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Enrico Rava Quartet

Enrico Rava Quartet

Heimliche Meisterwerke des Jazz, 1978

Enrico Rava Quartet

Zur Trompete gekommen war er durch den Cool Jazz von Miles Davis.

Aber als es mit der eigenen Karriere so richtig losging, geriet Enrico Rava schnell in den Strudel des damals angesagten europäischen Free Jazz. Die offene, spontane Form entsprach ganz seinem Empfinden: „Ich bin kein Improvisator“, sagte er einmal. „Der Wettstreit über die Akkorde – nein, das bin ich nicht. Ich glaube vielmehr, ein Erzähler zu sein. Ein Gedanke ruft den nächsten hervor. Improvisieren ist immer ein Spiel der Erinnerung.“ Auch im Free Jazz lehnte Rava daher alles Regelhafte ab – selbst das Verbot, Konventionelles zu spielen. Wenn ihm danach ist, dann bringt er eben auch harmonische Sachen, erzeugt lyrischen Wohlklang, selbst wenn die Avantgardisten darüber die Nase rümpfen sollten.

Enrico Rava Quartet

Typisch dafür ist ein Stück wie „Lavori Casalinghi“, zu Deutsch: „Häusliche Arbeiten“. Der Opener dauert eine Viertelstunde und hat mehrere Thementeile, meist eingängig-lyrisch. Ein Kritiker verglich das Stück mit einem langsamen Sonnenaufgang. Das erste Motiv zum Beispiel ist ein sequenzierter Walzer wie aus einer Opernarie oder einer Filmmusik. Doch der nostalgische Schmelz wird immer wieder ironisch gebrochen durch schräge Töne, Wiederholung oder Stillstand. „Humor ist ein wichtiger Teil meiner Musik“, sagt Rava. „Manchmal ist er sehr subtil, nicht alle erkennen ihn.“ Zwischen den Themen wird frei und „out of tempo“ improvisiert. Roswell Rudds Posaune liefert zuweilen Glissandi mit dem Sound eines einmotorigen Kleinflugzeugs.

Diese Quartettbesetzung ist ein kleiner Geniestreich: nur zwei Blechbläser, Bass und Schlagzeug. Der Posaunist Roswell Rudd, der Free-Jazz-Veteran, verbindet dabei Oldtime und „New Thing“ und liefert dem Bandleader auch gewitzte Begleittöne. Ravas lyrische Trompete und Rudds raue Posaune bilden ein faszinierendes Paar. Rava hat selbst einmal auf der Posaune angefangen: „Ich mag den Ton und das Register, das an die männliche Stimme erinnert. Roswell spielt sehr modern, hat aber feste Wurzeln in der Tradition der New-Orleans-Tanzbands.“

Das Pendant zum Opener ist das ebenfalls viertelstündige und ebenfalls mehrteilige „Tramps“ auf der B-Seite. Allerdings beginnt dieses Stück „out of tempo“, der rhythmisch-thematische Teil setzt nach etwa fünf Minuten ein. Am Ende spielt Rudd seine Posaune mit Dämpfer. Und außerdem sind da noch drei Miniaturstücke (drei bis fünf Minuten lang), deren Originalität den besonderen Charme dieses Albums ausmacht. Ravas „Blackmail“ zum Beispiel ist eine fröhlich-ironische Parademusik. Monks berührendes „Round About Midnight“ wird von den beiden Bläsern ganz allein gespielt. Rava bietet einen Durchgang durchs Thema (AABA) und schwenkt dann in die Coda ein, die Dizzy Gillespie erfunden hat. Rudd spielt begleitende Grundtöne, variiert sie immer wieder oder ergänzt kleine Echos der Melodie.

Die dritte Miniatur, „The Fearless Five“, ist der eigentliche „Hit“ des Albums. Rava nennt das Stück einen „Shuffle“: „Hin und wieder habe ich Lust, so etwas zu spielen.“ In den gewitzten Motivkürzeln, die eine Monk’sche Sperrigkeit besitzen, verschmelzen Trompete und Posaune scheinbar zu einer Einheit. „Die Posaune ist mehr oder weniger fast dasselbe Instrument wie die Trompete, nur in einem anderen Register“, erklärt Rava. „Darum klingen die beiden so gut zusammen. Das habe ich gelernt, als ich mit Roswell spielte. Er zeigte mir, dass wir mit zwei Tönen auch all die Obertöne und Harmonien hervorbringen können.“ Rava hat „The Fearless Five“ über Jahrzehnte hinweg immer wieder ins Programm seiner Bands genommen. Er hat es auch mit dem Globe Unity Orchestra als „Flat Fleet“ gespielt oder später variiert unter dem Titel „F. Express“.

www.ecmrecords.com

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