Mavis M90
Der „Tube MOSFET Transformer“ M90 von Mavis Lab wandelt nicht einfach Strom in Musik, er überträgt Emotionen. Diese Eigenschaft wird Röhrenverstärkern häufiger zugesprochen. Gleichzeitig schränkt ihre geringe Wattleistung die Auswahl geeigneter Lautsprecher ein. Der M90 hat hier dank seiner kraftvollen Class-A-Endstufen keine Probleme.
In aller Kürze:
Mit etwas Sorgfalt bei der Auswahl der Spielpartner lässt sich mit dem Mavis M90 genussvoll in musikalische Welten eintauchen.
34 Grad im Schatten, der Backofen heizt in Erwartung eines bei diesen Temperaturen bestens aufgegangenen Hefeteigs auf 175 °C vor. Auch der M90 trägt einen nicht unerheblichen Anteil zur Zimmertemperatur bei. Um diesen Sommertag mit etwas karibischem Aroma abzuschmecken, drehen sich nacheinander die Silberlinge der Trojan Dub Box Sets im Player. Deren basslastige Grooves schiebt der Mavis M90 mühelos in den Raum. Die Dub-Meisterstücke von Lee Perry und anderen aus den 70er Jahren entstanden in den einfach ausgestatteten jamaikanischen Tonstudios, in die sich der Verstärker optisch bruchlos eingefügt hätte. Die Marke Mavis (der Name steht für „Master Audio Visual Solution“) wurde 2019 in den Markt eingeführt. Es handelt sich um ein Schwesterlabel der etablierten Thivan Labs aus Vietnam, gegründet von Herrn Nguyen Hoang Thi und Joe Nguyen, seiner Frau, die als Sales Manager fungiert und mir in zahlreichen E-Mails Fragen zum Testgerät beantwortete. Beide Produktlinien werden in der gleichen Manufaktur hergestellt, besitzen jedoch vollkommen eigenständige Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, die natürlich voneinander profitieren.

Nachdem ich den mit 33 Kilogramm ordentlich schweren Vollverstärker auf mein Rack gehievt habe, lächeln mich Drehknöpfe, Kippschalter und VU-Meter an. Mittig in der massiven Alu-Front gewährt eine Acrylscheibe den Blick auf das verspiegelte Röhrenaquarium, in dem zwei EL84 und eine 12AU7 ihr Werk verrichten. Das insgesamt von Pragmatismus geprägte, auf sympathische Weise aus der Zeit gefallene Design gefällt dem Autor, der eine gewisse Abneigung gegen große Displays und Touchscreens hegt. Das übrige Gehäuse besteht aus schwarz beschichtetem Stahlblech, in das ornamentierte Lüftungsöffnungen eingearbeitet sind. Üppige Gummifüße sorgen für sicheren Stand.
Die Ausstattung des Testmodells beschränkt sich auf das Wesentliche: Der linke Drehschalter wählt die Quelle (2 x RCA und 1 x XLR), der rechte regelt die Lautstärke. Zwei der mittig angeordneten Kippschalter sind für die Beleuchtung der VU-Meter und eine Gain-Anpassung (Low/High) zuständig. Mit dem dritten („Sound“) lässt sich die Basscharakteristik zwischen „Standard“ und „Dynamisch“ umschalten. Letzteres verändert die Bias-Einstellung der Röhren, wie mir der Hersteller erklärte. Die Kombination aus „Gain Low“ und „Sound Standard“ gefielen mir in meinem Setup übrigens am besten. Die Rückseite ist ebenso übersichtlich wie selbsterklärend. Ein Großteil der Fläche wird von zwei Alu-Kühlkörpern beansprucht, seitlich befinden sich Lautsprecher-Terminals, NF-Eingänge, eine Netzbuchse und Sicherungen. Alle Buchsen sind von guter Qualität und solide verschraubt. Zentral über den Kühlern verweisen zwei Blenden auf mögliche Optionen: Mavis führt einen D/A-Wandler mit Bluetooth sowie eine Phono-Option als mögliche Upgrades an. Neben unserem schnörkellos schwarzen Metallgehäuse gibt es auch eine Variante mit Holzwangen.

