FIDELITY Wissen: Verstärkerklassen
Auch wenn Class D die Zukunft (sprich: die Gegenwart) ist, erfreuen sich klassische AB-Schaltungen selbst im HiFi-Mainstream nach wie vor großer Beliebtheit. Über das technische und klangliche Für und Wider lässt sich freilich trefflich diskutieren, doch darum soll es hier nicht gehen. Stattdessen wollen wir die ganze Buchstabensuppe einmal von den Grundlagen her angehen: Was bedeuten diese „Klassen“ denn überhaupt?
Kreisabschnitte
Es gibt eine ganze Reihe an Verstärkerklassen, doch für HiFi-Anwendungen sind vor allem die Betriebsklassen A, B, AB und D relevant. Wenden wir uns dabei zunächst den Klassen A und B zu, da diese einem einheitlichen Grundprinzip folgen: Sie definieren sich danach, über welchen Anteil des Eingangssignals die Verstärkungselemente (ganz gleich, ob Transistoren oder Röhren) Strom führen, wobei die Dauer der Stromführung als Winkel angegeben wird. Das klingt abstrakt, wird aber schnell anschaulich, wenn wir uns als Eingangssignal eine Sinuswelle vor Augen halten. Die gesamte Welle ist analog zu einem vollen Kreis, entspricht also 360 Grad, eine Halbwelle „dauert“ demnach 180 Grad. Wenn ein Verstärkungselement also über die gesamte Welle hinweg Strom führt, wird sie mit einem Leitungswinkel (auch Durchlasswinkel) von 360 Grad betrieben; ein Element, das nur eine Halbwelle wiedergibt und während der gegenläufigen Wellenhälfte ausgeschaltet ist, mit einem Winkel von 180 Grad.

Und damit hätten wir auch schon die ersten beiden Klassen definiert: Class A heißt schlicht, dass der Transistor oder die Röhre permanent Strom führt, während Class B einen Durchlasswinkel von 180 Grad beschreibt. Wenn wir nur 180 Grad durchlassen, geht uns jedoch zwangsläufig eine Hälfte des Signals verloren – und überhaupt: wieso sollte das Element nicht einfach permanent Strom führen? Da Musik aus Druckanhebungen und -senken besteht, die elektronisch in positive und negative Spannungsauslenkungen übersetzt werden, liegt es nahe, ein Verstärkungselement so anzusteuern, dass es von der Mitte seines Arbeitsbereiches aus die Spannung in beide Richtungen modulieren und so einfach das gesamte Signal nachfahren kann. Das ist auch das Funktionsprinzip der technisch einfachsten Verstärkertopologie: Single-Ended- oder Eintaktverstärker. Während diese bis heute klanglich als der Heilige Gral gelten, bringen sie prinzipbedingt leider auch einen lausigen Wirkungsgrad mit sich. Schließlich müssen die Verstärkungselemente hier von der Mitte ihrer Kennlinie arbeiten, was zugleich bedeutet, dass sie permanent auf Spannung gehalten werden müssen – ganz gleich, ob Signal anliegt oder nicht. Da sie die Spannung von diesem Punkt aus nach oben und unten modulieren, geben sie im Leerlauf und bei Musikwiedergabe im Schnitt exakt ihre volle Leistung ab – ungefähr so, als würde man im Auto das Gaspedal permanent am Bodenblech haben und die Geschwindigkeit mit der Bremse regulieren.
Zerlegt, zusammengefügt
Aus Gründen der Energieeffizienz ist es also wünschenswert, die Basisspannung abzusenken oder gar auf null zu setzen, allerdings lässt sich dann die ganze Welle rein geometrisch nicht mehr abbilden. Dieses Problem kann man umschiffen, indem man das Signal einfach in zwei Halbwellen aufteilt und diese etwa zwei entgegengesetzt dotierten Transistoren (npn und pnp) übergibt. Dieses Funktionsprinzip bezeichnet man als Push-Pull oder auch Gegentaktverstärkung. Jeder der Transistoren arbeitet dann nur über „seine“ 180 Grad der Sinuswelle, womit wir wieder bei unserer Klasse B wären. Das ist elegant und effizient, allerdings auch mit zwei Nachteilen behaftet: Zum einen schalten Transistoren nicht ab dem ersten Millivolt, sondern müssen über eine Schwellenspannung gefahren werden, bevor sie „aufwachen“ – die Signalführung würde daher bei jedem Übergang zwischen den Wellenhälften kurzzeitig unterbrochen, was klanglich indiskutabel ist; reine Class-B-Verstärker kommen im HiFi deshalb im Grunde nicht vor.

Stattdessen bedient man sich eines kleinen, einfachen Kniffes: Man legt einen geringen Ruhestrom an, der das Verstärkungselement permanent über der Schwellenspannung hält und ihm auch die Übertragung zumindest eines Teils der gegenläufigen Wellenhälfte ermöglicht, wodurch der Durchlasswinkel auf mehr als 180 Grad steigt – und genau das definiert die Schaltung als Class AB; legt man den Ruhestrom so hoch, dass beide Elemente über die vollen 360 Grad Strom führen, sprechen wir auch bei einem Push-Pull-Verstärker wieder von Class A.
Auch wenn das Problem der Schwellenspannung mit Class AB gelöst wird, treten durch das wechselweise Ein- und Ausschalten der Verstärkungselemente im Übergang zwischen den Wellenhälften dennoch Verzerrungen auf. Da sich durch den erhöhten Leitungswinkel die aktiven Phasen teilweise überschneiden, entsteht dieses Problem erst, wenn die Signalamplitude den Ruhestrom übersteigt – darunter bleiben beide Verstärkungselemente durchgehend aktiv, weshalb auch keine schaltbedingten Verzerrungen entstehen. Ein Class-AB-Verstärker ist in diesem Sinne also tatsächlich nicht ein Zwischending, sondern arbeitet bei geringen Lasten in Klasse A und geht bei größeren Amplituden dann in Klasse B über. Bei hochwertigen Verstärkern wird deshalb der Ruhestrom oft recht hoch angesetzt, sodass sie, sagen wir, um die zehn Prozent ihrer Nennleistung in Klasse A abgeben können. Das klingt nach wenig, aber wenn man bedenkt, dass im normalen Hörbetrieb meist weniger als ein Watt pro Kanal benötigt wird, laufen solche Designs meist fast durchgehend im Class-A-Modus und bieten gleichzeitig reichlich Leistungsreserven für Dynamikspitzen.

Gerundete Spitzen
Klasse D schließlich beschreibt eine völlig andere Art, Verstärkungselemente zu verwenden. Wird bei den bisher beschriebenen Betriebsarten die Leitfähigkeit der Elemente zwischen Schwell- und Sättigungspunkt moduliert, unterscheidet Klasse D hier nur zwischen An und Aus und repräsentiert den Auslenkungsverlauf meist durch Pulsweitenmodulation (grundsätzlich ist aber auch Pulsfrequenzmodulation zu diesem Zweck nutzbar): Die Dauer des An- gegenüber dem Auszustand über einen bestimmten Zeitraum resultiert in einer durchschnittlichen Signalamplitude. Legt man das Schaltintervall um ein Vielfaches höher als die höchste wiederzugebende Frequenz – im Audiobereich also auf einige hundert Kilohertz, gerne auch noch wesentlich höher – und begrenzt die Bandbreite dann mittels eines Tiefpassfilters auf eine sinnvolle obere Grenzfrequenz, „sieht“ die Schaltung am Ausgang statt unzähliger Schaltvorgänge nur eine über die Zeit fließend variierende Signalamplitude, die dem verstärkten Musiksignal entspricht.