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Ortofon MC 30 Super II Classic

Test: Ortofon MC 30 Super II Classic

Ortofon MC 30 Super II Classic – Gutes von gestern!

Ortofon hat einige Klassiker aus seinem Programm neu aufgelegt. War früher wirklich alles besser?

Es gibt in Dortmund, meiner Heimatstadt, einen kleinen, illustren Stammtisch, bei dem sich Freunde der analogen Wiedergabe regelmäßig treffen. Einer der Teilnehmer schwärmte mir etwas von seinem neu erstandenen Tonabnehmersystem vor. Nun sind solche Gespräche ja nicht so selten. Ich glaube – ohne üble Nachrede zu betreiben – behaupten zu können, dass ich bei besagtem Herrn wirklich alles, aber auch wirklich alles, was gerade angesagt, vor allem aber gut und teuer ist, schon in seinem Besitz gesehen zu haben, seien es große Koetsus, Lyras, Dynavectoren, Zyxe, My Sonic Labs, Miajimas und natürlich auch „Ortoföner“. So weit, so gut – aber fast immer ist der Ausdruck „großes System“ auch immer ein Euphemismus für „ sehr teures System“. Nicht selten kratz(t)en die gerade Stürme der Begeisterung auslösenden Pretiosen schon verdächtig nahe an fünfstelligen Summen.

Diesmal jedoch nicht. Denn das System, um das es hier geht, kostet nicht einmal 1000 Euro, ist eigentlich ein ganz alter Bekannter und hört dazu noch auf den ein wenig prosaischen, beinahe schon langweiligen Namen „Ortofon MC 30 Super II“.

Ein Blick zurück

Man muss wohl kaum näher erläutern, dass Ortofon einer der ältesten, aber auch renommiertesten Hersteller für Audiotechnik ist. Die Anfänge der dänischen Firma fallen mit der Erfindung des Tonfilms zusammen. Und 95 Jahre nach Gründung der ursprünglichen Electrical Phon Film Company bietet man neben Tonabnehmern und Tonarmen auch verschiedene Ingenieursleistungen für Mikromechanik und Ähnliches an (siehe auch Reportage in FIDELITY Nr. 1, Ausgabe 3/2013).
Anfang der 1980er Jahre erreichte die Fertigung von Moving-Coil-Tonabnehmern einen ersten Höhepunkt, und Ortofon stellte mit dem MC 30 eines der teuersten (aber auch besten!) Systeme der Welt vor – ein Rekord, der freilich nicht lange Bestand hatte, wie man auch heute noch an der Preisentwicklung bei Komponenten für die analoge Wiedergabe sehen kann. Die MC-Baureihe wuchs im Laufe der folgenden Jahre zu einem recht unübersichtlichen Angebot an, das neben anderen Systemlinien (z. B. den altbewährten SPUs) zwei grundsätzlich verschiedene Baureihen beinhaltete: Supreme und Super. Die Supreme-Systeme hatten eine deutlich höhere Ausgangsspannung und waren vornehmlich für den japanischen Markt und dortige Hörgewohnheiten gedacht. (Kleine Anmerkung: Die Besonderheiten des asiatischen Marktes sind auch der Grund, warum das aktuelle Rondo Bronze in Japan „MC 30 Wood“ heißt.) Die Super-Serie mit ihrer geradlinigeren Abstimmung wurde hauptsächlich auf dem europäischen Markt angeboten und hat vor allem in Deutschland noch viele Freunde.
Obwohl mit der (preiswerteren) Rondo- und der (kostspieligeren) Cadenza-Reihe bereits ein weltweit unvergleichlich großes Sortiment bereitgestellt wird, lag der Gedanke nahe, die noch vorhandenen Generatoren und Gehäuse zu verwenden und noch ein letztes Mal Tonabnehmer nach „alter“ Ortofon-Bauart anzubieten. Allerdings ist die Stückzahl begrenzt, denn die Classic-Baureihe, in der die so entstandenen Tonabnehmer einsortiert werden, wird nicht generell neu aufgelegt. Deshalb schon mal an dieser Stelle ein Tipp: Wenn Sie beispielsweise an einem Supreme MC 10, MC 20, MC 30 oder eben am MC 30 Super II interessiert sind (und das sollten Sie sein!), dann müssen Sie jetzt zuschlagen.