Den zunächst vermissten Netzschalter entdeckte ich derweil an der Unterseite des Gehäuses. Sobald man einmal weiß, wo er liegt, lässt er sich dort problemlos erreichen. Die puristische Ausstattung passt gut zum Konzept des M90. Im Inneren des Gehäuses geht es außergewöhnlicher zu. Mavis baut seine Hybridverstärker nach einem besonderen Konstruktionsprinzip: Die Single-Ended-Class-A-Vorstufe schickt ihre Signale per Zwischenübertrager an die MOSFET-Endstufen, die ihren Leistungsboost ebenfalls per Übertrager an die Lautsprecher weiterleiten. Class-A-Charakter mit Class-AB-Effizienz, so umschreibt der Hersteller sein Konzept. Für den Anwender bedeutet es, dass aus 30/45 Röhrenwatt (4/8 Ohm) stattliche 100/140 MOSFET-Watt werden, mit denen man wohl jeden Lautsprecher in den Griff bekommt. Und das ohne Gegenkopplung, worauf Mavis im Sinne einer klaren, linearen Wiedergabe besonderen Wert legt. Der hybride Aufbau erfordert freilich den doppelten Einsatz von Transformatoren, was das nicht unerhebliche Gewicht des kompakten Vollverstärkers erklärt.
Die erste Inbetriebnahme des M90 dämpfte allerdings meine Vorfreude auf den erwarteten Musikgenuss. Der Verstärker meldete sich mit einem recht kräftigen Brummen, das zum Glück nach einigen Minuten nachließ. Das Klangbild wirkte jedoch wenig räumlich, und besonders die Frequenzen am oberen und unteren Ende der Bandbreite wurden nicht gerade befriedigend abgebildet. Nun gut, dachte ich, der Knabe hat eine Messe- und Demo-Tour hinter sich, gib ihm etwas Zeit. Es wäre nicht das erste Mal, dass röhrenbestücktes Equipment nach dem Transport verschnupft reagiert. Auch die versagenden Batterien der Fernbedienung deuteten auf einen längeren Einsatz hin.

Nach einer Woche entwickelte sich die Klangqualität allmählich. Guten Mutes legte ich eine CD in den Player und lauschte. Das gefiel mir schon besser, doch schon nach wenigen Minuten baute sich erneut anschwellendes Brummen auf, das von Mikrofonie-Effekten begleitet wurde. Ich hatte den Verdacht, dass sich zumindest eine der Röhren auf den Weg ins Nirwana gemacht hatte. In einem solchen Fall hilft ein Anruf bei Michael Kaim, Geschäftsführer von BTB Elektronik. Umgehend schickte er mir einen Satz der von ihm empfohlenen Genalex Gold Lion, bestehend aus einer 12AU7 und einem gematchten Paar EL84. Vorab darf ich schon mal verraten, dass er mit seiner Empfehlung goldrichtig lag. Der Wechsel ging schnell von der Hand, da hierzu nur das Sichtfenster demontiert werden muss. In der Bedienungsanleitung wird „Tube-Rolling“ explizit vorgeschlagen, um durch Auswahl der speziellen Röhrenfabrikate den Klang nach eigenem Gusto abzuschmecken. Da die EL84 sowie die 12AU7 von vielen Herstellern produziert werden, bietet sich hier ein weites Feld.
Testmodus Reset: Gespannt betätigte ich den Netzschalter und hörte … nichts. Aufatmen. Nach ca. 20 Sekunden Aufwärmphase war nicht das leiseste Störgeräusch zu vernehmen. Schon während der Einspielzeit der neuen Kolben konnte ich die Musik, die der M90 reproduzierte, genießen. Eine herausragende Eigenschaft des Hybridverstärkers, die Homogenität der Wiedergabeeigenschaften, zeigte sich bereits jetzt: Das gesamte Spektrum wurde herrlich ausgewogen ohne Bevorzugung einzelner Frequenzbereiche übertragen. Gesangsstimmen hatten weder einen angedickten Brustton noch klangen sie flach. Die tiefen Lagen profitierten von einem ausgewogenen Verhältnis von Volumen und Kontur, lediglich die unterste Oktave wurde etwas zurückhaltend wiedergegeben. Der Hochtonbereich präsentierte sich detailliert mit sanftem Roll-off. Nach gut 50 Betriebsstunden hatte sich der Mavis M90 endgültig mit meinen Audio Physic Spark angefreundet und lief zur Höchstform auf. Das zeigte sich unter anderem an der vollends erwachten räumlichen Darstellung. Die eindeutige Ortbarkeit der Instrumente und Stimmen, sowohl in der Breite wie in der Tiefe, und die Wahrnehmung des Raums machten auf mich einen realistischen Eindruck. Wenn es die Aufnahme hergab, wurde sogar die Höhenstaffelung deutlich. So spielten Jazztrios in Club-Atmosphäre, bei groß orchestrierter Klassik wurde die Größe des Konzertsaals deutlich. Die Natürlichkeit der Klangfarben war überzeugend, ohne aufgesetzten Extraschmelz.
