sie nicht gebaut war, zum Beispiel impedanzkritische Boxen.
Den aktuellen Vollverstärker M6si kann man nicht mehr, wie einst die kleine „Kraftwaffel“, mal eben unter den Arm klemmen und mit zur nächsten Studentenfete nehmen, um diese mit dem grandiosen Sound des Winzlings zuverlässig und nachhaltig aufzumischen. Der überaus potente Nachfolger aus dem Hause Musical Fidelity wiegt samt Kartonage gut 20 Kilo und ist auch ein wenig ausladender geworden: Quer geht das Paket gerade noch durch die Haustüre.
Aus dem schwarzen HiFi-Heißsporn von einst ist ein großer schwarzer Klotz geworden (wahlweise auch mit Alu-Front). Kühlrippen finden sich nur noch an den Seiten. Dafür gibt es einen großen Pegelsteller in noblem Mattfinish und farblich passende Eingangswahlknöpfe, die per dezenter blauer LED zeigen, welcher Eingang gerade aktiv ist. Tippt man auf die Knöpfchen mit angenehm klar definiertem Druckpunkt, dann verrät leises Klacken, dass die Eingänge ganz klassisch per Relais geschaltet werden. Was auch beim Einschalten spürbar wird, denn die Endstufe wird erst zu den stabilen Klemmen (die auch Bananenstecker akzeptieren – gut so!) durchgeschaltet, wenn sie einen stabilen Betriebszustand erreicht hat. Das nervende „Plopp“ in den Lautsprechern von einst vermisse ich jedenfalls nicht.
Deutlich weniger vornehm ist die beigefügte Fernbedienung geraten, deren Plastiklook beim besten Willen nicht zum ebenso coolen wie hochwertigen Design des M6si passt. Man lernt sie dennoch schnell zu schätzen, denn der wuchtige Amp hat nicht nur die klanglichen Gene seiner bescheideneren Vorfahren geerbt, sondern auch die Tendenz, auf eine ziemlich kuschelige Betriebstemperatur hochzulaufen. Die Finger kann man sich zwar nicht mehr verbrennen, aber als kleine Zusatzheizung taugt das Gerät nach wie vor. Ein Heizlüfter aus dem Baumarkt ist gleichwohl eine Spur preiswerter: Der Musical Fidelity M6si kostet – einschließlich Phonozug für MM und MC sowie asynchronem USB-Eingang – knapp 2900 Euro. Kein Schnäppchen, aber fraglos eine gute Geldanlage, wie sich noch herausstellen soll, und das keineswegs nur für britophile Highender.

