Die Nagra für James Bond
Dank der Erfindung des Transistors kamen in den 1960ern Tonbandgeräte mit den Abmessungen einer Aktentasche auf den Markt. Der erste Kassettenrecorder war so groß wie eine ordentliche Zigarrenkiste. Hier jedoch kommt Schweizer Audio-Präzision im Miniaturformat: eine komplette Tonbandmaschine von Nagra, so klein wie eine Brieftasche.
Es war der amerikanische Präsident John F. Kennedy, der Anfang der 1960er Jahre auf Nagra Kudelski aufmerksam wurde. Die Schweizer Firma hatte sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg einen Namen gemacht, indem sie Recorder herstellte, die analoge Tonbänder in beispielhaft guter Audioqualität bespielen und wiedergeben konnten. Das Besondere daran war: Diese Nagra-Maschinen waren akkubetrieben und nur etwa aktentaschengroß, damit also portabel, und wurden – nicht zuletzt aufgrund ihrer Zuverlässigkeit und Präzision – gern für „On Location“–Tonaufnahmen unter anderem für Kinofilme eingesetzt (siehe auch FIDELITY Nr. 9, Ausgabe 5/2013: „Das audiophile Schweizermesser“).
Kennedy war damals für seinen Secret Service auf der Suche nach noch kleineren Recordern für die verdeckte Tonaufzeichnung und kontaktierte das renommierte Unternehmen mit dem Wunsch nach einem Westentaschengerät. Kudelski fühlte sich geehrt und herausgefordert zugleich. Die Schweizer Spezialisten konstruierten daraufhin ein Wunderwerk analoger Tonbandtechnik in Brieftaschengröße und präsentierten das Modell „SN“– Série Noir, die „schwarze Serie“ von Nagra.
Hellhörig: CIA und Stasi
Begünstigt durch den Kalten Krieg gingen bei Kudelski immer mehr Bestellungen für diese Miniatur-Tonbandgeräte ein. Ab 1970 etwa gab es sogar solche mit speziell langsamer Geschwindigkeit (2,38 cm/s) für Langzeitaufnahmen. Dazu gab es ein sehr empfindliches, äußerst flach gebautes Mikrofon, das unter dem Revers oder auch unter normaler Kleidung verborgen werden konnte (siehe Bild 3). Ab 1977 stellte Nagra schließlich sogar eine Stereoversion (SNST) des kleinen Recorders mit vollem Frequenzumfang für hochqualitative zweikanalige Audio-Produktionen her. Das Gerät wurde durch geeignetes Zubehör für hochwertigen Filmton verwendbar – und das alles im Miniaturformat! Funkmikrofone gab es zu jener Zeit noch nicht, also wurde der Schauspieler für seine Vertonung gleich mit einer kompletten (praktisch unsichtbaren) Tonbandmaschine ausstaffiert. Neben diversen Adaptern für den Anschluss von Mikrofonen und Lautsprechern gab es auch zusätzliche Miniaturgeräte für die Synchronisation von Bild und Ton.
Aus dem Vollen gedreht
Halbleiterelektronik für alle möglichen Anwendungen ließ sich damals schon ohne Probleme auf einer gedruckten Schaltung unterbringen, die kaum höher war als der Durchmesser eines kleinen Fingers. Das Problem für Kudelski bestand indes darin, neben der Elektronik auch eine erstklassige Mechanik zu fertigen, die es ermöglichte, ein Tonband, das von einer Spule abgewickelt und auf eine andere Spule wieder aufgewickelt werden musste, hübsch gleichmäßig an Tonköpfen vorbeizuziehen. Die Kompaktkassette in der Form, wie wir sie kennen, war zur Zeit der Entstehung des Prototyps der Nagra SN noch gar nicht präsentiert worden. Sie wäre mit ihrem Gehäuse auch schlicht zu dick gewesen. Ein normales Tonband hatte schon damals eine Breite von 6,3 mm (1/4″) – und selbst das war noch zu viel. Kudelski halbierte dieses Band auf 1/8″, baute einen extrem flachen Antriebsmotor und sorgte dafür, dass der spionagetaugliche Mini mit handelsüblichen Mignon-Zellen betrieben werden konnte. Doch mehr als zwei Stück davon passten nicht in das Gehäuse, obendrein liefern beide zusammen gerade einmal drei Volt – wenn sie voll sind. Da die meisten Transistoren aber erst ab etwa fünf Volt richtig arbeiten, wurde in das Gerät ein Spannungswandler eingebaut, der exakt diese Spannung aus den beiden Mignon-Zellen erzeugt. Und das nicht nur bei drei Volt, sondern auch noch bei fast leeren Batterien, wenn diese nur noch zusammen 1,8 Volt liefern. Damit erreicht die Nagra SN eine durchgehende Betriebszeit von sechs bis sieben Stunden. Zusätzlich benötigt aber das besagte flache und sehr empfindliche Kondensatormikrofon noch eine Polarisationsspannung von 50 Volt. Und auch diese Spannung wird innerhalb des Gerätes durch einen DC-DC-Wandler aus den beiden kleinen Zellen gewonnen.