Super Trouper

Das aktuelle MC 30 Super II wird in dem ebenso bekannten wie bewährten Aluminium-Gehäuse angeboten, das im konkreten Fall in dezentem Schwarz gehalten wird und eine goldene Stirn- und Top-Platte aufweist. Letztere ist sehr massiv und sorgt für eine feste Verbindung mit der Headshell. Zu meinem großen Bedauern hat diese Top-Platte aber leider keine Gewinde, welche die Montage erheblich vereinfachen würden. Das ist aber auch schon der einzige Kritikpunkt, den ich objektiv anbringen kann. Denn die ganze Konstruktion ist so qualitativ erstklassig wie zuverlässig und robust.
Schon mit plattenschonenden 18 mN tastet es 70 μm einwandfrei ab. Der „Super-Generator“ erzeugt bei einer Schnelle von 5 cm/s eine Ausgangsspannung von 0,2 mV, was zwar schon gewisse Ansprüche an die Qualität des Phono-Vorverstärkers stellt, aber heutzutage beileibe keine unlösbare (besser gesagt: unbezahlbare) Aufgabe mehr darstellt. Gute, neutrale und rauschfreie Verstärker gibt es glücklicherweise eine Menge, und weder die interne Phonostufe der Bryston 25 BPS noch des Phono- Vorverstärkers von Monk Audio machten durch Rauschen ungebührlich auf sich aufmerksam. Beide Geräte verwenden eingebaute Übertragerkapseln, und es darf daher angenommen werden, dass die Paarung MC 30 plus Übertrager (gegebenenfalls an nachfolgender Röhrenelektronik) eine gute Idee darstellt. Der Gesamtverstärkungsfaktor sollte aber mindestens 60 dB betragen.
Der Nadelträger des Tonabnehmers besteht aus einem konisch geformten Röhrchen aus gehärtetem Aluminium, an dessen Spitze sich Ortofons höchstwertiger Diamant – der Replicant 100 – befindet. (Das originale MC 30 hatte damals „nur“ einen Replicant 80, der aber nicht mehr verfügbar ist.) Das ist insofern bemerkenswert, als der Replicant 100 eigentlich sonst nur bei den teuersten Abtastern wie dem eXpression oder dem in FIDELITY schon vorgestellten Anna zum Einsatz kommt. Ortofons eigenes „Breitbanddämpfungssystem“ dürfte dafür sorgen, dass die unvermeidlich auftretenden Resonanzen eben nicht nur partiell, sondern – wie der Name schon sagt – über den ganzen Frequenzbereich gleichmäßig bedämpft werden. Dies ist besonders wichtig, sind es doch gerade ungedämpfte Vibrationen, die zu einem Großteil für die Klangunterschiede zwischen Tonabnehmern verantwortlich sind. Je weniger aber resoniert, desto unverfärbter ist die Wiedergabe. Mit einer Nadelnachgiebigkeit von 16 μm/mN bei einem Systemgewicht von zehn Gramm ist das MC 30 bestens in mittelschweren Tonarmen (10 bis 15 g) aufgehoben. In Frage kommen also die aktuellen Regas ab dem RB 303, die „modernen“ SMEs (Model 309, Series IV und V) und viele weitere. Da das Gegengewicht der Tonarme von Rega etwas knapp bemessen ist, empfehle ich im Zusammenhang mit dem MC 30 Super II das optional erhältliche, schwerere Gegengewicht zu verwenden. Es könnte sonst am Tonarmstummel während des Ausbalancierens schon etwas knapp werden. Auch in den weniger weit verbreiteten Tonarmen Dynavector DV-507 Mk II sowie dem TW-Acustic Raven 10.5 läuft das Ortofon hervorragend.