Zum Einstieg legte ich Mordechai des texanischen Trios Khruangbin auf den Teller. Diese außergewöhnliche Mischung aus Soul und Funk der 70er, Surf- und Desert-Rock garniert mit Elementen aus dem mittleren Osten bis hin zum Thaifunk, erzeugt eine vollkommen entspannte Stimmung, die bisweilen ins Mysteriöse abdriftet. Auch der Sound lässt die Klangästhetik der 60er, 70er Jahre aufleben. So sind Bassdrum und E-Bass weitgehend von Obertönen befreit, es macht „Popp!“ und „Duuum!“, straff federnde Trommelfelle und Griffgeräusche, die gerne bei „audiophilen“ Aufnahmen provoziert werden, sucht man vergebens. (Dazu nur nebenbei: Die Bassistin Laura Lee sagte in einem Interview, sie habe seit 2010 ihre Basssaiten nicht mehr gewechselt …) Die sparsam eingesetzten Chorpassagen klingen wie aus einem Italo-Western und stehen räumlich leicht über und weit hinter der Band. Der Mavis M90 verführt mich spielerisch, in diese Musik abzugleiten.
Anderes Genre, andere Zeit: John Coltranes 1963 erschienenes Album Stardust (aufgenommen 1958 von Rudy van Gelder) vermittelt eine gänzlich andere Stimmung, die der Mavis ebenso selbstverständlich transportiert. Das Titelstück begeistert mich durch das sonor klingende Saxofon mit dezenten Anblasgeräuschen genauso wie der volle Ton des von Wilbur Harding gespielten Flügelhorns. Die hochkarätige Band swingt vollkommen entspannt, ich ertappe mich dabei, fingerschnippend den Rhythmus aufzunehmen. Neben der tonalen Stimmigkeit sind die Positionen der einzelnen Musiker im Studio genau lokalisierbar. Mit der nächsten Aufnahme wollte ich prüfen, ob der M90 auch bei komplexerem Material die Übersicht behält. Zu diesem Zweck fütterte ich den Michi Q5 mit Klaus Doldingers Passport To Morocco und Marcus Millers Renaissance. Schon manche Komponente scheiterte an diesen Aufnahmen, und auch der Mavis konnte den tiefen, schnell gespielten Bassläufen nicht mit ultimativer Attacke folgen. Das letzte Quäntchen Hochtonglanz schien auch bei ihm zu fehlen. Wie das zu bewerten ist, liegt am persönlichen Geschmack. Übertriebene Detaildarstellung wird meines Erachtens auf Dauer langweilig und lenkt vom Gesamtwerk ab. Die Charaktereigenschaften des Mavis M90 lassen klassische und Alte Musik jedoch zum Hochgenuss werden – durch die reichhaltige Tonalität erhalten Cembalo und Streicher eine Substanz, die bei allzu karg aufspielender Kette schon mal verloren geht. So genieße ich zum Abschluss Arcangelo Corellis Concerti grossi op. 6 und stelle fest, dass der Mavis M90 meine Liebe zur Alten Musik teilt.
Info
Röhren-Vollverstärker Mavis M90
Konzept: Röhren-Vollverstärker mit MOSFET-Booster-Endstufen
Eingänge: 1 x XLR, 2 x Cinch
Röhrenbestückung: 1 x 12AU7, 2 x EL84
Leistung (4/8 Ω): 100/140 W
Übertragungsbereich (0 dB/−3 dB): 20 Hz bis 20 kHz/8 Hz bis 50 kHz
Eingangsempfindlichkeit: 420 mV
Eingangsimpedanz: 100 kΩ
Verbrauch: 220 W
Besonderheiten: geeignet für Lautsprecher mit Nennimpedanz von 4 bis 16 Ω; Röhrenwechsel dank abnehmbarer Glasscheibe sehr einfach; bis zu zwei Upgrade-Optionen (DAC/Phono)
Zubehör: Fernbedienung, Stromkabel
Maße (B/H/T): 45/22/35 cm
Gewicht: 33 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: ab 6800 €
Kontakt
Mavis Lab – Audio Offensive
Münchener Straße 5
14612 Falkensee
Telefon +49 3322 2131655
WhatsApp +84 902888924
mavislab.sales@gmail.com
Mitspieler
Plattenspieler/Laufwerk: TW Acustic Raven GT2
Tonarme: TW Raven 12.9“, 10.5“ und 9.5“
Tonabnehmer: Skyanalog Reference, Sumiko Starling, Excalibur Platinum
CD-Player: Rotel Michi Q5
Verstärker: Electrocompaniet EC 4.8, Electrocompaniet EC AW250R, Lab 12 Melto2
Lautsprecher: Audio Physic Spark auf Solidsteel SS-5
Stromversorgung, Kabel: IsoTek Aquarius und Syncro, AudioQuest PowerQuest 3, AudioQuest Yukon und NRG-Z3, Zavfino Gold Rush, Kimber 8TC











