FIDELITY zu Gast bei … Kissa Kissa, New York
Welches gemeinsame Ziel verfolgen eine in Moskau geborene Künstlerin und ein Jazzfreak mit kubanischen Wurzeln, die mit ihren Kindern in Denver leben? Klar – sie eröffnen eine Kissa-Bar in New York City …
Was für Europäer und speziell für uns Deutsche womöglich schräg, wenn nicht gar ein wenig größenwahnsinnig klingt, ist für viele US-Amerikaner nur eine Variante des „Just do it“. Mit Kissa Kissa haben sich Danny de Zayas und Nina Barry vor ziemlich genau einem Jahr den lang gehegten Traum einer Bar erfüllt, die exakt ihren Vorstellungen von Design, Musik und Atmosphäre entspricht. Auch wenn sie momentan dafür noch zwischen den Rocky Mountains und dem East River pendeln müssen – das erste Jahr war bereits ein solcher Erfolg, dass mittelfristig vermutlich der komplette Umzug nach Crown Heights im Herzen Brooklyns ansteht.

Nachdem Ende 2024 die New York Times auf die Bar mit den 5000 Jazz-LPs aufmerksam geworden ist, konnten wir ja schlecht zurückstehen und unseren Lesern dieses neue Highlight der sich weltweit immer mehr verbreitenden Kissa-Kultur verschweigen. Auffällig an fast allen Bars außerhalb Japans ist der konsequente Verzicht auf eine Eins-zu-eins-Kopie bereits bestehender Jazz-Kissas, die in einem anderen kulturellen Kontext ohnehin nicht gelingen würde. Vielmehr picken sich die Betreiber von Lokalitäten wie der Jazz-Bar „Rhinoçéros“ in Berlin oder des „Big Romance“ in Dublin einzelne Bausteine heraus und versuchen diese möglichst stimmig mit ihrem eigenen Konzept zu verbinden.
Äußerlich unspektakulär
Der audiophile Nerd, der auf spektakuläres Vintage-Equipment oder speziell designte Soundwalls abfährt, mag von der optisch eher unspektakulär daherkommenden Anlage bei „Kissa Kissa“ womöglich ein wenig enttäuscht sein. Wer aber primär auf das Klangerlebnis fixiert ist und für wen allein die tonalen Aspekte zählen, der kommt hier voll auf seine Kosten. Danny de Zayas gibt in unserem Gespräch unumwunden zu, dass er von High-End-Audio keinen blassen Schimmer hat. Er ließ sich von seinen ganz eigenen Klangidealen leiten, die er ausführlich mit einer befreundeten Firma für High-End-Equipment und Ausstattungstechnik diskutierte. Nicht nur, dass die Jungs von „The Music Room“ dem Raum zunächst mit Messmikrofonen zu Leibe rückten und geschickt diverse Akustikpaneele einzogen, sondern vor allem die Auswahl des Equipments zeigt, dass die Ausstatter genau verstanden, worum es in der Bar klanglich gehen sollte. An zwei Stellen des Raums befindet sich je ein Paar Harbeth Super HL5+ XD und Harbeth HL Compact 7ES, verstärkt von exzellentem ModWright-Equipment, den KWA-99-Monoblöcken, dem symmetrischen Röhren-Vorverstärker LS99 sowie der Röhren-Phonovorstufe PH 9.0X. Zugespielt wird das Vinyl von einem Rega Planar 3 mit Ania-TA. Da nickt der FIDELITY-Redakteur einmal kurz anerkennend und murmelt ein knappes „Passt!“.
Ein Herz für Japan-Pressungen
Das eigentliche Herzstück der Bar ist aber Danny de Zayas’ private Sammlung von rund 5000 Jazz-LPs. Hier gilt tatsächlich das unumstößliche Kissa-Gesetz „Jazz only!“ Maximal ein wenig Soul oder Latin am Samstag, aber keinerlei Kompromisse in Richtung Blues oder Motown. Neben vielen audiophilen Reissues wie der Tone-Poet-Serie finden sich aber konsequent überwiegend Japan-Pressungen in der hauseigenen Sammlung. Hinzu kommt ein stattlicher Anteil musikalisch höchst interessanter japanischer Jazzmusiker. Mittlerweile ist Danny de Zayas dazu übergegangen, kleine Komplettsammlungen aus Japan anzukaufen, etwaige Doubletten werden dann zu wahrlich fairen Preisen in einer kleinen Verkaufsecke am Bareingang feilgeboten. Etwas pathetisch ausgedrückt könnte man sagen, hier werden eher die inneren als die äußeren Werte der Kissa-Kultur gelebt.
