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Audiophile Reissues von Blue Note und ECM

Audiophile Reissues von Blue Note und ECM

Lohnt sich das?

Audiophile Reissues von Blue Note und ECM

Ein vergleichender Blick auf die hauseigenen audiophilen Reissues von Blue Note und ECM

Seit einigen Jahren erleben audiophile Vinyl-Reissues im Jazz-Bereich einen regelrechten Boom. Audiophile Reissues wie die „Tone Poet Vinyl“-Serie von Blue Note oder die Luminessence-Reihe von ECM versprechen Klangqualität auf höchstem Niveau, kombiniert mit liebevoll gestalteten Covern und zusätzlichen Archivmaterialien. Die Hersteller werben mit sorgfältigem Remastering von den originalen Analogbändern, hochwertigen 180-Gramm-Pressungen und detailgetreuen Reproduktionen der Original-Artworks. Doch lohnt sich der Griff zu diesen teuren Neuauflagen wirklich? Bieten sie tatsächlich einen hörbaren Mehrwert? Und wie verhalten sich die aufwendig produzierten Reissues im Vergleich zu gut erhaltenen Originalpressungen oder günstigeren Nachpressungen?

Beginnen wir zunächst mit der Serie Tone Poet Vinyl aus dem Hause Blue Note. Sie wurde 2019 unter der Kuratierung von Joe Harley ins Leben gerufen, der für seine Arbeit an audiophilen Reissues bekannt ist. Für das Mastering zeichnet Kevin Gray bei Cohearent Audio verantwortlich.

Audiophile Reissues von Blue Note und ECM

Ein besonderes Merkmal der Tone-Poet-Serie sind die aufwendig gestalteten Gatefold-Cover, die neben den originalen Artworks zusätzlich bisher selten oder nie veröffentlichte Fotos enthalten. Diese stammen aus den Archiven von Blue Note und zeigen alternative Aufnahmen der ursprünglichen Fotosessions sowie Aufnahmen aus dem Studio. Damit bieten die Veröffentlichungen visuell einen erweiterten Einblick in die Entstehungsgeschichte der Alben. Die Auswahl aus dem schier unendlichen Katalog des Labels erscheint ein wenig erratisch, was aber gleichwohl den Reiz ausmacht. Da sind Schlachtrösser wie John Coltranes Blue Train oder Lee Morgans The Cooker, die sowohl bei Blue Note selbst als auch bei diversen Fremdlabels eine umfangreiche Veröffentlichungshistorie haben, aber auch eher unbekannte und wenig wiederveröffentlichte Perlen wie Andrew Hills Dance with Death oder Bobby Hutchersons Oblique.

Bleibt die Frage, ob neben der hervorragenden optischen und haptischen Qualität der Aufmachung auch der Sound überzeugen kann. Hier stehen wir vor der Schwierigkeit der Benchmark; woran soll man sich orientieren? Am Klang der nur schwer erhältlichen und kaum bezahlbaren Erstpressungen? An frühen Reissues – sofern vorhanden – der 60er bis 80er Jahre? An Reissues von Fremdlabeln oder hauseigenen Reissues der jüngeren Zeit? Ich habe mich – Pars pro Toto – für die letzten beiden Varianten entschieden. Da wäre zunächst das Horace Silver Quintet mit Further Explorations in einer Japan-Pressung von Toshiba aus dem Jahr 1984. Man sagt den japanischen Reissues nach, dass diese sich klanglich dicht am Original bewegten. Die Toshiba-Pressung zeigt vor allem wieder einmal, wie unnötig eigentlich schwere 180-Gramm-Pressungen sind. Das japanische Fliegengewicht weist eine absolute Laufruhe auf, da kann das Tone-Poet-Exemplar kaum mithalten. Klanglich wirkt das aktuelle Reissue etwas prägnanter im Bass, die Instrumente treten ein wenig mehr nach vorne, während die Japan-Pressung ein wenig verhüllter klingt. Ja, die Tone Poet klingt irgendwie „audiophiler“. Dennoch beschleicht einen hier das Gefühl, dass insgesamt doch ordentlich nachgeholfen wurde, um die Aufnahme von 1958 mehr an den HiRes-Sound unserer Tage anzupassen. Hier fehlt ein wenig die Lässigkeit, mit der das an der Erstausgabe orientierte Reissue von 1984 punkten kann. Vor keine große Entscheidung wird man jedoch gestellt, vergleicht man die aktuelle Serie mit den Reissues von 2014. Auch wenn bei Andrew Hills Black Fire der Mastering-Guru Bernie Grundman seine Finger im Spiel hatte – die zehn Jahre alte Ausgabe klingt dann doch eher belanglos wie eine schlechte CD-Überspielung. Die Tone Poet klingt dreidimensional aufgeräumter, Hills Klaviersoli spielen sich konturiert ins Ohr, und man hat bei Kevin Grays Mastering den Eindruck, Andrew Hill und seine drei Mitstreiter stünden livehaftig im Raum. Sie sehen also, eine Entscheidung für oder gegen eine Tone-Poet-Ausgabe hängt ganz vom Vergleichs-Vinyl und Ihren persönlichen klanglichen Präferenzen ab.

