Ein Kult des Todes – Aufnahmen aus der Zeit des Symbolismus
Es gab um 1900 eine ehrfürchtige Verehrung des Todes – in der Malerei, aber auch in der Musik. Drei Aufnahmen todeskultiger Werke aus der Zeit des Symbolismus.
In München entstand einst der erste deutsche Waldfriedhof. Zwischen 1905 und 1907 wurden in einem vormaligen Hochwaldforst im Südwesten der Stadt „hainartige Grabfelder“ angelegt. Der Komponist Max Reger wurde dort beigesetzt (1916), der Dichter Frank Wedekind (1918). Unter dunklen Nadelbäumen errichtete man vorwiegend ernste, massive, antikisierende Grabmäler – viel gehauener Stein, Fries und Säule, Relief und Figur. Da waren keine christlichen Symbole zu sehen, keine Zeichen von Hoffnung oder Trost. Der Tod – er war der Abgrund, das Letztgültige, Äußerste, Unhinterfragbare.
Auch in der Malerei – im Symbolismus, Expressionismus, Jugendstil – liebte man damals den Abgrund: dämonische Figuren, düstere Szenen, finstere Zypressen, unheimliche Grotten, Ruinen und Höhlen – und überhaupt die Farbe Schwarz. In dieser Epoche von Fin de siècle und Décadence hatten Visionen und Halluzinationen, Schauergeschichten und Spiritismus geradezu Hochkonjunktur. Das beliebteste Gemälde der Zeit war Arnold Böcklins „Die Toteninsel“ – es zeigt eine schroffe, felsige Insel mit Trauerzypressen, auf die ein Boot mit einem Leichnam zusteuert. Der Maler musste davon gleich fünf Versionen anfertigen, zwischen 1890 und 1913. Eine davon besaß Kaiser Wilhelm II., eine andere später Adolf Hitler – zwei der größten Todbringer des 20. Jahrhunderts. Ein weiteres populäres Bild war Eugen Brachts „Gestade der Vergessenheit“, eine trostlose, todeinsame Küste – Bracht hat sie gleich acht Mal gemalt (1888–1916). Der Kaiser hängte das Bild übrigens direkt neben die „Toteninsel“.
Etliche Komponisten, darunter Max Reger und Karl Weigl, wurden von Böcklins schaurig-schönem Gemälde „Die Toteninsel“ inspiriert. Auch Sergej Rachmaninow (1873–1943) begegnete dem Bild 1907 in Paris (allerdings nur als Schwarz-Weiß-Fotografie) – und prompt komponierte er zwei Jahre später eine Sinfonische Dichtung zur „Toteninsel“ (op. 29).
Dunkel, bedrückend, aufwühlend beginnt der erste Satz, eine Art Trauerzug mit Wellengang. Die Bootsüberführung des Leichnams erfolgt im ungewohnten 5/8-Takt. Dann baut sich die Insel vor uns auf – zwei große Crescendi mit anwachsenden Klangmassen. Der Schrecken des Endgültigen dröhnt in dieser Musik, das „Dies irae“ der Totenmesse, der Abstieg ins Reich der Dunkelheit – während der Fährmann mit seinem Boot zurückkehrt ans Festland. Russische Musik wie diese ist die Spezialität der Bergener Philharmoniker unter Andrew Litton (The Isle Of The Dead, BIS, 2012).
Die Sinfonien von Gustav Mahler (1860–1911) sind voller dunkel-dramatischer Trauermärsche und schriller, als Scherzo getarnter Totentänze. 1888 schrieb er ein Orchesterstück, das er Todtenfeier nannte – es war inspiriert von einer intensiven Vision seines eigenen Ablebens, die ihn plötzlich überfallen hatte. „Was ist dieses Leben – und dieser Tod?“, fragte Mahler. „Ist dies alles nur ein wüster Traum – oder hat dieses Leben und dieser Tod einen Sinn?“
Hans von Bülow, der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, hielt sich die Ohren zu, als Mahler ihm das Stück vorspielte, diesen großen Trauermarsch mit seinen dramatischen, drängenden Zwischenspielen. Mahler machte das Stück dann zum ersten Satz seiner Zweiten Sinfonie – und ausgerechnet Bülows eigene Totenfeier 1894 inspirierte ihn zum Finalsatz, einer Apokalypse in Tönen: „Ein furchtbares Beben geht über die Erde, die Gräber springen auf.“ Immerhin folgt dann noch die Auferstehung – bei Mahler allerdings (trotz Klopstocks frommem Text) eine eher spiritistische Vision. Noch immer berühmt ist die prädigitale Abbado-Aufnahme mit dem Chicago Symphony Orchestra (Symphonie No. 2, DG, 1977).
In der Frühromantik bereits ging es häufig um den Tod. Doch damals war der Tod noch etwas Individuelles, ein Liedthema wie in Schuberts Der Tod und das Mädchen oder Der Jüngling und der Tod. Musik über den Tod als „Abgrund an sich“ schien da eher abwegig. Liszts Totentanz, den er 1849 geschrieben hatte, wurde erst 1880 plötzlich populär. Diesen Übergang in die todverliebte Spätromantik markiert auch die Danse macabre von Camille Saint-Saëns (1835–1921).
Als romantisches Lied für Stimme und Klavier war das Stück nicht erfolgreich. Aber als wilder Totentanz für Teufelsvioline und Orchester eroberte es ab 1874 dann die Welt. Hörenswert: die Aufnahme zum 100. Todestag des Komponisten mit dem Sinfonieorchester Basel unter Ivor Bolton (Symphonic Poems, Prospero, 2022).





