Pat Metheny im FIDELITY-Interview
Pat Metheny ist der vielleicht größte lebende Jazzgitarrist. Zur Veröffentlichung seines neuen Soloalbums MoonDial erklärt Metheny FIDELITY in einem seiner raren Interviews, warum er sich für die Aufnahmen Saiten aus Argentinien einfliegen ließ. Wie die Weite seiner Jugendheimat Missouri noch heute seinen Sound prägt. Und weshalb er auf der Bühne keine geringelten Shirts mehr trägt.

FIDELITY: Pat, lassen Sie mich Ihnen eine Anekdote erzählen. Vor gut 35 Jahren habe ich als Praktikant bei einer Lokalzeitung einen Auftritt von Ihnen erlebt, mein erstes Jazzkonzert. Später fragte mich mein Vater, welchen Künstler ich denn gesehen hätte. Ich hatte Ihren Namen vergessen und sagte: „So ein Typ mit Gitarre und gestreiftem T-Shirt.“ Mein Vater antwortete: „Oh, wow, Pat Metheny!“
Pat Metheny: (lacht) Die Geister, die ich rief. Die Wahl meiner Shirts damals war aber keine bewusste Entscheidung von mir nach dem Motto: Wie erkennt man mich am besten? Ganz im Gegenteil, ich stehe überhaupt nicht gerne im Scheinwerferlicht. Am liebsten würde ich einfach meine Musik spielen und an gar nichts denken. Ich wäre gerne unsichtbar.
Sind Sie aber nicht – wenn man Bilder von Ihnen googelt, dann sind Sie auf der Hälfte im gestreiften Hemd zu sehen …
Ich hatte mich eine Zeitlang einfach wohlgefühlt damit. Bis mir eines Abends auffiel: Ein Großteil des Publikums saß da in Ringelshirts. Seitdem habe ich keins mehr angezogen.
Hat Ihr legerer Kleidungsstil – heute tragen Sie oft Holzfällerhemden – etwas mit Ihrem Musikstil zu tun? Spielen Sie mit einer gewissen Lässigkeit?
Also, die meisten Menschen aus meinem Dunstkreis würden auf diese Frage wohl antworten: Hä? Sie wissen, wie ich bin. Ich beschäftige mich 20 Stunden am Tag mit Musik. Meine ganze Energie wandert in die Musik. Wenn Sie mit der „gewissen Lässigkeit“ eine Art Unernsthaftigkeit meinen, dann lautet die Antwort: Nein.
So meinte ich es nicht. Jazz kann ja luftig-verspielt oder eher technisch sein. Locker improvisiert wirken oder wie in strengen Leitplanken …
Okay, damit kann ich etwas anfangen. Wissen Sie, ich komme aus einer Kleinstadt in Missouri, nicht aus New York City. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich nicht im Dreiteiler auf der Bühne stehe. Mein Gitarrenspiel aber sehe ich nicht als akustische Interpretation eines Holzfällerhemdes (lacht). Mir war immer nur meine Musik wichtig. Ich denke in jeder Sekunde daran, wie ich in neue Sphären vordringen kann.
Von den ganz großen Jazzlegenden – Miles Davis, Cannonball Adderley, Oscar Peterson, Charlie Haden – spielte keiner die Gitarre. Die Gitarre steht im Jazz oft im Schatten der anderen Instrumente, finden Sie nicht auch?
Ich denke nicht in solchen Kategorien. Wenn ich an Miles Davis denke, dann nicht an „Trompete“. Sondern an Miles. An seine Virtuosität. Oder Art Tatum. Klar, ein Pianist – aber seine Ideen, einzigartig! „Gitarre“ ist kein Wort, dass ich oft im Kopf hätte.
Jetzt muss ich fragen: Hä?
Bei den zehn Dingen, die mir im Leben am wichtigsten sind, ist die Gitarre vielleicht auf Platz neun. Was mich viel mehr beschäftigt, das sind Ideen. Ausdrucksmöglichkeiten. Die Art und Weise, wie sich eine Melodie entwickelt. Die Gitarre ist nur Mittel zum Zweck. Neue Songs schreibe ich am Klavier. Ich weiß nicht, ob ich jemals einen Song von vorne bis hinten auf der Gitarre komponiert hätte.