Dies gilt vor allem für das Atmosphärische, wo nun Nina Barry ins Spiel kommt, die komplett für Gestaltung und Ausstattung zuständig ist. Hier sind zunächst ihre eigenen, stilsicheren Porträts diverser Jazzmusikerinnen und Kopien von Plattencovern zu nennen, die die Wände künstlerisch aufwerten, und auch mit dem Beleuchtungsdesign und dem Mobiliar ist es ihr gelungen, einen Ort der Entspannung und der Begegnung zu ermöglichen, der nicht allein mit musikalischer Qualität überzeugt, sondern auch das Auge ästhetisch erfreut.
Zwischen Kieztreff und Event
Anfangs startete Kissa Kissa als eine Art Nachbarschaftsbar für den Kiez, in der man sich nach Feierabend mit Freunden noch auf einen Drink bei cooler Jazzmusik trifft. Ein Konzept, das aber bereits nach einem halben Jahr vom wachsenden Erfolg überholt wurde. Schnell breitete sich der exzellente Ruf der Bar über die Grenzen von Crown Heights nicht nur in ganz Brooklyn, sondern bis nach Manhattan aus. Spätestens seit einer wohlwollenden Erwähnung in der New York Times pilgern auch Neugierige aus Jersey City heran, sodass freitags und samstags schnell mal über 200 Gäste die Bar bevölkern.
Dennoch möchte man nicht ganz den Charme einer Nachbarschaftsbar aufgeben. So wurden bislang auch die vielen Anfragen nach möglichen Liveauftritten allesamt negativ beschieden. „Zum einen sind wir eine Kissa-Bar, die sich dem Vinylbetrieb verschrieben hat“, erläutert uns Danny de Zayas seine ablehnende Haltung gegenüber Konzerten, „zum anderen gibt es jede Menge kleinere Jazz-Clubs hier in Brooklyn. Denen wollen wir weder die Musiker noch das Publikum wegnehmen.“ Eine durchaus verständliche und vor allem löbliche Haltung. Gemeinsam mit einigen jungen Jazzern ist man aber auf eine alternative Idee gekommen: In unregelmäßigen Abständen können Musiker den DJ-Part übernehmen und dem Publikum jene LPs präsentieren, die sie als Musiker besonders geprägt haben, oder auch einfach nur ihre Lieblingsscheiben auflegen – aber auch hier gilt: Jazz only. „Das Konzept erfreut sich zunehmend großer Beliebtheit“, sagt Danny nicht ohne einen gewissen Stolz, „und wenn die Musiker mit der Anlage fremdeln sollten, dann drücken sie mir einfach ihr Vinyl in die Hand und ich übernehme den Job.“
Die Umgebung zählt
Erstaunlich ist immer wieder, wie stark aktuell die verschiedenen Konzepte einer Kissa-Bar das Publikum anziehen. Obwohl weder Berlin, Dublin und schon gar nicht New York arm an Lokalitäten sind, scheinen Kissas momentan eine Art Selbstläufer zu sein, was vermutlich eben auch daran liegt, dass die Konzepte der Bars exakt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Umgebung mit ihrem spezifischen Publikum zugeschnitten sind. Bei Kissa Kissa haben sich sogar nach dem ersten Jahr zwei Konzepte herausgeschält: Da ist zum einen von Sonntag bis Donnerstag die entspannte Nachbarschaftsbar, während man sich für den Freitag und Samstag den Ruf einer brodelnden Event-Bar erarbeitet hat, auch wenn das die Pläne ursprünglich gar nicht vorgesehen hatten. „Da hat man auch schon mal nach dem Wochenende leichte Augenringe“, lachen beide, als sie uns am späten Sonntagnachmittag mit großzügiger Gastfreundschaft empfangen. Sie sind aber weit davon entfernt, sich zu beschweren. Im Gegenteil: „Das erste halbe Jahr war finanziell schon hart, aber dann explodierte es plötzlich und die boomenden Wochenenden sorgten dafür, dass wir momentan ganz entspannt in die Zukunft blicken.“
Zumal etwa das einige Kilometer nördlich in Greenpoint gelegene „Eavesdrop“ einen komplett anderen Ansatz verfolgt und man sich daher auch gegenseitig keine Kunden wegnimmt, schon gar nicht in einer Metropole wie New York. Angefixt von der Begeisterung unserer Gastgeber und deren Elan beschließen wir, Kissa Kissa noch ein zweites Mal zu besuchen. Abschließend ein kleiner Tipp aus der Redaktion: Sollten Sie unter der Woche nach einem langen Flug bereits nachmittags in ihrem New Yorker Hotel eintreffen, machen Sie sich alsbald auf nach Crown Heights. Entspannter als bei Art Farmer oder John Coltrane und einigen Gin Tonics auf der Riesencouch am Bareingang kann man dem Jetlag nicht entkommen.
Öffnungszeiten
Montag bis Donnerstag: ab 17.30 Uhr
Freitag/Samstag: ab 17 Uhr
Sonntag: ab 15 Uhr
Kissa Kissa
667 Franklin Ave
Crown Heights
Brooklyn, NYC