Gebrauchsanweisung auf dem Deckel und auf der Frontplatte
Allein schon die Betrachtung der Bedienoberfläche ohne aufgelegte Bandspulen lässt das Herz eines jeden Feinmechanik-Verliebten höher schlagen: Neben zahlreichen Schlitzschrauben mit polierten Köpfen gibt es quasi eine aufgedruckte Bedienungsanweisung dazu. Die Anschlüsse für Mikrofon, Kopfhörer und Zubehör sind genauso beschrieben wie der Platz für die Spule mit dem Band und die Leerspule. Hier ist für die beiden Geschwindigkeiten, einstellbar mit einer kleinen Schraube, auch ein Maßstab für die zu erwartende Spielzeit aufgedruckt. Die rote Schraube unten links in der Ecke ist ein Pegelsteller. Die Aussteuerung selbst kann rechts unten auf einem echten VU-Meter kontrolliert werden. Und das unscheinbare Hebelchen unten links ist die Laufwerkssteuerung: Start, Stopp, Rückspulen.
Handkurbel spart Strom
Das Drücken dieses Hebels schaltet das Gerätchen auf Wiedergabe, Aufzeichnungen können nun via Kopfhörer gehört werden. Erst der Anschluss eines Mikrofons mit Spezialstecker schaltet die Nagra SN auf Aufnahme. Diese kann dann sogar per Hinterband-Abhören im Kopfhörer kontrolliert werden. Um die Aussteuerung braucht man sich keine Sorgen zu machen, denn eine sehr ausgeklügelte Automatik sorgt immer für den richtigen Pegel. Außerdem: Wenn das Gerät ordentlich versteckt ist, gibt es ohnehin keine Chance, irgendetwas zu kontrollieren.
Steht das Zurückspulen des bespielten Bandes an, kommt ein spezieller Mechanismus ins Spiel, der sich zwischen den beiden Spulen befindet: Hier wird eine kleine Kurbel ausgeklappt und der Benutzer ist aufgefordert, vorsichtig im Uhrzeigersinn zu drehen und zurückzuspulen. Die Rückspulzeit ist in der Gebrauchsanleitung mit einer Minute für eine ganze Spule angegeben – und mit viel Übung ist das auch zu schaffen …
Vom Spion zum Filmton
Wie es sich unter Profis gehört, bietet Nagra reichlich Zubehör für dieses Wunderwerk der Minimechanik an. So gibt es etwa ein echtes Richtmikrofon, das in seinem Griffstück – neben einem Umschalter für Aufnahme und Wiedergabe mit verschiedenen Filtern – auch einen kleinen Aussteuerungsmesser mit einem praktischen Pegelsteller hat. Selbstverständlich schaltet das angeschlossene Mikrofon dann die Aussteuerungsautomatik aus, ganz wie bei echten Filmton-Profis. Abgerundet wird das Zubehörangebot noch durch einen kleinen Pilotgenerator, dessen Aufgabe es ist, das Tonband mit dem Film lippensynchron laufen zu lassen. Wie im Studiobetrieb üblich, gibt es natürlich auch einen aktiven Abhörlautsprecher, der an die Kopfhörerbuchse angeschlossen werden kann: ein Zweiwege-System mit einer Leistung von 20 Watt. Und wie wird der Aktivling wohl betrieben? Nagra-typisch mit Akku. Laufzeit: stolze sieben Stunden – „007-Stunden“ sozusagen!