Looking for the English FIDELITY Magazine? Just click here!
Aki Takase - Shima Shoka

Aki Takase – Shima Shoka

Die heimlichen Meisterwerke des Jazz, 1990

Aki Takase – Shima Shoka

Jazz ist unübersichtliches Gelände – leicht kann man da Bedeutendes übersehen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte.

Die Corona-Pandemie hat uns gelehrt, dass Abstandsregeln tödlich sind für den Jazz. Denn diese Musik lebt von der Kommunikation zwischen den Musikern, von Interaktion und Spontaneität, von Improvisation und Nähe. Wird der lebendige Fluss zwischen den Instrumenten unterbunden, kann Jazz nicht gedeihen. Auch die japanische Pianistin Aki Takase hat immer die musikalische Begegnung mit Kollegen und Kolleginnen gesucht. Speziell das Duo-Format gehört zu ihren absoluten Stärken – sie hat mehr als 20 Duoalben mit verschiedenen Partnern eingespielt.

Und dennoch: Aki Takase ist eine Ausnahme. Wenn diese eigenwillige Virtuosin solo spielt, vermisst man nicht die Kommunikation mit anderen. Auch ganz allein im Studio scheint sie am Klavier immer in Kontakt mit vielen Musikern zu sein und auf deren Einwürfe zu reagieren.

Aki Takase - Shima Shoka

Ihre Motive und Akkorde entwickeln sich dann völlig unvorhersehbar, Melodien kippen einfach so nach hinten weg, werden in ihre Einzelteile zerlegt, die sich zu neuen Sinnmustern verbinden, zu grotesken Clustern oder polyphonen Strukturen zusammenschließen und in futuristische Rhythmen münden. Diese Pianistin kommuniziert mit der gesamten Geschichte des Jazzpianos (vom Stride und Boogie bis hin zu Bop und Avantgarde) und außerdem noch mit großen Teilen der europäischen Klassik. In ihrem Klavierspiel wirbeln „Swing, Coltrane-Klänge, Bebop, Freejazz wild durcheinander“, wie ein Kritiker einmal schrieb. Und zuweilen erinnern sie sogar an Zirkusmusik und Harlem-Tingeltangel. Aki Takase sagt: „Wo ich bin, da ist alles.“

Seit Shima Shoka hat Aki Takase mehr als 50 weitere Alben unter ihrem Namen veröffentlicht. Ihre Platten und ihr Lebenswerk wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Doch das Soloalbum von 1990 blieb ein Klassiker in ihrer Diskografie. Humorvoller, kommunikativer, aber auch konzentrierter und genialischer hat sie ihre Klavierkunst selten präsentiert – mit diesen starken Walk-Bässen der linken Hand, mit diesen temperamentvollen Übergängen zwischen den Stilen, mit dieser virtuosen Gratwanderung zwischen Nostalgie und Kakofonie.

„Meraviglioso“ ist ein grandioser Blues, dessen Melodie an Thelonious Monk erinnert. Aki Takase widmete das Stück ihrem „Entdecker“ und Förderer, dem Münchner Produzenten Horst Weber, der ein Monk-Fachmann war. „A.v.S.“ mit seinem harschen Thema und der lichtschnellen Basslinie ist eine Hommage an Alex von Schlippenbach, ihren Partner im Jazz und im Leben. „Presto V.H.“ gar hätte das Zeug zu einer donnernden Heavy-Metal-Nummer. Und was diese Pianistin hier mit legendären Standards anstellt – Stücken von Duke Ellington, John Coltrane, Charles Mingus oder Carla Bley –, das klingt wie eine surrealistische Reise durch den Time Tunnel – hin und zurück … und wieder hin und zurück. Den Ausklang des Albums bildet eine kurze Version von Sonny Rollins’ „Valse Hot“, einem Stück von 1956. Bei Aki Takase wird diese Hardbop-Nummer zu einer fragilen Fantasie der aufplatzenden Akkorde, holprig mit fetten Dissonanzen, eine Walzer-Apotheose, eine Art Karussellmusik mit stotterndem Motor. Das ist halb Varieté, halb Erik Satie – und dennoch ganz Jazz. Ganz Aki Takase.

www.akitakase.de

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.