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Johanna Martzy
Johanna Martzy, Ferenc Fricsay, Jean Antonietti - Portrait audite, 2015

FIDELITY Feedback: Feuer für alle

FIDELITY Feedback: Feuer für alle

Achtung: Moderne, behutsam digital aufbereitete (Wieder)Auflagen historisch bedeutender Klassik-Aufnahmen können zu unerwarteten Freudensprüngen führen.

Originale Tonträger aus den 1950er Jahren mit dem Spiel der ungarischen Geigenvirtuosin Johanna Martzy (1924–1979) gehören zum Begehrtesten, was an klassischem Vintage-Vinyl (nicht) zu finden ist. Selbst Reissues der raren, da nur kurz auf dem Markt befindlichen Original-LPs, wie sie in jüngerer Zeit die Spezialunternehmungen Electric Recording Company und Coup d’Archet auf den gierig danach lechzenden Markt gebracht haben, sind schon Sammlerstücke. Dagegen wirkt die jüngste Doppel-CD aus der Reihe historischer Wiederauflagen des Labels audite geradezu wie ein demokratisierender Gegenentwurf. Ganz ohne Legenden-Geraune und Limitierung bringt hier das Label mit dem guten Draht zum RIAS-Archiv eine Doppel-CD, die es in sich hat – klanglich wie musikalisch.

Audite hat exklusiv originale Masterbänder des RIAS (Vorläufer des heutigen Deutschlandradio Kultur) lizenziert. Auch wenn Teile des Repertoires anderweitig schon auf LP veröffentlicht worden sind – etwa das Violinkonzert von Antonín Dvořák mit dem RIAS-Symphonieorchester unter Ferenc Fricsay –, so entstammen die vorliegenden Aufzeichnungen anderen Aufnahmesitzungen. Der Booklet-Text beschreibt speziell die Umstände der Dvořák-Aufnahme ausführlich und bietet damit spannenden Lesestoff.

Johanna Martzy
Johanna Martzy, Ferenc Fricsay, Jean Antonietti – Portrait
audite, 2015

Dvořák als Anfang von CD Nr. 1 ist ein derart fulminanter Einstieg, dass man sich ernsthaft fragen muss, wie um Himmels Willen diese Solistin, die das versammelte RIAS-Symphonieorchester vor sich hertreibt wie der Wolf die Schafherde, so gänzlich in Vergessenheit geraten konnte. Johanna Martzy stand im Alter von 29 Jahren unüberhörbar auf dem Höhepunkt ihrer Fähigkeiten. Da ist kein Zögern und kein Zagen, es gibt nur eine Richtung, und die heißt „Vorwärts!“, und Martzys Landsmann Fricsay am Dirigentenpult tat gut daran, dem Willen der Solistin den Weg freizuräumen. Die darüber hinaus klanglich hervorragend erhaltene Aufzeichnung aus der Christus-Kirche in Berlin-Dahlem setzt dem Ganzen das Sahnehäubchen auf.

Mit dem Pianisten Jean Antonietti bildete Johanna Martzy lange Jahre ein erfolgreiches Duo. Im übermächtigen Schatten des soeben verklungenen romantischen Virtuosen-Vehikels hat dieser Teil der audite-CDs einen schweren Stand. Martzys dominanter, immer spannungsgeladener Zugriff auf die nur wenige Minuten langen Stimmungsstücke etwa von Kreisler, Fiocco oder Ravel wirkt dann doch altmodisch. Heute geigt man das charmanter. Bei den Sonaten von Vivaldi/Respighi und Händel vermisst man erwartungsgemäß einen variableren Umgang mit dem Vibrato. Interessanter, da charakterstark, dagegen die Brahms-Sonate Nr. 1, deren sehnsüchtigem Ton sich die Ungarin nah zu fühlen schien.

Ein weiterer echter Höhepunkt aber ist die erste Solosonate für Violine g-moll, BWV 1001, von J. S. Bach, die die zweite CD eröffnet. Ja, es ist Barock, und ja, Martzy ist nicht wirklich historisch informiert, aber: Was für ein Feuer! Kein Wunder, dass eine Bach-Einspielung für das Columbia-Label Martzys Legendenstatus bei Plattensammlern mitbegründet hat.

Johanna Martzy in ausgesprochen feiner Klangqualität, mit teils überragenden Interpretationen, zum normalen CD-Tarif – worauf warten Sie noch?

 

 

 

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