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Billie Holiday, Lady in Satin

Die heimlichen Meisterwerke des Jazz – Billie Holiday

Lady in Satin (1958)

Die heimlichen Meisterwerke des Jazz – Billie Holiday, Lady in Satin (1958)

Jazz ist unübersichtliches Gelände – leicht kann man da Bedeutendes übersehen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte. Dieses Mal: Billie Holiday, Lady in Satin (1958)

Die andere große Jazzsängerin, Ella Fitzgerald, hatte das Talent, die Botschaft eines Songs in die Welt zu tragen, indem sie Melodie und Text von innen heraus zum Leuchten brachte. Billie Holiday dagegen taucht alle Songs in dasselbe melancholische, nachtblaue Licht, gibt allen jene schmerzliche Abgründigkeit, die in ihr selbst wurzelte. Sie hatte von Anfang an diesen eigenen Tonfall, dieses bittersüße Vibrato. Sie schien zu singen, um nicht heulen zu müssen. Im Lauf der Jahre wurde ihre Stimme immer rauer, ihr Tonumfang immer kleiner, der Ausdruck immer resignierter. Anfang 1958 war Billie Holiday 42 Jahre alt, aber eine sterbende Frau, ein gesundheitliches Wrack. Andra Day, die Hauptdarstellerin im aktuellen Film The United States vs. Billie Holiday, sagt: „Für diese Rolle habe ich das Rauchen angefangen und sehr viel Gin getrunken. Ich habe ganz bewusst nach dem gesucht, was ihre Stimmbänder damals so strapazierte. Ich war sehr laut, habe auch viel zu kalte Sachen getrunken. Ich habe mir dieses Raspeln in der Stimme wirklich verdient.“

Billie Holiday, Lady in Satin
Billie Holiday, Lady in Satin (1958), Columbia Records

Am Ende ihres Lebens wünschte sich Billie Holiday einfach nur noch ein weiches Klangpolster für ihre malträtierte Stimme. Ihre Wahl fiel ausgerechnet auf den Schmusesound des Schnulzen-Ausstatters Ray Ellis. 14 Geigen, vier Flöten, eine Harfe, zwei Background-Sängerinnen – Romantik nach dem Geschmack der fünfziger Jahre. Die Rhythmusgruppe agiert maximal dezent. Es gibt nur wenige Soli, die meisten auf der Posaune, gespielt von J.J. Johnson oder Urbie Green. Claus Ogermann schrieb die Arrangements, wie man heute weiß. Um den Gewohnheiten der Sängerin entgegenzukommen, wurden die Aufnahmesessions auf zehn Uhr abends angesetzt. Eine Flasche Gin oder Whisky stand immer für sie bereit. Dass sie mit einigen der Stücke wenig vertraut war, fiel im Ergebnis kaum ins Gewicht – bei ihr klingt jedes Stück eben nach Billie Holiday. Tempo und Ausdruck variieren kaum. Zwölfmal hintereinander: Gebrochenheit, Traurigkeit, Schmerz. Emotionaler geht es nicht.

Für Ray Ellis, den Orchesterleiter, waren die Aufnahmen extrem anstrengend. „Wir machten das Album fertig, und ich war völlig genervt, frustriert, angewidert, am Ende. Es war eine Art Sprechgesang zur Musik. Ich habe gar nicht richtig mitgekriegt, was sie da machte. Ich sagte: ‚Ich will dieses Zeug nie wieder auch nur hören.‘“ Erst Monate später verstand Ellis, worum es wirklich ging: „Es ist gleichgültig, ob sie den richtigen Ton sang oder nicht. Sie sang ohnehin 25 000 falsche Töne. Aber sie hat ihr Herz ausgeschüttet.“ Manche sagen, Billie Holidays Stimme sei hier wie eine offene Wunde. Andere behaupten sogar, das Album sei ein politisches Statement. Andra Day meint: „Es ist meine Lieblingsplatte von ihr. Es heißt immer: O mein Gott, ihre Stimme ist ja so gebrochen! Aber das ist das Brillante daran. Diese Erfahrung. Dieses Leben.“ Lady In Satin war das letzte Album von Billie Holiday, das zu ihren Lebzeiten erschien.

Billie Holiday, Lady in Satin auf jpc.

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