Die gegenüber seinem Vorgänger in entscheidenden Punkten verbesserte Schaltung des M6si verrät, dass hier nun eigentlich eine separate Vorstufe sowie zwei Monoendstufen unter einem Dach wohnen. Diese Drei-in-eins-Konstellation, so MF-Chef Anthony Michaelson, kommt sowohl der – frappierend guten – Räumlichkeit als auch den Kraftreserven zugute. Und über das Gewicht braucht man sich angesichts durchwegs edler Bauteile im Inneren auch nicht zu wundern. Es vergeht allerdings eine Weile, bis das volle Klangpotenzial zur Verfügung steht. Der M6si gehört nicht nur der heutzutage rar gewordenen Gattung der großen Vollverstärker an, er will auch wie einst ausgiebig eingespielt werden. Selten hatte ich einen Verstärker zu Besuch, der über mehrere Monate hinweg so kontinuierlich zulegte und hörbar immer besser wurde.
Nun aber stelle ich ihn mit Stimmen auf die Probe: Renée Flemings bei Decca (Universal) erschienenes Händel-Recital mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment unter Harry Bicket ist ein Prüfstein für jede Anlage. Die amerikanische Sopranistin wurde für diese SACD sehr nah, sehr präsent aufgenommen. Einschließlich jeder Menge Energie in den hohen Lagen – was bei manchen Arien wie dem bekannten „Ombra mai fu“ aus der Oper Xerxes schnell schrill und sogar schmerzhaft klingen kann, wenn die Wiedergabeelektronik von eher kristallinem (Spötter würden sagen giftigem) Charakter ist. Über einen japanischen Verstärker-Boliden aus den seligen Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts ist die Scheibe so gut wie unanhörbar. Damals half man freilich muffigen Aufnahmen und höhenschwachen Lautsprechern gerne mit etwas „anspringenderer“ Elektronik nach. Mein auch nicht mehr ganz junger Marantz PM17 II mit seiner leicht gesofteten Wiedergabe gibt sich da schon deutlich kulanter.
Und der Musical Fidelity M6si? Er verschweigt nicht, dass die Sopranistin im Extrembereich ihrer Stimme nicht nur zu diamantener Präzision, sondern auch zu ebensolcher Härte tendiert. Aber weil er die Klangfarben des auf Originalinstrumenten spielenden Kammerorchesters und die feinen Schattierungen ebenso intakt lässt wie die von den Toningenieuren gut eingefangenen Rauminformationen, sind die vokalen Stratosphärenflüge absolut goutierbar. Man beginnt zumindest zu erahnen, warum Händel zu seiner Zeit in London als unangefochtener Opernkönig galt. Und fragt sich, ob die hörbare Sympathie, welche dieser Verstärker für sogenannte „E-Musik“ hegt, etwas damit zu tun hat, dass Musical-Fidelity-Boss Anthony Michaelson selber Klarinettist ist. Mitunter soll die Klangphilosophie einer Firma ja viel mit dem Hörideal des Chefs zu tun haben.
Programmwechsel: Nun darf es heftiger Bluesrock sein. Die ursprünglich zu Demozwecken eingespielte CD einer formidablen Projektcombo namens Mars & The Orbiters wandert in den Marantz-Player, auf dessen Fernbedienung wundersamer Weise auch der Lautstärkesteller des Musical Fidelity M6si reagiert. Mit einem überbetonten Hochtonspektrum quält Spirit Of Spagyrik meine kleinen Standlautsprecher von Mordaunt-Short gewiss nicht. Dafür gibt es unter anderem ansatzlose, knallharte E-Gitarren-Einsätze, ein vehement traktiertes Klavier, einen virtuos bedienten E-Bass und ein kraftvolles Schlagzeug. Und all das bindet der M6si bruchlos zu einem Ganzen zusammen, das ganz gewiss nicht audiophil sein will, aber gerade deshalb unheimlich viel gute Laune versprüht. Und nicht nur die Fans handgemachter Bluesmusik glücklich macht. Der Vollverstärker zeigt bei diesem ehrlichen, bodenständigen Stoff pfeilschnelles Impulsverhalten und gefällt mit knochentrockenem Bass, bei dem auch das Timing stimmt.
Fragt man Jürgen Reichmann, zuständig für den deutschen Vertrieb des mittlerweile ziemlich umfangreichen Musical-Fidelity-Portfolios, dann ist eine der Strategien für guten Klang die hohe Gegenkopplung der Verstärker. Was laut Reichmann nicht nur an besagten impedanzkritischen Lautsprechern für unbedingte Stabilität sorgt, sondern auch eine gewisse Unempfindlichkeit gegenüber Kabel-Charakteristika zur Folge haben soll. Für (das sowieso fragwürdige) „Tuning“ per Verbindungsstrippe ist der M6si also relativ unempfänglich. Das „s“ im Gerätenamen ist übrigens ein Hinweis darauf, dass die Ausgangsstufen im Vergleich zum Vorgängermodell noch einmal überarbeitet wurden – auf einmal errungenen Lorbeeren ruhen sich Anthony Michaelson und sein Team grundsätzlich nicht aus.
Wer eine Musikquelle mit symmetrischem Ausgang hat, sollte übrigens dennoch in gute Kabel investieren und den XLR-Zweig des M6si ausprobieren. Der Raum wird bei symmetrischer Ansteuerung noch einmal einen Hauch weiter, die Ortung definierter, die Schallereignisse homogener. Das lohnt sich bei großen Orchesteraufnahmen, gerne auch aus vergangenen Epochen, die über den M6si ihren Farbenreichtum und ihren Charme behalten, aber dennoch höher aufgelöst und viel strukturierter klingen, als man sie in Erinnerung hat.

