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Moon Evolution 700i

Test Moon Evolution 700i Vollverstärker

Moon Evolution 700i – VollverstärkerEverything’s bigger in Canada

Stichworte „High End” und „Kanada”? Da fällt mir immer zuerst „groß” und „stark” ein. Ganz ähnlich wie bei den einschlägigen US-Gerätschaften – nur mit weniger „Blingbling”.

Moon Evolution 700i

Oh ja, prima: ein großer Vollverstärker. Aus Kanada. Von Moon. Ich mag große Vollverstärker, ich mag Kanada, und ich mag Moon. Denn alles, was mir bisher mit dem Moon-Logo über den HiFi-Weg gelaufen ist, hatte diesen ganz bestimmten, leicht herben Charme von unaufgeregtem Handwerk und professioneller Könnerschaft. Sie wissen, was ich meine? Eben nicht „shiny“ mit zig Lämpchen und glänzenden Chromringen drumherum, und auch nicht das große „Booaah!“ mit immer noch größeren Gehäusen/Knöpfen/Elkos/Silikonbrüsten, wie es vor allem die Amis … – Verzeihung: wie es vor allem die US-Amerikaner draufhaben. Andererseits sind Kanadier auch nicht gerade als selbstverliebte Designfreaks bekannt, wie wir’s von gewissen Italienern oder auch Franzosen kennen. Moon? Das ist weder Harley-Davidson noch Ferrari fürs Wohnzimmer. Moon ist einfach für dich da und hilft dir weiter, ohne große Shows oder Eitelkeiten. Im konkreten Fall ist das schlicht Musikhören – auf extrem hohem Niveau. Das Problem daran? Die ganz normale Perfektion fällt nicht auf. Des-wegen hat Moon seiner „Evolution“-Serie ein paar markante Details spendiert, die sich dann doch ein wenig absetzen vom herkömmlichen HiFi-Look. So besitzt der speziell gefräste Gerätedeckel einen dickeren Mittelteil, in dem eine bierdeckelgroße Aluplatte mit Firmenlogo und Schriftzug eingearbeitet ist. Das sieht fast schon nach „Vorab- Tuning“ aus. Wer braucht da noch einen Shakti-Stone oder Ähnliches? Auch an den Seiten gibt’s etwas zu entdecken: Höhenverstellbare, abgeflachte Schraubkonusse stecken in bauchig gerundeten Alu-Dreiecksprofilen, selbst die horizontal verstrebten Kühlkörper bieten dem Auge eine taillierte Abwechslung. Letztlich aber wirkt der Evolution 700i wie ein klassischer Amp. Als klassisch empfinde ich den dicken Moon in erster Linie deswegen, weil er ziemlich vielen Schnickschnack nicht zu bieten hat. Er ist von seiner Funktion her ein geradeaus konstruierter Stereo- Vollverstärker, kein selbst ernanntes Multitalent der Neuzeit. So besitzt er keine D/A-Wandlerplatine (dafür gibt’s externe DACs, zum Beispiel von Moon), kein Phonoboard (dafür gibt’s externe Phonoentzerrer, zum Beispiel von Moon), und er ist auch frei von drahtlosen Empfangsmodulen (dafür gibt’s Devialet, zum Beispiel). Nicht, dass ich persönlich etwas gegen derlei Ausstattung hätte, aber ein klassischer Line-Vollverstärker trägt so etwas einfach nicht.

Was ein ordentlicher Amp dieses Kalibers – im­merhin bewegen wir uns schon in knapp fünfstelli­ger Preisregion – stattdessen bieten sollte, sind 1a-Bauteile und allerbeste Messwerte, eine erkennbare Liebe zum minutiösen Detail sowie einen tadellosen Maßanzug. Stabile Power ohne Ende ist natürlich Pflicht, schließlich tritt man in dieser Liga üblicher­weise gegen Einzelbausteine an, und nicht gegen die schwächsten. Mit all diesen Forderungen hat der Moon 700i überhaupt kein Problem.
Angenehme Features – ideal für Kurzsichtige und Im-Dunkeln-Hörer wie mich – sind der sahnig laufende, superfein zu dosierende Laustärkeregler sowie das große, dimm- und abschaltbare Punkt-matrix-Display. Nicht weniger als 530 Schritte des Volume-Reglers reichen für wirklich jedes nur denkbare Umfeld aus, von der intimen Hintergrund­berieselung bis zum Dubstep-Inferno – und dabei ist völlig egal, welcher Schallwandler an den Klemmen hängt. Dazu gleich mehr. Für die Pegelregelung nutzt der 700i eine Moon-eigene Schaltung mit der leicht kryptischen Bezeichnung „M-eVOL2“. Sie „übersetzt“ die Befehle des Volume-Stellers für ein integriertes Widerstandsnetzwerk, das keine Klangverluste produzieren und extrem rauscharm arbeiten soll. Die Bedienung erfolgt intuitiv und quasi-analog: Wird nur zaghaft am großen Rad gedreht, geht’s – zumindest zwischen moderaten „30“ und Vollgas auf „80“ – in supersmoothen Zehntel-dB-Schritten hi­nauf oder hinab. Ist das zu langsam, beschleunigt man einfach die Drehung aus dem Handgelenk. Die Steuerung merkt’s und regelt nun mit zehnfachem Speed rauf oder runter.
Das haben Sie so oder so ähnlich möglicherweise schon mal bei Mark-Levinson-Gerätschaften gesehen? Ja, gewisse Ähn­lichkeiten gehen auch über die markante Bicolor-Ausführung des Testgerätes hinaus. Wer nun Eigenständigkeit demonstrie­ren oder den Moon in ein bestehendes Audiosystem integrieren möchte, das nur Schwarz oder Silber (ver)trägt, der ordert den Amp mit entsprechend einfarbiger Front. Am technischen Inhalt des 700i ändert das natürlich überhaupt nichts.