Sie komponieren ein Gitarrensolo auf dem Klavier?
Wobei das immer der lästige Part ist. Mir bringt es viel mehr Spaß, eine Songidee auszuweiten zu einem Song. Die Instrumente zusammenzubringen. Ganz am Schluss frage ich mich dann: Okay, habe ich überhaupt noch Platz für mein Solo?
Das Problem hatten Sie auf Ihrer neuen Platte MoonDial ja nicht: nur Sie und Ihre Baritongitarre.
Sie erwischen mich ja gerade mitten in einer Tour zum Soloalbum. 117 Konzerte habe ich schon gespielt, ungefähr hundert kommen noch. Neulich Abend ist mir aufgegangen: Das ist das erste Mal seit Highschool-Tagen, dass die Gitarre und ich eine so intime Beziehung haben, obwohl es ja nicht mein erstes Soloalbum ist. Aber dieses hier, da habe ich viel Erfahrung eingebracht. Ich verbessere mich jeden Tag. Ganz im Ernst, gestern habe ich bei einem Konzert Dinge gespielt, die hätte ich vor einem halben Jahr nicht auf die Reihe bekommen.
Pat Metheny entdeckt gerade, dass die Gitarre ein interessantes Instrument ist?
Das ist doch das wirklich Coole an der Gitarre: Niemand weiß genau, was das eigentlich ist. Wenn jemand das Wort „Gitarre“ sagt, dann hat jeder Mensch eine andere Vorstellung davon. Eine Gitarre kann so viele Klänge und Stimmungen erzeugen. Sie kann unglaublich laut sein. Sie kann fragil sein. Verspielt.
MoonDial ist eher ein fragiles Album, finde ich.
Mir war wichtig, mich in recht intimer Atmosphäre auszudrücken. Ich hatte angefangen, eine bestimmte Art ruhiger Songs einfach für mich zu spielen. Das gefiel mir so gut, dass ich dachte: Okay, das wird ein Album.
Sie hätten sich spezielle Saiten dafür bestellt, heißt es.
Ich habe eine besondere Technik, die Saiten zu stimmen. Es geht mir um einen sehr ausbalancierten, aber variablen Sound, den viele Gitarren nicht haben. Meine oberen Saiten sollen klingen wie eine Violine und eine Viola, die unteren wie ein Cello. Die Kunst ist es, diese drei Bereiche zu einem harmonischen Ganzen zu fügen. Herkömmliche Nylonsaiten brechen, wenn ich sie nach meinem Gusto stimmen möchte. Zum Glück habe ich einen Hersteller in Argentinien aufgetrieben. Drei Tage vor den Aufnahmen kam das Paket von Amazon!
Sie haben kürzlich gesagt: Wenn ich meine 12-String-Gitarre mit normalen Saiten ausrüstete, klänge sie wie ein Banjo …
Das Problem liegt bei den hohen Tönen: Da fängt’s dann an, nicht so zu klingen, wie ich es möchte. Ein bisschen wie ein Banjo, tatsächlich.
Auf MoonDial spielen Sie den Song „My Love And I“, ursprünglich von David Raskin für den Westernfilm Apache mit Burt Lancaster geschrieben. Da hätte ein Banjo doch gepasst.
Ich habe nichts gegen Banjos! Bei dem Song hätte es vielleicht sogar gepasst. Aber bei allen anderen eben nicht (lacht).
Sie covern auch den Beatles-Song „Here, There And Everywhere“. Ist es nicht seltsam, den charakteristischen Gesangspart mit der Gitarre zu spielen?
War kein Problem. Mir ging es um die Harmonie, um den Sound. So ein Beatles-Song ist ja schon unglaublich. Den könnte man in tausend verschiedenen Versionen interpretieren. Ein Song muss gute Noten haben, gute Akkorde. Da sind Lennon und McCartney unerreicht.
Vor etwa zwei Jahren hatten wir hier in FIDELITY ein Interview mit Gitarrist Steve Cropper. Obwohl er mit dem „Memphis Sound“ die Soulmusik geprägt hat, sagt er, er habe nie Frontmann sein wollen. Er sei nur Dienstleister. Und doch erkennt man nach einem Ton: Die Gitarre spielt Steve Cropper.