Wenden wir uns nun dem ohnehin audiophil beleumundeten Label ECM zu. Hier ist die Reissue-Situation eine gänzlich andere als bei Blue Note; von den meisten Aufnahmen ist bislang höchstens ein japanisches Reissue oder eine Wiederveröffentlichung auf CD erfolgt. Luminessence beleuchtet primär die „Klassiker“ des umfangreichen Labelkatalogs.

Audiophile Reissues von Blue Note und ECM

Die Serie enthält Alben, die im Wording des Labels „die Wahrnehmung des kreativen Musikmachens verändert haben“. Einige werden in exklusiven Faksimile-Editionen angeboten, andere sind in hochwertige Klappcover eingefasst, die neue Liner Notes enthalten. In der Veröffentlichungsliste stehen bislang auch zwei Alben aus der Digital-Ära, die bislang nicht auf Vinyl erhältlich waren. Leider hat man – und dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Tone-Poet-Serie – nicht auf das umfangreiche Bildarchiv im Hause ECM zurückgegriffen, um die Gatefold-Cover mit unbekannten hochwertigen Fotografien der Künstler zu veredeln. Hier hätte man für den aufgerufenen Preis mehr erwarten dürfen.

Klanglich sind die Luminessence-Ausgaben ohne Fehl und Tadel, insbesondere was die Pressqualität anbelangt; da muss man tatsächlich lange im Plattenschrank suchen, um eine Vinylscheibe mit einem derart niedrigen Laufgeräusch und derart akkurater Rillenführung zu finden. Bei Keith Jarretts Bremen – Lausanne stehen auch die härtesten Klavieranschläge sowohl im Bass als auch vor allem im Diskant vollkommen verzerrungsfrei im Raum – das kann bei schlechten Pressungen von Klaviermusik auch ganz anders klingen. Soundtechnisch sind die neuen Ausgaben aber eine 1:1-Übernahme der ursprünglichen Ausgaben. Weder auf Kenny Wheelers High Gnu noch auf Gary Burtons New Quartet lassen sich klangliche Differenzen erkennen. Hier hat niemand manipulativ in den Masteringprozess eigegriffen, hier ist nichts Richtung „High End“ gepimpt worden. Selbstbewusst hat man die hervorragende Klangqualität der Originalaufnahmen beibehalten, lediglich die Pressqualität ist minimal besser geworden, aber ohne dass sich wirklich nennenswerte klangliche Unterschiede festmachen ließen. Wer noch im Besitz einwandfreier Erstausgaben ist, der kann getrost auf die Luminessence-LPs verzichten, wer aber seine Sammlung auffüllen möchte oder dessen Erstpressungen runtergerockt sind und der sich ungern den Klippen des Gebrauchtmarkts aussetzen möchte, der greife hier beherzt zu.

Audiophile Reissues von Blue Note und ECM

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Hier geht’s zur Tone Poet-Serie von Blue Note…

…und hier zur Luminessence-Reihe von ECM.

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.