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Whest Titan Pro

Test: Whest Titan Pro Phonovorverstärker

Whest Titan Pro

Sind Phonoverstärker eine Geheimwissenschaft? Können Transistoren klingen? Und wo hat James Henriot seine Schaltungen versteckt?

Websites sind eine großartige Sache. Eignen sie sich doch wunderbar für das Marketing oder für öde Produktinfos. Bei HiFi-Herstellern hat sich mit der Zeit eine eigene Sprache oder nennen wir es lieber Selbstdarstellung entwickelt, die tatsächlich länderspezifisch ist. Nehmen wir zum Beispiel einmal den durchschnittlichen amerikanischen HiFi-Giganten mit durchschnittlich vier Mitarbeitern: Man(n) oder Er ist schlicht und ergreifend und völlig ungetrübt durch jede Differenziertheit einfach der Größte. Punkt. Solche Geräte hat die Welt noch nicht gesehen, und wer sich nicht sofort bis über beide Ohren verschuldet und das Zeug kauft, der muss entweder unzurechnungsfähig oder, schlimmer, kein Patriot sein, basta.

Einige chinesische Internetauftritte lernen schnell und eifern dem US-„Stil“ inzwischen akribisch nach. Wobei der geneigte Leser hinsichtlich „Inhalt“, falls überhaupt möglich, noch viel größere Zweifel hegen sollte, war der Bau der langen Mauer doch offenbar ein Klacks im Vergleich zu dem, was da, dem Rest der Welt technisch unendlich weit voraus, zusammengelötet wird.
Da sieht der deutsche HiFi-Michel im internationalen Webseiten-Vergleich natürlich uralt aus. Er verteilt gerne echte Informationen, spart weder an Breite, Höhe noch Tiefe, geschweige denn am Gewicht, und wenn er ordentlich ist, dann gibt es sogar eine VK-Preisliste zum Download. Selbstbeweihräucherung? Gar nicht bis wenig. Gut ist es halt, okay. Aber der Ingenieur, dem verbale Ausschweifungen gegen den Bleistiftstrich gehen, weiß einen Ausweg: die technische Beschreibung. Kompetent, ausführlich, unangreifbar, detailreich, so spannend wie das Kassenbuch des Kleingärtnervereins und sprachlich, na ja, eben von einem Elektrotechniker (oder einem Schreiner, weil: die bauen hierzulande die meisten Lautsprecher). Doch damit kann man gut leben, erhält man so immerhin den informativen Hauch einer Ahnung, was sich im Inneren des Boliden abspielt …
Doch nun kommen wir zu einer weiteren, sehr viel subtileren Methode. Sie lässt selbst hart gesottene, in Jahrzehnten gestählte und in einem Swimmingpool voller Textbausteine gehärtete HiFi-Autoren vor Neid erblassen. Gemeint ist die tiefe, lange, superausführliche, in höchster Schreibkunst gedrechselte, feinstziselierte Produktschilderung. Ein Roman mit Einleitung, Hauptteil, Schluss und Abspann, abendfüllende Lektüre, gegen die Darlegungen von Jane Austen oder Leo Tolstoi wortkarg und aufs Nötigste reduziert wirken. Nach Luft japsend lehnt man sich anschließend erschöpft zurück und reflektiert, was man denn nun alles über den Wunderkasten weiß. Nämlich: gar nichts.
Oder doch: Er hat – blah – ein Gehäuse in feinster Fertigung und feinstem Metall, feinst vibrationsgedämpft. Die Bandbreite ist – bläh – absurd hoch, die Phonoentzerrung absurd genau. Und er ist derart kanalgleich gebaut und ausgemessen, dass zwei Schallplatten, die nacheinander aus derselben Presse fallen, im Vergleich dazu verschiedene Stücke spielen. Blub-blub. Und sein Netzteil ist reguliert, stabilisiert und so zementiert, dass selbst den allerkleinsten, winzigsten und empfindlichsten Tausendstel-Volt-Signalen nicht ein einziges Elektron verloren gehen kann. Uff!
Tatsächlich ist das, was sich wirklich unter dem dicken Alu-Hut abspielt, ein komplexes Geheimnis. Ein tief vergrabenes, unlösbares Rätsel, an dem sich sogar Enigma-Spezialisten die Zähne ausbeißen würden. Kein Sterbenswörtchen dringt jemals aus der Fabrik, kein Mitarbeiter dieser Skunk Works verscherbelt hintenrum Platinen oder vergisst Prototypen in der Kneipe, kein Schaltplan steckt im Server, nicht einmal eine Skizze klebt auf der Rückseite des Spiegels im Firmen-WC. Und der Erfinder? Er schweigt vielsagend weiter, verfasst Webseiten-Texte und genießt. Denn er weiß, dass ihm so schnell niemand das Wasser reichen kann. Und das soll gefälligst auch so bleiben! (Anm. des Autors: Als Skunk Works wird eine nicht existente Entwicklungsabteilung bei Lockheed Martin bezeichnet, die nicht existente Projekte durchführt und nicht existente Prototypen baut, die in der nicht existenten Area 51 getestet werden).

Und damit sind wir – endlich – beim Thema: dem Whest Titan Pro. Ein Phonoverstärker, über dessen Innereien ich Ihnen ausnahmsweise und aus genau den angeführten Gründen rein gar nichts mitzuteilen vermag. Außer vielleicht, dass sich jemand beim Bau des Wunderdings unglaublich viel Mühe gegeben hat. Und, ja, es stecken keine Röhren drin, was nach meiner persönlichen Überzeugung mindestens eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die ich aber jetzt, tolerant, wie ich als Zyniker nun mal bin, durchgehen lasse.

