Jack Lancaster & Robin Lumley – Peter And The Wolf
Rock-Versionen von klassischer Musik wirkten in den 1970er Jahren nicht peinlich.
Emerson Lake & Palmer verrockten damals Mussorgskys Bilder einer Ausstellung, Beggars Opera verarbeiteten Ouvertüren von Suppè, Ekseption spielten den Kopfsatz von Beethovens Fünfter und Deep Purple das Allegretto aus Beethovens Siebenter. Solche Bearbeitungen schlugen wichtige Brücken zwischen den Genres, den sozialen Milieus und den Generationen. Der Rockmusik verschafften sie breitere Anerkennung, dem jungen Publikum einen ersten Zugang zur Klassik.
Die britischen Musiker Jack Lancaster (Saxofon) und Robin Lumley (Keyboards) arbeiteten gut als Team. 1974 bekamen die beiden den Auftrag, für eine geplante Verfilmung von Prokofjews Musikmärchen Peter und der Wolf einen modernen Soundtrack zu produzieren. Als sich das Filmvorhaben zerschlug, waren sie nicht besonders traurig, denn nun hatten sie freie Hand bei der Musik. „Für mich war das Album ohnehin das Wichtigste bei diesem Projekt“, sagte Lancaster. Das Label RSO (das ein paar Jahre später mit den Discohits der Bee Gees reich werden sollte) unterstützte die beiden vorbehaltlos. Das Budget erlaubte, dass in den Trident Studios ein Who’s who der progressiven Londoner Rockszene zusammenkam – Musiker aus Formationen wie Colosseum, Genesis, King Crimson, Procol Harum, Ten Years After, Thin Lizzy oder Yes. „Wir haben alle Teilnehmer sehr mit Bedacht ausgewählt“ (Lancaster).
Von Prokofjews musikalischen Themen haben Lancaster und Lumley nur die geeignetsten verwendet. Pete Haywood spielt das „Peter“-Thema auf der Steelguitar, Stéphane Grappelli improvisiert über das „Katze“-Thema auf der Violine, Brian Eno lässt das „Wolf“-Thema am Synthesizer bedrohlich knurren. Auf der Wah-Wah-Gitarre porträtiert Gary Moore die quakende „Ente“ – dabei erklingt Prokofjews „Ente“-Motiv aber erst im letzten Wah-Wah-Stück („Duck Escape“). Zwei Drittel der Tracks kommen ganz ohne Prokofjews Themen aus: „Die neuen Stücke wurden im Aufnahmestudio entwickelt“, verriet Lancaster. „Vieles verdankte sich dem Improvisationstalent der beteiligten Musiker.“
Die Kernband auf dem Album ist das Jazzrock-Quartett Brand X, das kurz danach (im Herbst 1975) sein Debütalbum machen sollte. Prominentestes Mitglied bei Brand X war Phil Collins, der Drummer von Genesis. Weil Collins’ Stammband nach dem Abgang von Peter Gabriel gerade „in den Seilen“ hing, hatte er Zeit, sich bei Brand X zu engagieren. In den Grooves auf Peter And The Wolf gibt es so manchen Genesis-Moment.
Aufnahme: 1975
Veröffentlichung: 1975
Label: RSO
Produktion: Lancaster, Lumley, Mackay
Titel
A
- Introduction 1:05
- Peter’s Theme 2:10
- Bird And Peter 0:38
- Duck Theme 1:00
- Pond 0:46
- Duck And Bird 2:11
- Cat Dance 2:37
- Cat And Duck 1:32
- Grandfather 3:04
- Cat 0:34
- Wolf 0:46
- Wolf And Duck 3:46
B
- Threnody For A Duck 1:51
- Wolf Stalks 0:57
- Cat In A Tree 2:13
- Peter’s Chase 1:45
- Capture Of Wolf 1:27
- Hunters 0.58
- Rock And Roll Celebration 2:38
- Duck Escape 1:11
- Final Theme 5:07
Musiker
Jack Lancaster – Holzblasinstrumente, Violine
Robin Lumley – Keyboards
John Goodsall – Gitarre
Percy Jones – Bass
Phil Collins – Schlagzeug, Vibrafon, Percussion
&
Gary Brooker, Bill Bruford, Brian Eno, Stéphane Grappelli, Jon Hiseman, Alvin Lee, Manfred Mann, Gary Moore, Cozy Powell, Chris Spedding, Julie Tippett, Keith Tippett u. a.
- Groß ist die musikalische Palette: Sie reicht von Country, Blues und Soul über Progrock und Jazzrock bis hin zu Funk, Swing und Free Jazz. Obwohl vier Star-Drummer beteiligt sind, gibt es auch viele Stücke ganz ohne Schlagzeug.
- Prokofjew schrieb sein Musikmärchen Peter und der Wolf 1936 bei seiner Rückkehr in die Sowjetunion. Es war ein Auftrag des Moskauer Kindertheaters – den Erzähltext verfasste der Komponist selbst. Ganz linientreu erklärte Prokofjew sein Werk damals zu einer Parabel auf den Sieg des Sozialismus (Peter) über den Faschismus (der Wolf).
- Die Dynamik erreicht Höhepunkte, wenn Katze und Ente streiten („Cat And Duck“) oder wenn der Wolf die Ente jagt („Wolf And Duck“). In beiden Stücken kommt es zu wilden Jams: Henry Lowther vs. Gary Moore – bzw. Brian Eno vs. Chris Spedding.
- Einige besondere Momente bieten der Trauerchor für die Ente („Threnody“), die musikalische Darstellung des Teichs mit Klavier, Vibrafon und Chimes („Pond“) und die Marschparade der Jäger mit vier Trommlern und mehreren Bläsern („Hunters“).
- Ein ganz unerwarteter Mitspieler ist der Jazzgeiger Stéphane Grappelli (1908–1997). Er lässt die „Katze“ swingen („Cat Dance“, „Cat“) und widmet ihr auch eine freie Soloimprovisation („Cat In A Tree“). Seine Mitwirkung war der Wunsch von Jack Lancaster: „Grappelli hatte einen enormen Einfluss auf mich. Die Violine war mein erstes Instrument.“ An weiteren „kätzischen“ Stellen übernehmen Lancaster selbst oder Henry Lowther den Violinpart.
- Der Erzähler zwischen den Stücken ist der Sänger Viv Stanshall (1943–1995), bekannt auch als „Announcer“ auf Mike Oldfields Tubular Bells. Für den internationalen Markt entstanden weitere Versionen in vier Sprachen. Die deutsche Fassung spricht der Moderator und Sänger Wilken F. Dincklage (Rentnerband, Otto-Filme).
- Das Plattencover und das zwölfseitige Beiheft (im Stil eines Kinderbilderbuchs) verraten Geschmack. Eine spätere Neuedition unterm Titel The Rock Peter And The Wolf verwendet ein anderes Artwork.
- Der einzig schwache Moment des Albums kommt am Schluss. Das „Final Theme“ enthält einen übertrieben hymnischen, souligen Lobgesang („Peter is a hero, Peter is a brave one“).
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