Nicht ganz so glücklich werde ich mit der Kombination im Zusammenspiel mit einem ebenfalls mittelschweren Linn Ittok LV II. Sicher, das „geht“ auch. Und ohne direkten Vergleich können wohl nur geübte Ohren erkennen, dass diese beiden Komponenten nicht unbedingt perfekt füreinander gemacht sind. Das Klangbild wirkt zwar schnell und tonal ziemlich ausgewogen, aber ein nur schwer beschreibbarer, etwas hohl wirkender Beiklang, der im Teamwork mit den anderen Tonarmen nicht auftaucht, lässt sich nicht wegdiskutieren und erklärt möglicherweise, warum gestandene Linn-Fans sich früher mit den klassischen Tonabnehmern von Ortofon nicht so recht anfreunden konnten/ wollten. Ich habe aber Grund zur Annahme, dass das im Linn Ekos und erst recht im aktuellen Ekos SE etwas anders, nämlich besser aussieht … Das „Perfect Match“ für meine Ohren und in meiner Anlage ist allerdings die Kombination mit dem SME Series IV. Das gefällt mir klanglich so derart gut, dass ich das MC 30 Super II wohl nicht mehr herausrücken werde!

ABBA, Hooker und Strawinsky

Dieser überaus positive Befund hat sich keineswegs von Anfang an eingestellt. Denn bei der ersten Hörprobe konnte mich der Tonabnehmer noch nicht so recht überzeugen. Sicher, es waren viele Details hörbar, die Mitten waren transparent, der Bass trocken. Etwas zu trocken für meinen Geschmack – sollte an den Gerüchten über mangelnde „Musikalität“ einiger Ortofon-Abtaster vielleicht doch etwas dran sein? Hinzu kam, dass sich im fraglichen Zeitraum das EMT JSD-6G sowie die auf AT-Systemen basierenden Raumnadel-Abtaster bei mir abrackern mussten. Deshalb konnte ich das Ortofon nicht adäquat einspielen. Erst später konnte ich mich dem MC 30 ernsthaft widmen. Nach ungefähr fünfzig Schallplatten zeigte es, warum mein Bekannter so begeistert war. Und immer noch ist!
Diese Begeisterung resultiert vor allem aus drei Eigenschaften des Ortofons: unbedingte Neutralität und große Lebendigkeit, kombiniert mit einer für diese Preisklasse erstaunlichen Detailverliebtheit. Gerade Letzteres könnte schnell des Guten zu viel werden – wenn die Detailflut nicht immer im musikalischen Kontext stünde. Hinzu kommt, dass dieses System offenbar keinen nennenswerten Pegelanstieg im Hochtonbereich aufweist, also nicht mehr Höhen produziert, als tatsächlich auf der Platte enthalten sind. Diese gekonnte Abstimmung ermöglicht es dem MC 30, mit beinahe jeder Art von Musik zurechtzukommen. Die kleine Einschränkung bezieht sich auf den Umstand, dass „mager“ produzierte LPs wie etwa ABBAs „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“ manchmal etwas „Speck auf den Rippen“ fehlt. Stimmt aber aufnahmeseitig alles, dann bleibt kein Auge trocken. Egal, ob gut aufgenommener Jazz, Blues oder auch großorchestrale Schlachtrösser wie Igor Strawinskys Le sacre du printemps (Dorati, Detroit Symphony Orchestra, Decca) – stets trifft dieser Tonabnehmer dank seiner beispielhaften Neutralität und seiner Lebendigkeit den richtigen Ton.
Fast schon traumwandlerisch marschiert das Ortofon auch durch die wildesten Partituren und lässt sich weder von heftigen Paukenschlägen noch von einem Forte fortissimo aus der Ruhe bringen. Wer solche Eigenschaften zu schätzen weiß, der sollte Ortofons „Last orders, please“ ernst nehmen und schnell zugreifen. Denn offenbar war früher nicht alles besser, aber offensichtlich gut genug. Mitunter sogar mehr als das.

 

Ortofon MC 30 Super II Classic

MC-Tonabnehmer
Besonderheit: Breitbanddämpfungssystem
Ausgangsspannung (@1000 Hz, 5 cm/s): 0,2 mV („leises“ MC)
Gleichstrom-Innenwiderstand: 5 Ω (niederohmig)
Empfohlene Abschlussimpedanz: >10 Ω
Nadelträger: konisches Aluminiumröhrchen
Diamant: Replicant 100, nackt, poliert
Nadelnachgiebigkeit: 16 μm/mN
Empfohlene Auflagekraft: 16–20 mN
Empfohlene effektive Tonarmmasse: mittelschwer (10–15 g)
Gewicht: 10 g
Garantiezeit: 2 Jahre

 

www.audiotra.de

 

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.