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Edison Museum

Ein Leben für das Grammophon

Chamsori Gramophone & Edison Museum – Ein Leben für das Grammophon

Herr Son hat sein Leben der Frühgeschichte der Tonwiedergabe gewidmet. Sein Lebenswerk ist ein einzigartiges Museum

Herr Kim dreht an der Kurbel und legt behutsam die Nadel auf die sich drehende schwarze Scheibe. Tosende Orchestermusik zerreißt die Stille im riesigen Ausstellungsraum. Der Schalldruck lässt den dunkel gebeizten Schrank, der einen imposanten Horntrichter birgt, förmlich explodieren. Wir sind in Südkorea. Im größten Grammophon-Museum der Welt.

Edison Museum
Die grammophonen Kostbarkeiten präsentieren sich hinter Glas, dicht gedrängt – und spielbereit

Die ganze Geschichte ist so unwahrscheinlich, als handelte sie von einem Kuckucksuhren-Museum in Havanna. Aber es ist wahr: Das „Chamsori Gramophone & Edison Museum“ in Gangneung (ungefähre Aussprache: GANGnöng) an der Ostküste Südkoreas, gut 230 Kilometer von der Hauptstadt Seoul entfernt, gegründet 1992 vom Bauunternehmer Sung-Mok Son, beherbergt mit über 4500 Grammophonen und 2000 Edison-Erfindungen die größte Sammlung ihrer Art. Größer als jene der drei Edison-Museen in der US-amerikanischen Heimat des Erfinders.

Herr Kim, seines Zeichens Deputy General Manager des Museums, führt durch die Räume, kurbelt hie und da an weiteren anhörenswerten Grammophonen (97 Prozent des Bestands seien in spielbereitem Zustand, heißt es) und erzählt in Vertretung seines Chefs, den seine Sammelleidenschaft gerade wieder durch die Welt treibt, wie alles anfing.

Der im heutigen Nordkorea geborene Sung-Mok Son ist der Sohn eines Kaufhausbesitzers und dessen musikliebender Frau. Als er fünf Jahre alt ist, stirbt die Mutter. Um den Jungen zu trösten, schenkt ihm sein Vater ein Grammophon – ein japanisches Columbia G241 aus den 20er Jahren. Die Töne aus dem unscheinbaren Koffergerät helfen dem kleinen Sung-Mok über den schmerzhaften Verlust hinweg, hatte er doch bis dahin viel Zeit musikhörend vor dem Familiengrammophon oder singend mit seiner klavierspielenden Mutter verbracht. Nichts kann ihn fortan von seinem neuen Schatz trennen. Nicht einmal der bald darauf ausbrechende Koreakrieg, während dessen die Klänge von Sung-Moks Schellackplatten zahlreichen Flüchtlingen wohltuende Ablenkung vom Kriegsgeschehen bieten. Selbst die Ermahnung des Vaters, anstelle des zwölf Kilo schweren Grammophons doch lieber kostbare Lebensmittel zu tragen, fruchtet nichts. Nach dem Krieg finden weitere Grammophone in Sons Besitz, einige davon defekt, was zur intensiven Beschäftigung mit der Technik führt. Gerät um Gerät wird aus dem reinen Musikliebhaber auch ein Sammler.

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Große Lautsprecher, großer Raum, großer Klang: Die restaurierten Kinohörner klingen fantastisch

Eines Tages fällt Son erstmals ein Grammophon des (Mit-)Erfinders der Tonaufzeichnung Thomas Alva Edison in die Hände. Der Koreaner beginnt, sich näher mit dem Großerfinder aus New Jersey zu befassen. In kürzester Zeit verfällt er der Faszination des nimmermüden Genies Edisons und seiner 1093 Patente und beschließt mit koreanischer Gründlichkeit, ihm durch Sammeln nicht etwa nur seiner audiotechnischen Erfindungen, sondern des gesamten Oeuvres ein Denkmal zu setzen. Spätestens da ist der Weg zur Museumsgründung vorgezeichnet.

Seit 2006 residiert das Chamsori-Museum (der koreanische Name bedeutet „Der wahre Klang“) im eigens dafür errichteten, traumhaft an einem Seeufer in Meeresnähe gelegenen Gebäudekomplex. Den offiziellen Zahlen zufolge ist es ein Publikumsmagnet: Eine halbe Million Besucher kommen jedes Jahr hierher, Schulklassen auf Pflichtbesuch ebenso wie Prominenz aus Politik und Entertainment.

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Hat irgendwie auch mit dem Grammophone zu tun: eine Lochplatten-Spieldose aus der Schweiz

Drinnen erwartet sie eine Sammlung, die es in sich hat. Nicht nur die Menge, auch die Vielfalt ist erschlagend. Hunderte Fotokameras glänzen in übermannshohen, dicht gepackten Vitrinen im Eingangsbereich. Große 32-mm-Filmkameras weisen darauf hin, dass hier ein befreundeter Schauspieler seine entsprechende Sammlung zwischengelagert hat – auf dem Nachbargrundstück sind schon die Arbeiten am Rohbau für ein eigenes Filmmuseum in vollem Gange. Blechspielzeug und Puppen sind zu finden. Und noch viel mehr, was alt und rar ist und weder mit Musikwiedergabe noch mit Edison zu tun hat. Oldtimer etwa. Eine Ritterrüstung. Amerikanische Vintage-Kühlschränke. Vintage-Kühlschränke! Was für ein phantastisches Sammelsurium.

Sammeln ist Herrn Sons Leben. Das Leben hätte es ihn auch fast gekostet. Einmal wurde er auf dem Weg zu einer Auktion überfallen, er entkam mit einer Schussverletzung in der Schulter. Den Besitzer des von Son begehrten Geräts, einer einzigartigen Tonwalzen-Jukebox, rührte dessen Schicksal so sehr, dass er ihm das Gerät später verkaufte.

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Aus den 60er Jahren stammt dieser Edison Voicewriter. Das Diktiergerät zeichnet auf Lackfolie auf

Der Museumsrundgang endet nach dem Durchschreiten thematisch geordneter Abteilungen – von der Spieluhr zum Grammophon, Walzen-Phonographen, Elektrizität im Allgemeinen und die Glühbirne im Speziellen, die Anfänge von Radio und Fernsehen – in einem Hörraum von den Dimensionen eines mittelgroßen Kinosaals. Vintage-Kinobeschallung ist angesagt, namentlich frühe Horn-Designs von James B. Lansing für Ampex. Die Quelle ist ein Denon-CD-Player, die Verstärkung übernimmt moderne McIntosh-Elektronik. Anlage und Raum harmonieren perfekt, die riesigen Hornlautsprecher projizieren, aus angemessen respektvoller Distanz genossen, gänsehauterregend plastisches akustisches Cinemascope. Ein würdiger Abschluss.

Mit im Saal sind die letzten Museumsbesucher des Tages, eine koreanische Familie mit kleinen Kindern. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Vermutlich ist das der letzte Programmpunkt vor einem opulenten Meeresfrüchte-Mahl in einem der nahegelegenen Ausflugslokale an der Seepromenade. Wow. Wenn die wüssten, was sie hier verpassen.

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Funktioniert perfekt: ein elektrisch betriebenes Grammophon mit fernbedienbarer Wechslermechanik

 

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