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Pee Wee Ellis - Photo: David Weimann
Pee Wee Ellis - Photo: David Weimann

Pee Wee Ellis im Interview mit FIDELITY

FIDELITY im Interview mit PEE WEE Ellis

Pee Wee Ellis: „Van Morrison ist Musiker. James Brown dachte, er wäre einer“

Fotografie: David Weimann, Heinrich Buttler, Hyou Vielz

Er hat den Funk erfunden. Mit James Brown gerungen. Und für Van Morrison den Blues gespielt: Alfred „Pee Wee“ Ellis. Im großen Interview mit FIDELITY erzählt der legendäre Saxofonist, wie er Songklassiker wie „Cold Sweat“ und „Say It Loud, I’m Black And Proud“ schrieb – und warum er eigentlich lieber Pilot geworden wäre.

Pee Wee Ellis - Photo: Heinrich Buttler
Pee Wee Ellis – Photo: Heinrich Buttler

10 Uhr vormittags in einem Hamburger Hotel. Mr. Ellis? Dort hinten im Frühstücksraum. Man schlängelt sich zwischen Stühlen und Büffet-Gästen hindurch. Dort sitzt allein an einem Tisch Alfred Ellis, den jeder nur „Pee Wee“ nennt. James Brown rief ihn so, Van Morrison auch. Die ganze Musikwelt, die ohne den Einfluss des Saxofonisten, Funk-Wegbereiters und vielgebuchten Arrangeurs und Songschreibers heute eine andere wäre. Man reicht sich die Hand, es sind noch Wochen bis zur Corona-Krise. Mr. Ellis – “call me Pee Wee” – fragt höflich, ob es okay wäre, wenn er während des Gesprächs sein Frühstücksmüsli beenden dürfe. Aber klar. Unter einer grünen, salopp auf dem Kopf platzierten Mütze blinken verschmitzte Augen hervor. “Let’s roll”, sagt Pee Wee. Gut. Der Duft von Bacon & Eggs weht vom Büffet herüber. Fangen wir mit einer kulinarischen Frage an …

FIDELITY: Mr. Ellis, einer Ihrer bekanntesten Songs heißt „The Chicken“, weil Sie angeblich beim Komponieren Appetit auf Hähnchen hatten. Sie sind über Jahrzehnte viel durch Deutschland getourt. Wo also ist Ihr Song „The Bratwurst“?

Pee Wee Ellis: Bratwurst? Das gibt’s bei uns nicht. Zumindest nicht an jeder Ecke. Hähnchen schon. Das mag jeder, und an erster Stelle ich. Daher auch der Song.

Lassen Sie uns ein wenig zurückschauen. Sie haben in den 1950er Jahren Saxofon-Unterricht von Jazz-Legende Sonny Rollins bekommen. Den hatten Sie, so geht die Anekdote, einfach auf der Straße angesprochen.

Eine wahre Geschichte. Ich ging am Broadway entlang, da kam mir Rollins entgegen. Wir hatten beide unser Saxofon in der Hand, es war also nicht zu übersehen, was wir beide machten. Ich fragte ihn: “Hey man, can you give me a lesson?” Rollins war gut drauf. Er war gerade auf dem Weg zum Proben, und ich durfte einfach mitgehen. So fing alles an.

Was wäre passiert, wenn Rollins „Nein“ gesagt hätte? Hätten Sie dann John Coltrane aufgelauert?

Woher wissen Sie das? (lacht) Ich war tatsächlich in Chicago, um Coltrane zu besuchen. Ich habe mich da fast wie ein Stalker verhalten. Hing vor dem Motel ab, in dem er ein Zimmer hatte, solche Dinge. Ich ließ ihn aber dann in Ruhe. Damals war ich zu dem Schluss gekommen: Coltrane hat viel zu viel zu tun, als dass er mir Unterricht geben könnte.

Pee Wee Ellis - Photo: Hyou Vielz
Pee Wee Ellis – Photo: Hyou Vielz

Gab es denn einen Plan B, wenn es mit der Musik nicht geklappt hätte?