Die Rückseite mit den streng getrennten Anschlussfeldern für rechten und linken Kanal lässt es schon vermuten: Hier handelt es sich um einen komplett symmetrisch aufgebauten Verstärker. Unmittelbar nach der Netzbuchse und einem Extra-Netzteil für den „Standby“-Betrieb – der übrigens alle klangrelevanten Sek­toren des Amps weiterhin auf Sendung hält – ist konsequentes Doppelmono-Design angesagt. So machen sich beispielsweise zwei kapitale Ringkerntrafos im vorderen Teil des Amps breit. An den Seiten bemühen sich jeweils ein halbes Dutzend speziell für Moon angefertigte Leistungstransistoren, die Kühlrippen ihrer Bestimmung zuzuführen. Bis etwa fünf Watt Ausgangsleistung läuft der 700i dabei im Class-A-Betrieb, was ihn im Leerlauf, aber auch im halbwegs zivilisierten Betrieb zu einem nur lauwarmen Zimmergenossen macht. Wer den Amp als superb klingenden Heizungsersatz fehlverwenden und spürbar temperieren will, muss entweder sinistre Hintergedanken hegen oder mit Lautsprechern gesegnet sein, die ihren Namen nicht wirklich verdienen. Meine kleinen KEF LS 50 beispielsweise, die ich zunächst nur zum Einspielen des nagelneuen Moon benutze, danach aber auch noch zu neuen Höchstleistungen treiben will, kitzeln den kanadischen Kraftbolzen kaum. Selbst bei Dauerpegeln kurz vor dem Membrantod der Engländerin bleibt er völlig entspannt und halbwegs cool. Und genauso klingt er dann auch. Solche Souveränität, die nur ein wahrer Muscle-Amp bieten kann, birgt jedoch die Gefahr, „mal eben mit links“ die sprichwörtliche Sau rauszulassen, die Grenzen auszuloten. Nun, der Amp wird dann schlicht einmal tief durchatmen und dem armen Zwerg im Zweifelsfall das Lebenslicht aus-pusten. Also aufpassen! Ich werde drauf verzichten. Die enorme Potenz und Durchzugskraft des Edel-Amps offenbart sich zweifellos schon an den kapriziösen Mini-Monitoren von KEF, doch eigentlich hat der Siebenhunderter adäquatere Spielpartner verdient. An meinen bewährten Stereofone Dura beispielsweise zeigt sich, dass seine klangliche Abstimmung fürs echte Langzeithören ausgelegt ist. Während er die Basslagen tatsächlich mit geradezu schraubstockartiger Kontrolle zu einer knackigen, dabei tief hinabreichenden und sehr schön durchhörbaren Gangart verpflichtet, soll er laut Hersteller mit zunehmender Frequenz die Zügel immer lockerer lassen. Das bedeutet aber keineswegs, dass es sich hier um einen „nach oben raus“ irgendwie nachgiebigen Schönklinger handelt – ganz im Gegenteil. Auch an der superb auflösenden, unmissverständlich direkten Piega Coax 120.2 mit ihrem Koaxial-Bändchen für Mittel- und Hochtonlagen bietet der 700i ein vergleichbares Bild. Er spannt einen großen Raum auf, kein aufgeblasenes Zirkuszelt. Alle, wirklich alle Details bis hinauf ins Atmosphärische sind ins farbstarke Klangbild bestens integriert, aber er streicht die De­tails nicht auch noch mit Leuchtfarben an. Gut so!

Übrigens zeigt sich auch an der anspruchsvol­len Piega mit ihrer konventionellen Doppelbass-Bestückung die besondere Qualität dieses Moon-Rakers: Zurückzucken ist seine Sache nicht – volle Kontrolle ist angesagt! Ohne mit der Wimper zu zucken schaufelt der Kanadier blitzartig enorme Leistungen an die Schweizerin und erzeugt mühelos den Eindruck von „Originalpegel“. Wer will, kann damit spontan eine High-End-Party feiern. Oder doch besser Lounge-Musik laufen lassen? Wie auch immer: Der Doppelmono-Doppelmoppel – und daran lässt sich seine wahre Größe erst richtig festmachen – transportiert auch komplexe Pianissimo-Passagen oder betont sanften Clubjazz mit reichlich Luft, mit innerer Spannung und Verve. Er findet jeden roten Faden in der Musik sofort, und zwar vollkommen unabhängig von den äußeren Umständen. Ein unbe­irrbarer Könner seines Fachs, das steht fest.
Im Sinne eines relaxten Hörvergnügens macht Moon für die mitreißende Spielweise seines Vollver­stärker-Flaggschiffs auch den bewussten Verzicht auf eine Über-alles-Gegenkopplung verantwortlich. Wie auch immer diese angeblich gegenkopplungs­freie Schaltung in den einzelnen Verstärkerstufen ausgelegt ist – der 700i ist klanglich ein verdammt angenehmer, zugleich mitreißender Dauerläufer, der trotz aller Detailfreude und Durchhörbarkeit seine grizzlyhafte Kraft auch für eine herrlich substanzielle tonale Balance einsetzt. Dieser prächtige Kanadier ist kein Poser und auch kein Blender, sondern ein äußerst ansehnliches Werkzeug in absolut erstklas­siger Qualität. Für Schnäppchenjäger definitiv zu kostspielig, aber für Kenner ein Traum.

 

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