Außerdem hat der Titan Pro eine Vorgeschichte. Sie spielte in der FIDELITY Nr. 15 (Ausgabe 5/2014) und handelte vom Whest Three Signature, einem 3000-Euro-Phonoentzerrer, der den Berichterstatter so sehr begeisterte, dass der anfing, sein Geld zu zählen. Doch nach ungefähr einer Stunde ging dem etwas schwerfälligen Denker ein strahlendes Licht auf: Das so hoch begehrte Kästchen rangiert in der Produkthierarchie von James Henriot ja im schnöden unteren Mittelfeld! Es zählt sozusagen zu den Brosamen, die der RIAA-Herrscher huldvoll ins Volk wirft! Sich so abspeisen zu lassen, kommt natürlich nicht infrage! Und wenn besagte Brosamen derart gut munden – wie muss dann erst das Topmodell schmecken!? Nach weiteren 60 Minuten tiefer Meditation kam dann der einzig richtige Gedanke hoch: Topmodelle sind doch nur Schall und Rauch. Mit Modeschmuck behängte, stöckelbeschuhte Blender für den asiatischen Markt, mühsam aufgebrezelte Kopien des eigentlichen Wunderteiles, nämlich des ehemaligen Topmodells! Glasklar: Eins drunter muss man zuschlagen!
Also lieferte der Vertrieb, offenbar freundlich gestimmt ob der Tatsache, dass der Schreiberling den Whest Three sogar zurückgegeben hatte, einen „Titan“ in der „Pro“-Ausführung. „Pro“ bedeutet hier Kanal-zu-Kanal-„Ultra-Matching“, geht also in puncto Selektion noch einmal über den „Standard“-Titan hinaus! Und sich warmlaufen soll er – sechs Stunden, besser das Doppelte. Abgesehen davon, so die Engländer, habe man ein Verfahren entdeckt, das es ermöglicht, unmittelbar neben den höchst empfindlichen Phono-Schaltkreisen einen Netztrafo zu betreiben, weshalb der Titan mit nur einem, wenngleich ziemlich ausladenden Gehäuse auskommt. Allzu viel Bequemlichkeiten mitzuliefern kommt dem Erbauer aber auch für 9800 Euro nicht in den Sinn: Wie beim Modell Three stecken Verstärkungs- und Lastimpedanz-Einstellungen auf der Unterseite unter einem Deckelchen. Nix da mit ferngesteuerter Umschaltung ab Hör-Couch, wie das anderswo vorexerziert wird. Mir soll’s recht sein, weiß ich doch genau, dass das derzeit in meine A23/EMT-„Banane“ eingebaute, recht hochohmige EMT JSD 6 mit 300 bis 400 Ohm ganz gut funktioniert.
Und dann sind wir wieder, kurz nach dem Einschalten, bei besagten Brosamen angelangt. Denn das war es tatsächlich, was der offenkundig ziemlich monarchisch und hierarchiegeprägte Mr. Henriot vorher mit dem überlegenen Lächeln des Wissenden unter sein armes Volk gestreut hatte (tiefer Seufzer). Wie das Bessere bekanntermaßen den Feind des Guten darstellt, so spielt der Titan nochmals in einer ganz anderen Liga als der Three, „Signature“ hin oder her (verflixt). Die schöne alte Theorie von der Nichtlinearität der elektronischen Verhältnisse – einfach ist vielleicht besser als komplex, klein vielleicht besser als groß – landet dort, wo sie hingehört: auf dem Riesen-Müllhaufen jener HiFi-Theorien, die andauernd bemüht, zitiert, herbeigebetet und niedergeschrieben werden. Weg damit. Was stört mich meine Einbildung von gestern. Der prächtige kleine Whest Three – er wird vom Titan Pro leider und erstaunlicherweise nicht nur überholt, nein, vielmehr muss er sich deklassieren lassen. Punkt.

Wer nun mehr wissen will, liest meine euphorische Klangbeschreibung des Three in FIDELITY Nr. 15 (Ausgabe 5/2014), setzt alles in eine Klammer und quadriert den Term; das spart mir jetzt hier jede Menge Arbeit. Dennoch ist es mir ein Anliegen hinzuzufügen, dass man mit dem Whest Three Signature nichtsdestotrotz ungeheuer gut und höchst, nein, sogar absolut zufrieden Musik hören kann. Sofern man den Titanen nie kennengelernt hat oder imstande ist, sich die schöne Erinnerung ein für allemal aus dem Kopf zu schlagen. Bei mir bleibt es deshalb besser bei einem One-Night-Stand, bei dem sich der Titan noch nicht einmal richtig warmspielen konnte … Besser so. Denn andernfalls bin ich verloren. Also Schalter aus. Stecker raus. Eingepackt (schnief). Nicht mit mir, Mr. Henriot. Sie dürfen Ihre Geheimnisse gerne für sich behalten (schluchz).

 

Whest Titan Pro
Phonoverstärker

Eingänge: 1 x Phono MM/MC umschaltbar
Ausgänge: 2 x Main Out unsymmetrisch (Cinch), 1 x Main Out symmetrisch (XLR)
Besonderheiten: MC-Impedanz und Verstärkungseinstellung auf der Geräteunterseite via Dip-Schalter; Impedanz 100 Ω bis 47 kΩ in acht Schritten, Gain MM 42 oder 46 dB, MC 50-76 dB in sechs Schritten einstellbar
Maße (B/H/T): 43/6/30 cm
Gewicht: 10 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 9800 €

Gaudios KG
Brandhofgasse 11
8010 Graz
Österreich
Telefon +43 (0)316 337175

www.gaudios.info

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