Musik war ja nie Plan A. Ich wollte Pilot werden und habe außerdem von einer eigenen Lkw-Flotte geträumt. Die Trucks sollten Band-Equipment durch die ganze Welt fahren. Und ich wollte dann mit dem Flieger und meiner eigenen Band umherreisen. Flugstunden hatte ich auch schon genommen. Mehr ist dann aber doch nicht daraus geworden. Die Geschichte nahm ja einen anderen Lauf.

Sie wurden ein einflussreicher Songschreiber. Sie haben mal gesagt, dass Sie täglich neue Melodien in Ihrem Kopf hören. Brian Wilson von den Beach Boys ist wegen solcher Symptome fast irre geworden. Kennen Sie das Gefühl?

Nein, so ging es mir nie. Ich habe einfach immer neue Melodien in meinem Kopf. Ich wache morgens auf, und da sind sie.

Und die Melodien, spielen Sie die dann auf dem Saxofon?

Die behalte ich im Kopf und teste, wie lange sie dort bleiben. Ein super Gedächtnistraining. (lacht) Die Melodien, die lange bleiben, schreibe ich auf. Manch eine Melodie ist aber auch bereits am nächsten Tag verschwunden. Ich sage mir dann: Wenn sie gut war, kommt sie wieder.

Als Musical Director von James Brown waren Sie in den 1960er Jahren für große Hits mitverantwortlich, haben Songs wie „Cold Sweat“ komponiert. Sie gelten sogar als der Erfinder der Funk-Musik.

Das ehrt mich. Aber es war nicht so, dass ich morgens aufgewacht bin und dachte: „Hey, das ist Funk.“ Das war eine Entwicklung, die während der Arbeit mit James Brown entstand. Mein Jazz-Einfluss und James Browns Leidenschaft für R&B – das ebnete den Weg für unseren Funk. Den habe ich sicher nicht alleine geschaffen.

Pee Wee Ellis - Maceo Parker Photo: Hyou Vielz
Pee Wee Ellis – Maceo Parker
Photo: Hyou Vielz

Innerhalb von wenigen Monaten wurden Sie vom unbekannten Saxofonspieler zum musikalischen Leiter von James Brown. Der erste von über 25 Songs, den Sie für Brown schrieben, war „Let Yourself Go“. Wissen Sie noch, wie nervös Sie damals waren?

Ich war überhaupt nicht nervös. Vielmehr war ich gespannt, was aus meiner Idee werden würde. Ich war ja noch ganz frisch in der Band. James gab mir dennoch freie Hand bei der Gestaltung seiner Musik. Dieses Vertrauensverhältnis hat uns viele Jahre lang erfolgreich zusammenarbeiten lassen.

James Brown wurde als „The Hardest Working Man in Showbusiness“ bezeichnet. Als sein Musical Director mussten Sie wahrscheinlich noch eine Spur härter arbeiten?

Ich hatte zumindest den nicht leichten Job, die am härtesten arbeitende Band im Showbusiness auf die Beine zu stellen. Andererseits haben wir durch Brown auch Orte besucht, die wir sonst nie gesehen hätten. Wir sind ja weit herumgekommen.

„Say It Loud, I’m Black And Proud“ wurde zum Ausdruck einer ganzen Bewegung gegen Rassendiskriminierung. Sie waren bei der Entstehung des Songs entscheidend beteiligt. Sind Sie enttäuscht, weil alle Welt denkt: Der Song ist von James Brown? Sehen Sie wenigstens Geld für Ihre Songs?

Ja, natürlich. Da war ich schon immer sehr wach! Wobei, nicht immer. Für „Let Yourself Go“ habe ich zum Beispiel keinen Cent gesehen. James Brown war James Brown. Die Credits für Songs gab er manchmal einfach dem Busfahrer oder dem Friseur, wenn ihm danach war. Was mich aber bei „Let Yourself Go“ wirklich aufregt: Ein Teil des Songs wurde später zum Klassiker „There Was A Time“. Und ich denke, da hätte ich dann schon Geld für sehen müssen.

Posaunist Fred Wesley wurde gefeuert, weil er nach besserer Bezahlung gefragt hatte.

