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Dr. John - Goin' Back To New Orleans

Dr. John – Goin’ Back To New Orleans

Blues-Beats mit Voodoo-Vibes

Dr. John – Goin’ Back To New Orleans

Erst ist da dieses Pfeifen. Vielleicht ein Vogel, eine Seeschwalbe? Oder ein Mitglied der Neville Brothers? Man weiß es nicht. Diese wenigen Töne aber, egal von wem gepfiffen – es ist eine der schönsten Tonfolgen der Welt.

Sie gestalten das Intro zu der in meinen Ohren vielleicht besten Platte, die je in New Orleans aufgenommen wurde. Dort unten am Mississippi, wo die Seeschwalben in den Mangrovensümpfen nisten, wo fast in jedem Haus ein Klavier oder eine Bongotrommel steht und wo der 2019 verstorbene Malcolm John Michael Rebennack jr. das Licht der Welt erblickte. Als Dr. John eroberte er die Welt. Mit Delta-Funk, mit Voodoo-Vibes. Mit seiner einzigartigen, von karibischen und kreolischen Grooves und psychedelischen Sounds geprägten Bluesspielart. Er spielte mit den Rolling Stones und mit Aretha Franklin. Mit Lou Reed und Neil Diamond und später mit Bands wie The Roots und den Black Keys. Nahm um die 50 oder 100 Platten auf, keiner weiß es genau. Doch nie in New Orleans. Ärger mit dem Finanzamt, wie es heißt. Bis zum Frühjahr 1992. Da buchte er die legendären Ultrasonic Studios, lud sich rund 30 Musiker aus dem Delta ein und nahm Goin’ Back To New Orleans auf. „Es war Zeit für mich zurückzukehren“, so sagte er in einem Interview, das ich als junger Journalist mit ihm führen durfte.

Dr. John - Goin' Back To New Orleans

Die gepfiffenen Töne also,  Start zu einem wilden Ritt durch die musikalische Geschichte und Kultur von New Orleans: „Litanie Des Saints“. Ein magisches, fast fragiles und dennoch pulsierend groovendes Eröffnungsstück. Ein beispielhafter Song, der auf einem alten Kinderlied beruht, versetzt mit einer Komposition des Konzertpianisten Louis Moreau Gottschalk, Zeitgenosse von Frédéric Chopin, der allerdings vor dem späteren Ruhm in Paris am Congo Square von New Orleans zu Chants und Trommelrhythmen der aus Afrika gekommenen Sklaven aufgewachsen war – so wie Dr. John. Die Neville Brothers, eine der legendären New-Orleans-Funk-Gruppen, singen auf Französisch-Kreolisch, die Rhythmusgruppe nimmt Fahrt auf. Das Ganze ist extremst feinfühlig produziert von Stewart Levine. Einer New Yorker Ikone, die seinerzeit ein Erfolgsalbum nach dem anderen produzierte für Simply Red, für Joe Cocker und für Huey Lewis. Der auch als Chef des musikalischen Rahmenprogramms des „Rumble in The Jungle“-Boxkampfs in Zaire zwischen Muhammad Ali und George Foreman – bekannt auch durch den Dokumentarfilm When We Were Kings – zu einem der gefragtesten Musikproduzenten seiner Zeit geworden war. Im Frühjahr 1992, in den Studios am Mississippi, gelingt ihm das Kunststück, knapp drei Dutzend Musiker, darunter allein 15 Bläser, sich leidenschaftlich austoben zu lassen. Und am Ende doch jede Note, jeden leicht verschleppten Offbeat so zu arrangieren, aufeinander abzustimmen und auszubalancieren, dass ein audiophiles Meisterwerk entsteht.

All die anderen Songs … Über jeden könnte ich eine Dr.-Arbeit schreiben. Da ist das traurige Duett von Trompete und Dr. Johns Piano in „I Thought I Heard Buddy Bolden Say“ des Jazzpianisten Jelly Roll Morton. Da ist der Dixieland-Klassiker „Basin Street Blues“, erstmals von Louis Armstrong 1928 aufgenommen und hier dezent verfunkt. Das dann gehaltvoll mit Slap-Bass und Bläsern auf Touren gebrachte „Do You Call That A Buddy“ des Songschreibers Don Raye. Und das bitterböse „How Come My Dog Don’t Bark (When You Come Around)“ des heute vergessenen Prince Partridge, hier in Dr.-John-typischer Spielweise in einen pulsierenden Funk verwandelt. Archetypischer Blues, fetter Funk, emotionaler Soul – Goin’ Back To New Orleans ist das perfekte Werk, um High-End-Equipment auf Vielseitigkeit und Feinfühligkeit zu testen. Dafür gab es auch einen Grammy, allerdings in der Kategorie „Best Traditional Blues Album“, was die Bandbreite der Songs nicht annähernd berücksichtigt. Wie meinte Dr. John einst selbst? Wer bei dieser Musik keinen Spaß habe, der läge vermutlich bereits im Kasten, „ready to put down six feet in the ground…“

Dr. John – Goin’ Back To New Orleans

Label: Warner Music
Format: CD, LP, DL 16/44

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