Sehr sympathisch. Er kreiert einen Sound, ohne sich oder sein Instrument zu wichtig zu nehmen.
Steve Cropper stammt ja auch aus Missouri …
Tatsächlich? Das wusste ich gar nicht.
Aus einer Kleinstadt ganz im Süden des Staates. Was ich mich frage: Wenn diese beiden bescheidenen Gitarrenjungs aus Missouri mal zusammenspielen würden, der Soulmann und die Jazzlegende: Was käme dabei heraus?
Okay … Steve kommt also aus der gleichen Ecke wie Charlie Haden, der Bassist, den Sie erwähnten. Auch Süd-Missouri. Und mit Charlie habe ich schon zusammengearbeitet. Und dabei festgestellt: Manche Dinge muss man nicht erklären. Geografie ist eine interessante Sache. Du hast die gleiche Luft geatmet, bist vielleicht im gleichen ländlichen Milieu groß geworden. Das macht etwas mit Dir. Ich habe die ersten 17 Jahre meines Lebens in einem winzigen Dorf gelebt, es war fast tödlich still. Bis auf den Sound der Eisenbahn, die wenige Meter vor meinem Fenster vorbeiratterte. Das steckt in mir.
Bis heute, mehr als 50 Jahre später?
Ja. Diese Stille, dieser Sound des Nichts, unterbrochen vom Singen der Schienen, auch der große Raum um alles, die Weite des Landes: Das prägt mich bis heute. Obwohl ich viele Jahrzehnte in großen Städten gelebt habe.
Wie beeinflusst das Ihre Kunst?
Ein Beispiel: Als Bandleader ist es für mich die größte Herausforderung, Musiker zu finden, die simpel spielen. Technisch versierte Künstler, die die komplexesten Arrangements rückwärts in allen Tonarten spielen können, die gibt es wie Sand am Meer. Nicht aber diejenigen, die einfach die Melodie spielen. Ohne eine Note, ohne eine Nuance zu viel. Die die Seele eines Songs erkennen. Die also Soul spielen, wenn man so will. Insofern, lange Rede: Es wäre wirklich spannend, mit Steve Cropper zu arbeiten. Zu sehen, ob wir eine gemeinsame Basis hätten.
Diese Missouri-Prägung hört man auf Ihrem Soloalbum, was meinen Sie? Da arbeiten Sie auch mit Stille und Raum.
Danke. Ja, ich spiele gerne Noten, um die herum ich viel Raum lassen kann. Leise Noten. Aber nicht nur. Mich kann auch ein Mülleimer inspirieren, der in New York mit 120 Dezibel eine Treppe hinunter auf die Straße poltert.
Bereits mit 19 waren Sie der jüngste Professor für Musik am Berklee College. Was sagen Sie einem jungen Musiker, der klagt: „Ich finde meinen Sound nicht!“?
Well… Das würde mir auf jeden Fall zeigen, dass dieser Musiker schon drei Schritte zu weit denkt. Als Musiker musst du im Moment leben, dort an dir arbeiten. An deiner Technik, an allem. „Mein Sound“, das ist abstrakt. Und nebenbei: Jeder ernsthafte Musiker, der einen Sound gefunden hat, denkt nicht mehr daran. Sondern daran, wie er noch besser werden kann. Es geht im Übrigen auch nicht darum, viel zu reden. Ich würde also sagen: „Dude, play!“
Pat Metheny feierte diesen August seinen 70. Geburtstag – und beschenkte sich selbst mit einem neuen Album. Wie schon bei zwei früheren Werken, One Quiet Night (2003) und What’s It All About (2011), handelt es sich bei MoonDial um ein reines Solo-Gitarrenalbum ohne Overdubs, aufgenommen auf der Baritongitarre. Metheny stammt aus einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Missouri. Mit 19 bereits war er der jüngste Dozent am renommierten Berklee College of Music. Der 20-fache Grammy-Gewinner arbeitete schon mit Ornette Coleman, Herbie Hancock, Steve Reich und David Bowie zusammen und gilt für viele als bester zeitgenössischer Jazzgitarrist.