James war nicht einfach. Für James gab es nur ihn selbst. Rücksicht genommen hat er auf niemanden. Ich musste einmal ein eigenes Flugzeug chartern, weil er im Tourbus nicht auf mich warten wollte und ich deshalb den Flieger verpasst hatte. Wäre ich beim nächsten Auftritt nicht erschienen, wäre ich aus der Band geflogen.

Clyde Stubblefield, lange Zeit Browns Schlagzeuger, starb sogar in bitterer Armut. Dabei wurde er so häufig gesampelt wie kaum ein anderer Musiker. Am Ende bezahlte Prince ihm eine Behandlung im Krankenhaus …

Ich hatte glücklicherweise bereits eine eigene Plattenfirma gegründet, als ich bei James anfing. Deshalb kannte ich mich mit Lizenzen, Rechten und so etwas aus. Andere hatten dieses Glück nicht. Die wussten gar nicht, wozu das nützlich sein sollte – und wurden dann über den Tisch gezogen.

Pee Wee Ellis - Photo: Hyou Vielz
Pee Wee Ellis – Photo: Hyou Vielz

Sie waren nicht nur bei Brown, sondern auch beim irischen Blues- und Soulman Van Morrison Musical Leader. Brown und Morrison, zwei besonders exzentrische Querköpfe: Sind Sie ein guter Therapeut oder einfach nur ungeheuer entspannt?

Ich würde sagen: Ich war immer sehr relaxed. Ich konnte beiden schnell vermitteln, dass ich auf ihrer Seite bin. Und deshalb haben sie mir vertraut, dass ich das musikalisch Beste aus ihnen herausholen möchte.

Und wie haben Sie reagiert, wenn Brown oder Van Morrison etwas machen wollten, das Sie überhaupt nicht gut fanden?

Als Erstes habe ich mich widersetzt. Und dann doch nachgegeben. Ging oft nicht anders. (lacht)

Mit wem war die Arbeit denn einfacher?

Das ist schwierig zu beantworten. Die beiden waren sich auf der einen Seite nämlich sehr ähnlich. Sie wussten, was sie wollten. Und auf der anderen Seite waren sie ziemlich verschieden. Van Morrison ist ein echter Musiker. Und James Brown dachte, er wäre einer. Brown fehlte der musikalische Background, den Van Morrison hat.

Wie konnten Sie Ihren energiegeladenen „Uh-ah-say-what-Funk“-Sound so einfach Van Morrisons gemütlich-bluesigem Folk-Sound anpassen?

Das war eigentlich ganz einfach. Van Morrison hatte bereits konkrete Ideen, die ich dann weiterentwickelt habe. Bei James Brown startete ich ja immer bei null.

Pee Wee Ellis - Photo: Hyou Vielz
Pee Wee Ellis – Photo: Hyou Vielz

Sie haben mal gesagt, Into The Music von Van Morrison sei eine Ihrer Lieblingsplatten. Warum?

Es war meine erste Zusammenarbeit mit ihm. Die Platte ist ungeheuer magisch und charismatisch.

Die Arbeit mit Morrison war offenbar öfter magisch. Das Album Common One haben Sie in den französischen Alpen, fernab jedweder Stadt, entwickelt.

Die Arbeiten an Common One waren spirituell. Es lag ein Gefühl von Frieden und Magie in der Luft. Alles lief so ab, als wäre es so vorherbestimmt. Bitte nicht falsch verstehen: Wir haben keine Drogen genommen. (lacht) Wir saßen zum Beispiel nach dem Frühstück immer zusammen und erzählten uns, was wir in der Nacht geträumt hatten. Ein Bandkollege sprach gerade davon, wie in seinem Traum Van Morrison eine prägende Rolle gespielt habe. Und genau in dem Moment kommt Van Morrison wirklich durch die Tür. Magic.

Haben Sie und Van Morrison sich eigentlich verstanden? Schließlich kommt er aus Belfast, Sie aus Florida. Das sind zwei sehr verschiedene Akzente.

Ja, das stimmt! (lacht) Wir haben aber einfach die Sprache benutzt, die wir beide verstehen: Musik. Das ist eine universelle Sprache. Nein, wir brauchten keinen Dolmetscher.

