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40 Jahre Pet Shop Boys

40 Jahre Pet Shop Boys

Die Eleganz des Widerstands

40 Jahre Pet Shop Boys

Vier Jahrzehnte Popmusik mit Haltung, Ironie und Intelligenz.

40 Jahre Pet Shop Boys

Als 1985 das Debütalbum Please erschien, klangen die Pet Shop Boys wie ein eleganter Gegenentwurf zum Rock-Machismus und zum sich totlaufenden Synthie-Wave. Vierzig Jahre später ist klar: Neil Tennant und Chris Lowe haben weit mehr als nur einen unverwechselbaren Sound geschaffen. Sie haben Popmusik als postmoderne Kunstform ernst genommen – als ein Spiel mit Identitäten, Bedeutungen und Codes. Und sie haben bewiesen, dass Tanzmusik sehr wohl ein Ort für Haltung, Nachdenklichkeit und leisen Widerstand sein kann.

Kühle Romantik, bittere Ironie und der Beat der Gegenwart

Die Pet Shop Boys entwarfen von Beginn an eine Ästhetik der Distanz. Ihre Musik war nie direkt, nie eindeutig, nie bequem: „West End Girls“ inszenierte Klassenspannung als Großstadtmärchen, „It’s A Sin“ verwandelte katholische Schuld in queeren Zorn, „Being Boring“ machte aus Trauer über AIDS ein subtiles Manifest der Freundschaft. Fast jeder ihrer Songs trägt doppelte Böden: sentimentale Melodien konterkariert von sarkastischen Texten, Euphorie trifft auf resignierte Selbstbeobachtung, Disco auf Dekonstruktion.

40 Jahre Pet Shop Boys

Der Sound? Präzise produziert, aber nie steril. Synthesizer so klar und sorgfältig geschichtet, dass sie fast architektonisch wirken. Die Rhythmik: oft minimalistisch, aber nie leer. Und über allem Tennants Stimme – sprechend, singend, ironisierend – eine Art intellektuelles Erzählen im Gewand eines Popsongs.

Postmoderne auf dem Dancefloor

Die Pet Shop Boys sind tief verwurzelt im Denken der Postmoderne: Ironie statt Pathos, Zitat statt Authentizitätskult, Rolle statt Bekenntnis. Man vergleiche hierzu einmal ihr Cover des U2-Klassikers „Where The Streets Have No Name“ – kein existenziell geröcheltes Welterlösungspathos à la Bono, sondern Ironie und Vergnügen im Sinne Umberto Ecos. Ihre Videos, Bühnenshows und Albumcover sind durchinszeniert, kunstbewusst, oft bewusst artifiziell. Sie verweigern sich dem Mythos des „echten Musikers“ und präsentieren sich als Projektionsfläche: mal androgyner Dandy, mal glamouröser Melancholiker, mal Bürokraten des Pop. In Songs wie „Can You Forgive Her?“, „Minimal“ oder „I’m With Stupid“ trifft Politik auf Pop auf Pop-Art. Thatcher, Blair, Putin, Überwachung, Celebrity-Kultur, Krieg – alles wird aufgenommen, gespiegelt, transformiert. Ohne didaktisch zu werden. Die Pet Shop Boys erklären nichts, sie zeigen. Und sie geben ihren Hörern die Freiheit, selbst zu deuten.