Was der so solide gebaute wie Laune machende Brite nicht kann? Lügen. Wenn eine Aufnahme nichts taugt, wenn Räumlichkeit vor allem mit dem Mischpult hergestellt oder die Gettoblaster-Tauglichkeit eines Pop-Albums mit Effekt-Exzessen herbeigezaubert wurde, dann verschweigt der M6si das nicht. Und der Rezensent grübelt eine Weile darüber, wie viel akustischer (und künstlerischer) Schrott heutzutage bevorzugt von den Major-Labels abgesondert wird. Es gibt zum Glück Ausnahmen: Ellie Gouldings aktuelle Scheibe Delirium (bei Polydor erschienen) macht, obwohl beileibe auch nicht frei von oben genannten Ferkeleien, über den M6si einen Heidenspaß. Weil die blonde Femme fatale mit der unverwechselbaren Stimme sich vollfett produzieren ließ und intelligente Stücke zwischen Clubsound und Songschreiber-Ballade vorlegt, von denen die inzwischen sattsam bekannte Sadomaso-Softporno-Filmhymne „Love Me Like You Do“ längst nicht das stärkste ist. Der Musical Fidelity stemmt auch die bulldozergleichen Computerbässe dieser CD mit maximaler Lässigkeit, würde also auch auf Partys nicht als Spaßbremse wahrgenommen werden. Ganz im Gegenteil!
Große Orchester wiederum staffelt der Brite glaubwürdig und sauber in Breite und Tiefe. Nicht einmal Gustav Mahlers gigantische „Sinfonie der Tausend“ in der legendären „Soundstream“-Aufnahme der Telarc stellt den bei aller Kraft doch feingeistigen M6si vor Probleme.
Als Analogfan stellt man hocherfreut fest, dass die Phonosektion dieses feinen Verstärkers locker auch mit separaten Phono-Vorverstärkern des höheren Preissegments mithalten kann, wenngleich sie natürlich nicht deren Anpassungsmöglichkeiten mitbringt. Aber auch und gerade mit Schallplatte spielt der Musical Fidelity seine hohe Auflösung und seine unbändige Kraft aus – adäquate Zuspieler vorausgesetzt, beispielsweise das Clearaudio Maestro V2, das sich mit dem MM-Eingang des M6si bestens versteht. Sogar ein im Zeitalter von Servern und Streaming schon abgeschafft geglaubter, regelbarer Pre Out findet sich unter den Anschlüssen. So hat der Musical Fidelity M6si alles Zeug dazu, in traditionellen Stereoanlagen (auch so ein Wort aus der HiFi-Vergangenheit) das neue Herzstück zu werden – auf definitiv aktuellem Klangniveau.

 

Musical Fidelity M6si Navigator

 

Vollverstärker
Musical Fidelity M6si

Leistung (8 Ω): 2 x 220 W
Eingänge analog: 1 x Phono MM/MC (umschaltbar), 4 x Line unsymmetrisch (Cinch); darunter 1 x HT-Bypass (schaltbar), 1 x Line symmetrisch (XLR)
Eingangsempfindlichkeit Phono (MM/MC): 3/0,4 mV
Eingang digital: USB (bis zu 24 Bit/96 kHz)
Ausgänge: 1 Paar Lautsprecher (Schraubklemmen), Pre Out (Cinch), Line Out (Cinch)
Besonderheiten: Fernbedienung, Trigger-Funktion
Ausführungen: schwarz oder silbern
Gewicht: 17 kg
Maße (B/H/T): 44/12,5/40 cm
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 2900 €

 

Reichmann AudioSysteme
Graneggstraße 4
78078 Niedereschach
Telefon 07728 1064

 

www.reichmann-audiosysteme.de

 

Mitspieler
Plattenspieler: Clearaudio Innovation Compact + Blue Motion
Tonarme: Clearaudio Magnify (2 x)
Tonabnehmer: Clearaudio Maestro V2, Grado Platinum Statement
Phonoentzerrer: Clearaudio SmartPhono
CD-Player: Marantz CD14 S1 + SA15, Sony ES202
Vorverstärker: Marantz SC22
Endverstärker: Marantz MA23 (Monoblöcke)
Lautsprecher: Bowers & Wilkins DM 302, ELAC CL 82 Ltd., Mordaunt-Short 904
Kabel: AudioQuest, Monitor Audio, QEDs

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.