Als Sie jung waren, wurde Ihnen mehrfach angeboten, Gitarre spielen zu lernen …

Das kann ich noch immer nicht. Aber ich will es unbedingt noch schaffen. Wenn ich denn mal Zeit zum Üben fände …

Sie entschieden sich aber fürs Saxofon. Warum?

Den Sound fand ich schon als Kind cool. Damals habe ich ja ständig Radio gehört. Und bei allen Songs hat mich dieser eine spezielle Sound fasziniert. Das Saxofon. Warum das so war, keine Ahnung. Warum verliebt man sich?

Pee Wee Ellis, Ian Shaw, Spirit of X-mas- Photo: Heinrich Buttler
Pee Wee Ellis, Ian Shaw, Spirit of X-mas- Photo: Heinrich Buttler

James Brown, Van Morrison, George Benson, Lenny Krawitz … Sie haben mit vielen Stars gearbeitet. Gibt es jemanden, der noch fehlt?

Bob Dylan.

Das kam schnell.

Das wäre spannend, denke ich. Aber wissen Sie, es gibt so viele tolle Künstler, mit denen ich gern gearbeitet hätte. Wenn das hier Leute lesen und sich angesprochen fühlen und denken, hey, warum nicht mal mit Pee Wee arbeiten: Ruft mich an! (lacht)

Sie feiern dieses Jahr Ihren 79. Geburtstag und stehen noch immer auf der Bühne. Ist Musik für Sie ein Lebenselixier?

Sie ist der Grund, morgens aufzustehen. Und sie hilft dabei, positiv zu bleiben. Das, was ich am besten kann, auf einer Bühne ausleben zu dürfen, ist ein großes Privileg. Es gibt mir Energie, es hält mich am Leben. Ist das wie bei einer Droge? Auf jeden Fall ist es aber legal. (lacht)

Alan Toussaint, der Godfather des New-Orleans-Funk, starb unmittelbar nach einem Konzert. Ist das etwas, worüber Sie auch bereits nachgedacht haben? Wie alles endet?

Ich mag die Vorstellung: Mein Saxofon in der Hand, ein Lächeln im Gesicht und vielleicht noch ein toller Song, der gerade läuft. Ich werde dieses Jahr 79, das Ende kommt näher. Dessen muss ich mir bewusst sein. Ich wünsche mir, dass mein Erbe, wenn es dann irgendwann so weit ist, einen Platz in dieser Welt findet. Und hoffentlich noch für lange Zeit in Erinnerung bleibt. Darauf wäre ich stolz.

Was planen Sie für die nächste Zeit?

Ich plane, meinen 80. Geburtstag noch zu erleben. (lacht) Das wäre dann nächstes Jahr. Da will ich unbedingt ein kleines Konzert in Frome geben, dem Ort, an dem ich derzeit lebe, in East Somerset in England. Ein Konzert nur für meine Nachbarn. Das ist mein Plan. Mal sehen, was wird.

Pee Wee Ellis mit Martin Wittler 2019
Pee Wee Ellis mit Martin Wittler 2019

Alfred „Pee Wee“ Ellis ist eine jener Musiklegenden, ohne die die Welt der Musik heute nicht dieselbe wäre. 1941 in Florida geboren und aufgewachsen in Texas, lebt Ellis heute in England. Bereits zu Schulzeiten verdiente er sich mit dem Saxofon etwas dazu. 1955 zog es ihn nach New York, wo Jazz-Legende Sonny Rollins sein Mentor wurde. In den 1960er Jahren versuchte sich Ellis zunehmend auch als Komponist. Der „Godfather of Soul“ James Brown machte ihn zu seinem Musical Director. Ellis gilt als Erfinder der Funk-Musik und war entscheidend beteiligt an Hits wie „Cold Sweat“ oder „Say It Loud, I’m Black And Proud“. Mit seinen zwei Bandkollegen Maceo Parker und Fred Wesley gründete er vor 30 Jahren die JB Horns. Zuvor arbeitete Ellis fast 20 Jahre lang mit dem irischen Musiker Van Morrison zusammen. Auch heute, mit 79 Jahren, tourt Pee Wee Ellis regelmäßig rund um den Globus.

 

Pee Wee Ellis auf Tonträger gibt’s hier.

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