40 Jahre Pet Shop Boys

Kompositorische Präzision mit emotionalem Kern und Rhythmus als Subtext

Tennant und Lowe beherrschen die Kunst der Reduktion. Ihre Melodien – ob in „Being Boring“ oder „Rent“ – sind oft schlicht, fast hymnisch, aber nie banal. Statt ausuferndem Harmoniewechsel sind ihre Stilmittel Wiederholung, Andeutungen und subtile Modulation. Im Zentrum steht der Groove – meist synthetisch, aber mit klarer Handschrift. Früh setzten die Pet Shop Boys auf Maschinen wie die Roland TR-808/909, die ihnen die kontrollierte Kälte lieferten, mit der sich Disziplin und Drama gleichermaßen inszenieren lassen. Ihre Beats sind nie nur zum Tanzen da – sie transportieren einen untergründigen Ernst, der sich mit hedonistischem Glanz überzieht. In Tracks wie „Left To My Own Devices“ oder „So Hard“ entsteht daraus ein Spannungsverhältnis zwischen Euphorie und Einsamkeit. Ob ein Roland Jupiter-8 oder ein Oberheim OB-8, bei Chris Lowe lieferten die Geräte von Beginn an keine Sounds von der Stange, sondern wurden in Schichten kombiniert: weiche Pads, glasige Leads, druckvolle Basslines. Typisch ist das Spiel mit Kontrasten. Und auch hier wieder diese postmoderne Haltung: Alles darf zitiert werden. Der House-Beat aus Chicago, der Orchester-Hit aus dem Emulator, der Acid-Bass aus der TB-303. Doch nie als Retro-Geste, sondern immer als Teil eines größeren, ästhetischen Konzepts.

40 Jahre Pet Shop Boys

Eine Show aus Queerness, Konzept und Kostüm

Wer sie einmal live gesehen hat, weiß: Das ist kein Konzert, das ist quasi eine Pop-Oper. Die Pet Shop Boys verwandeln ihre Bühnen in bewegte Kunstinstallationen. Kostüme, Projektionen – alles ist Teil eines Konzepts. Es gibt Hüte, Helme, Zylinder, LED-Masken, übergroße Jacken. Mal futuristisch, mal kabarettesk, mal absurd. Die Grenze zwischen Camp, Couture und Konzeptkunst wird bewusst verwischt. Dabei haben sie nie vergessen, was Bühne auch bedeutet: Sichtbarkeit. Queere Sichtbarkeit! Sie umgeben sich mit queeren Menschen auf der Bühne – ganz selbstverständlich, ohne Pride-Kitsch oder pink gewaschenes Branding. Die Pet Shop Boys zeigen, wie queere Kultur mit Stil, Witz und Substanz auf große Bühnen gehört.

Politisch stabil

2025 widmeten sie Alexei Nawalny den Track „Hymn“ („In memoriam Alexei Navalny“). Die Vertonung von Zitaten des ermordeten Oppositionellen ist eine stille, melancholische, aber entschlossene Geste. Dass sie die Single auch als Clubmix veröffentlichten, ist kein Widerspruch: Der Dancefloor war für sie immer auch ein Ort der Reflexion. Auch die Unterstützung der Woman-Life-Freedom-Bewegung im Iran war kein Einzelfall. Schon 2006 widmeten sie ihr Album Fundamental zwei im Iran hingerichteten Jugendlichen, die wegen Homosexualität verurteilt wurden – ein kaum beachteter, aber umso bedeutenderer Akt queerer Solidarität. Und wenn sie trotz Boykottaufrufen immer wieder in Israel auftreten, verteidigen sie ihr Engagement mit Klarheit: Israel sei kein Apartheidstaat, und wer für Freiheit eintrete, müsse auch dort präsent sein, wo Widersprüche existieren. Ihre Antwort auf kulturellen Opportunismus: Differenzierung statt Empörung.

40 Jahre Pet Shop Boys

Pop forever

Die Pet Shop Boys haben Popmusik nicht nur gemacht – sie haben sie weitergedacht. Sie haben gezeigt, dass Pop ein Medium sein kann, das Leichtigkeit und Ernst, Politik und Ästhetik, Gefühl und Gedanke in sich vereint. Sie sind eine Ausnahme in einer Branche, die zu oft auf Authentizitätssehnsüchte und kalkulierte Aufreger setzt. 40 Jahre Pet Shop Boys heißt auch: 40 Jahre kluge Songs über das Leben im Spätkapitalismus, über das Begehren im Schatten von Normen, über die Schönheit der Oberfläche und die Tiefe dahinter. Sie haben uns beigebracht, dass man tanzen und trotzdem denken kann.

40 Jahre Pet Shop Boys

www.petshopboys.co.uk

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